Sein Traum von Harmonie. Jürgen Heiducoff

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Sein Traum von Harmonie - Jürgen Heiducoff

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der damaligen DDR dieser Theorie entspricht.

      Jura verspürt immer den Wunsch zu prüfen, nichts einfach so hinzunehmen. Gratis-Vertrauen reicht ihm nicht aus. Er will mehr als nur nachplappern was die Lehrer und Ausbilder sagen. Er streitet für seine Überzeugung. Immer im Blick dabei – die Vision einer harmonischen Welt. Meinungsstreit, Widersprüche und der Traum von Harmonie schließen sich nach Juras Auffassung nicht gegenseitig aus.

      Jura plant seine Aufnahme als Kandidat der Sozialistischen Einheitspartei zu forcieren. Dies vor allem auch um politisch zu provozieren. Es gelingt ihm, bereits mit 17 Jahren Kandidat dieser Partei zu werden. Die entsprechenden Bürgschaften von Veteranen der Partei machen das möglich.

      Jura bereitet eine Serie von Vorstößen gegen Althergebrachtes und Routine in der Parteiarbeit seines Lehrbetriebes vor. Er hält sich selten an Beschlüsse und macht, was er für richtig hält. Jura bringt frischen Wind in den Parteialltag, entwickelt sich zum unbequemen Querulanten und fühlt sich in dieser Rolle wohl. Er wird zu Delegiertenkonferenzen entsandt. Da missfällt ihm, dass alle Reden und Vorträge zur Prüfung eingereicht werden mussten. Er meldet sich spontan zu Wort, bekommt das Rednerpult zugeteilt, spricht frei und engagiert, manchmal vom Temperament überwältigt, von seinen Visionen und erntet Beifall.

      Nun befürchtet er nur, dass man ihm anhand seiner eigenen Engpässe in der Lerntätigkeit die Grenzen seiner Eigenmächtigkeiten zeigt. Doch genau das Gegenteil passiert. Er wird in Schule und Betrieb gefördert und über die Maßen gelobt. Obwohl es ihm gut tut bleibt ein Rest an Skepsis – wo dies denn hinführen soll. Er wird zum besten Schüler gekürt, obwohl dafür keine objektiven Kriterien vorliegen. Er wird bei Leistungskontrollen nicht mehr gefordert. Alles läuft im Selbstlauf. Liegt es daran, dass er in die Partei eintreten will und in Aussicht gestellt hat, Offizier der Nationalen Volksarmee zu werden?

      Inzwischen ist Großvater sehr krank und bräuchte Beistand und Pflege. Der Arbeiterveteran, der jüngst noch in den Schulen über die Kämpfe der Bergarbeiter berichtete und auf Gewerkschaftsversammlungen auftrat, ist vergessen – von den eigenen Genossen. Es findet sich kein Platz in einem Pflegeheim. Die Dorfkrankenschwester schaut nur gelegentlich bei ihm vorbei. Um Essen und Heizung kümmert sich Jura. Er sieht den einst stolzen Großvater jämmerlich dahin siechen. In seinem Zimmer stinkt es entsetzlich nach Kot und Urin. Unerträglich. Unmenschlich.

      Der jugendliche Jura ist schnell mit Verallgemeinerungen und meint, dieser Sozialismus ist nicht human.

      Großvaters letzte Wochen prägen Jura für den Rest des Lebens. Ideale beginnen zu schwanken und Träume erstarken.

      Da der Wunsch Physik zu studieren nicht realisierbar ist, schaut sich Jura nach anderen Perspektiven um. Dies führt ihn auch zum Wehrkreiskommando. Dort wird ihm mit Hochglanzbroschüren und den üblichen Werbesprüchen eine rosige Zukunft suggeriert. Und Jura schaut genauer hin und ist nicht mehr abgeneigt, ein Studium an der Offiziershochschule der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung in Kamenz zu beginnen. Er drängt die eigene Ablehnung des Militärischen zurück. Oh, wenn dies Großvater wüsste. Aber der ist inzwischen verstorben.

      Jura sitzt neben dem IFA – Salon im sächsischen Borna mit der Bestätigung seiner Bestellung eines Pkw Skoda in der Hand und träumt. In sechs Jahren könnte er Besitzer eines dieser flotten Fahrzeuge sein. Er würde seine Briefmarkensammlung verkaufen, um an etwas Geld zu kommen, träumt er. Er kann nicht ahnen, dass sich die Wartezeit auf ein Auto mehr als verdreifachen wird.

      Juras Ausbildung neigt sich dem Ende zu. Er erlangt die Hochschulreife mit der Note „sehr gut“ und bekommt den Gesellenbrief. Mit reichlich 18 Jahren wird er als Mitglied in die Partei der Arbeiterklasse aufgenommen. Einen Monat arbeitet er in der Reparaturabteilung für E – Loks. Der Arbeitsalltag ist Stress pur. Überall fehlt es an Material und Zulieferteilen. Die Stimmung unter den Kumpels ist schlecht.

