Sein Traum von Harmonie. Jürgen Heiducoff
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Das restliche Dutzend Bewohner sind Bauern und Landarbeiter. Fast täglich sind viele schon zur Mittagszeit vom Korn betrunken. Einige leben wie Asoziale.
Es gibt unter diesen Bedingungen keine Aussichten, das eigene Kind unterzubringen oder eine Arbeit für die Frau zu bekommen. Doch offiziell gibt es keine Arbeitslosigkeit in der DDR. Das kleine politische Wörterbuch definiert diesen Begriff als einen „Zustand in der kapitalistischen Welt“, der es Menschen nicht ermöglicht, eine Arbeit zu finden.
Die Mobilität der Familie stützt sich auf einem Kinderwagen, zwei alte Fahrräder und ein Moped, das selten anspringt. Das ist eben der reale Sozialismus im Konkreten.
Nach wenigen Monaten ist klar, dass dieses Leben nicht länger auszuhalten ist. Jura treibt in einem anderen Dorf ein größeres Anwesen in einer Kate auf, ebenfalls sehr abgewohnt und mit Außentoilette. Der Weg zur Dienststelle war wesentlich näher. Jura sucht den Weg dahin im Sommer aus und ahnt nicht, dass sich dieser im Herbst und Winter als unbefahrbar erweisen wird. Auch hier ist die Familie im wesentlichen auf sich selbst angewiesen.
Da hilft auch nicht die Beförderung zum Oberleutnant.
Jura missfallen zunehmend die Kontrollen des dienstlichen und privaten Lebens. Der Dienst war durchsetzt mit Gesamt- und Teilkontrollen der unterstellten Kompanien. Darunter leidet das Vertrauen gegenüber dem Vorgesetzten.
Zusätzlich werden die militärischen und auch die Parteistrukturen von der Stasi beschattet. Auch das Privatleben ist davon nicht ausgenommen.
Jura – bereits ein gestandener Offizier – wird zum Stasimitarbeiter gerufen. Dieser interessiert sich für Hintergründe und Zusammenhänge einer privaten Freundschaftsbeziehung in der längst zurückliegenden Kindheit. Jura hatte diese Episode seines Lebens längst vergessen. Die Stasi frischt sie auf. Der Mitarbeiter liest aus Briefen und Karten, die Jura vor vielen Jahren an eine Freundin in Frechen bei Köln sandte. Innerhalb weniger Tage soll Jura dazu Stellung nehmen. Er denkt nach und zitiert aus den „Pioniergeboten“. Dort heißt es: „Wir Pioniere lieben unsere Deutsche Demokratische Republik; lieben unsere Eltern; lieben den Frieden; halten Freundschaft mit den Kindern der Sowjetunion und aller Länder; lernen fleißig, sind ordentlich und diszipliniert; achten alle arbeitenden Menschen und helfen überall tüchtig mit; sind gute Freunde und helfen einander; singen und tanzen, spielen und basteln gern; treiben Sport und halten unseren Körper sauber und gesund; tragen mit Stolz unser blaues Halstuch.“
Der Stasimann kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Nachdem Jura versichert hat, dass dieser Kontakt nach Frechen längst nicht mehr existiert, bleibt der Mantel des Schweigens darüber.
Jura muss einen Ausweg aus der dienstlichen und privaten Unzufriedenheit finden.
Er sieht nur eine Möglichkeit, das Problem zu lösen: die Bewerbung für ein Studium an einer Militärakademie in der Sowjetunion. Inzwischen bekommt die Familie eine neue Wohnung mit vier Zimmern in der Stadt zugewiesen. Die wenigen Möbel, die Jura besitzt, verlieren sich förmlich. Und er kann die neue Wohnung gar nicht genießen, weil er ins Ausland muss. Da Jura das erste Jahr ohne Familie ins Ausland geht, folgt wieder eine Trennung. Diesmal lässt er die Frau mit nunmehr zwei Kindern zurück.
All dies findet in einer Zeit des Aufbruchs in der DDR statt. Durch das Wohnungsbauprogramm soll das Problem eine Wohnung zu finden, gelöst werden. Jura kann nur in Teilen von diesem Fortschritt profitieren, denn erst im letzten Moment vor seiner Entsendung ins Ausland bekommt er eine neue Vierraum-Wohnung (Erstbezug) zugewiesen. Der Mietzins beträgt 125 DDR-Mark warm - ein Zehntel des monatlichen Gehalt Juras. Dies ist verglichen mit der heutigen Mietinflation sehr preiswert. Dennoch belastete es damals den kleinen Finanzhaushalt einer jungen Familie stark. Deshalb mussten zwei Zimmer zur Untermiete weiter vergeben werden. Das Einkommen des jungen Offiziers reicht immer gerade so zum normalen Leben.