      Jura ist froh, dass er nun das Studium an der Offiziershochschule beginnen kann. Die strengen Alltagsregeln stören ihn weniger. Belastend ist es, eingesperrt zu sein. Hier wird auch er im Unterschied zur Berufsschule streng behandelt. Immerhin ist er der einzige Offiziersschüler, der schon als Mitglied der SED angereist ist. Damit habe er überall seiner Vorbildrolle gerecht zu werden.

      Doch so genau nimmt es Jura alles nicht. Während der Wache legt er sich schlafen. Er verschafft sich illegal Ausgang in die Stadt. Jedes zweite Wochenende fährt er nach Hause zu Mutter und Freundin. Er hält sich aber an die Vorgaben, auch während eines Kurzurlaubes die Uniform zu tragen. Und Jura merkt schnell, dass die Uniform der Nationalen Volksarmee, getragen von Offiziersschülern, vom Volk gar nicht so gemocht wird. Das zeigte sich in den Angriffen und Anfeindungen, die er im Uniform - Meer auf dem Leipziger Hauptbahnhof erlebt. Auch zu Hause wenden sich ehemalige Freunde, Nachbarn und Bekannte von ihm wegen seiner Zugehörigkeit zur NVA ab. Das ist nun die Arbeiterklasse. Die Basis will den Überbau nicht.

      Doch das Leben geht weiter. Es normalisiert sich. Jura hat Erfolge im Studium. Seine Freundin wird schwanger und nach althergebrachter Tradition steht die Hochzeit an. Jura braucht sich um nichts zu kümmern. Die Schwiegereltern organisieren alles. Im zweiten Studienjahr wird er glücklicher Vater einer lieben Tochter.

      Das Studium neigt sich dem Ende zu. Jura besteht alle Prüfungen entsprechend des Planes mit Bestnoten, erhält das Diplom als Hochschulingenieur für Führungstechnologie und wird zum Leutnant ernannt. Mutter Marie war stolz auf ihn. Sie hat es verdient, nun als Rentnerin ruhiger treten zu können.

      Die Dynamik des Lebens in der Kaserne und die damit verbundenen wenigen individuellen Freiräume ließen keinen Raum für Juras Träume und Visionen von einem harmonischen Leben. Aber all das führte nicht dazu, diese gänzlich zu verdrängen.

      Der Ernst des Lebens im realen Sozialismus

      Und dann beginnt der Ernst des Lebens in der Truppe. Er wird in den Raum Neubrandenburg versetzt. Stabsarbeit, Organisation des Truppenlebens mit Verantwortung für Menschen bestimmt den Alltag. Jura ist Offizier für operative Arbeit im Stab eines Funktechnischen Bataillons. Luftraumaufklärung, Funkmesssicherstellung und Diensthabendes System bestimmen den Alltag.

      Die junge Familie lebt hunderte Kilometer voneinander getrennt. Keine Aussicht, eine Wohnung zu bekommen. Opferbereitschaft wird verlangt. Das geht überhaupt nicht! Jura übernimmt die Eigeninitiative. Er geht auf Wohnungssuche in die Dörfer der Umgebung – jedes verfügbare Wochenende. Es scheint aussichtslos zu sein. Da begegnet Jura zufällig einem halb betrunkenen Bauern in einer Dorfkneipe. Er ist Sachse, freut sich einen anderen Sachsen zu treffen. Er stellt sich als der Vorsitzende der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) vor. Jura trägt ihm sein Problem vor, keine Wohnung für seine kleine Familie zu finden. Der Vorsitzende entgegnet, das dies überhaupt kein Problem sei. Er habe zwei Zimmer in der oberen Etage des nahe gelegenen alten Schlosses zur Verfügung. Die würde er renovieren lassen und Jura könne in zwei Wochen einziehen. Zwei Wochen später rollt der Planenwagen mit ein paar Behelfsmöbeln und ein Hänger voller Braunkohlenbriketts sowie Frau und Kind aus der Heimat Richtung Mecklenburg. Einen Mietvertrag gibt es nicht – ebenso auch keine Mietzahlung. Es ist ein abenteuerlicher und riskanter Versuch, so den Alltag einer jungen Familie zu organisieren. Jura ist meist im Dienst, den er widerwillig ausführt. Er hat wenig Zeit für die Familie. Um die mysteriösen Gemächer des alten Schlosses werden allerlei Legenden verbreitet. Das Dorf liegt so weit außerhalb der Zivilisation, dass die Polizei bei der Anmeldung in der Kreisstadt zunächst fragen muss, wo sich dieses befinden würde. Im Dorf ist nur ein kleiner Konsum, kein Arzt. Die Toilette, ein undichter Holzverschlag befindet sich außerhalb im Park, etwa 30 Meter vom Eingang des Schlosses entfernt. Im Winter wird die Notdurft nachts auf einem Eimer verrichtet. Gebadet und geduscht wird im Wohnzimmer in einer kleinen Zinkwanne. Das Wasser muss mit Eimern hoch getragen und mit Propangas erwärmt werden. Ebenso muss dann das gebrauchte Wasser die Treppe

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