Studium und Leben im Mutterland des Sozialismus
Auf geht es nun in die große Sowjetunion, dem Mutterland des Sozialismus, zum großen Bruder.
Das erste Jahr verbringt Jura im Wohnheim einer sowjetischen Garnison im Raum Moskau. Ein Zweibettzimmer, einen Schreibtisch, einen Einbauschrank und ein Nachtschränkchen teilt er mit einem Offizierskameraden. Diese „Welt“ ist Jura entschieden zu klein. Zu Fuß wandert er in die Dörfer der Umgebung, entlang des Flusslaufes der Kljasma in die Birkenwälder, in denen man schon Mal einem Elch begegnet. Jura wird auch spontan zu Russen nach Hause eingeladen. Auch hier herrscht eine große Gastfreundschaft. Jura lernt die bescheidene Lebensweise in den Dörfern und die russische Seele mit ihrer Gelassenheit und Ehrlichkeit kennen und achten. Und ist das Holzhäuschen auch noch so klein – drei und mehr Generationen finden darin Platz. Es entwickeln sich echte Freundschaften. Jura wird in diesen oder jenen Familienkreis aufgenommen. Doch es werden auch rote Linien überschritten indem diese oder jene Tochter des Hauses meint, sie könne Jura benutzen, um die Sowjetunion zu verlassen. Es wird für immer ein Geheimnis bleiben, ob diese Episoden gespielt oder echt waren. Wie auch immer - mancher der Sonnenuntergänge an der Kljasma werden immer in Juras Gedächtnis haften bleiben.
Jura besucht auch Leute aus der Komi ASSR und Kaukasier, die in der Garnison wohnen. Leider gelingt es ihm nicht, ihrer Einladung nachzukommen und deren Heimat zu besuchen.
Er wird gut auf das Studium in der Fakultät für Kommandeure und Stabsoffiziere der Luftstreitkräfte vorbereitet und auch zum Hauptmann befördert. In der Ausländerfakultät der Militärakademie der Luftstreitkräfte „Juri Gagarin“ in Monino fühlt sich Jura wohl.
Aber das Leben in der Sowjetunion enttäuscht ihn immer mehr. Mangelwirtschaft überall. Und das in einer zentralen Region Russlands. Überall trifft man Trinker und willenlose Personen. Die werden von der Vielzahl der Leute ignoriert. Liegt ein hilfloser Trinker irgendwo auf dem Weg im Schnee, findet sich niemand, der ihm hilft. Eher steigen die Passanten über ihn hinweg.
Offensichtlich fehlt vielen Menschen die Zuversicht und der Gaube an eine sichere Zukunft.
Das erinnert ihn an die abgeschiedenen und vergessenen Dörfer Mecklenburgs.
Nach einem Jahr bekommt Jura eine Wohnung zugeteilt und die Familie kann anreisen.
Jura legt besonderen Wert darauf, Kontakte zu den sowjetischen Offizieren und deren Familien herzustellen. Diesen ist es aber weitgehend untersagt, mit Ausländern privat zu verkehren. So werden die Beziehungen eben durch die Ehefrauen geknüpft. Dies gestattet einen detaillierten Einblick in das Leben der Menschen. Es kommt zu Besuchen außerhalb der Garnison und auch zu Ausflügen weit hinaus aufs Land.
Während einer Bahnfahrt nach Leningrad begegnet Jura einer alten Dame, die mit ihm leise deutsch spricht. Dabei sieht sie sich ängstlich um. Sie sei in den 1930er Jahren mit ihrem Mann im Auftrag der Kommunistischen Internationale in die Sowjetunion gekommen. Wenig später seien sie und ihr Mann in ein Arbeitslager verschleppt worden. Ihr Mann sei seit dieser Zeit verschwunden. Sie kam nach Jahren über Umwege frei. Sie habe nie die Möglichkeit gehabt, die Sowjetunion Richtung Deutschland zu verlassen – auch nicht nach dem Bruch mit dem Stalinismus. Und nun sei sie zu alt dafür. Begegnungen dieser Art stimmen Jura traurig. Alles passt nicht ins Bild, das er über die SU hatte.
Jura und die anderen Auslandsstudenten werden streng unterwiesen, die Garnison - mit Ausnahme der Stadt Moskau - nicht zu verlassen. Das Verbot wird mit der hohen Kriminalitätsrate begründet. Aber es liegt auf der Hand, dass da andere Gründe vorliegen. Das