Dich kriegen wir weich. Joachim Widmann
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„In Frankfurt herrschte große Aufregung. Viele meiner Bekannten waren bei Nacht und Nebel abgeholt worden.“ Doch sie war nicht beunruhigt. „Ich hatte mir nichts vorzuwerfen.“
Viele junge Frankfurter setzten sich nach dieser ersten Verhaftungswelle nach West-Berlin ab. Nicht so die junge Fotografin, die damals noch ihren Mädchennamen, Fricke, trug. Frankfurt war Heimat, schon wegen der Familie.
„Ich wußte wohl, daß Claus N., ein Bekannter, irgendwie für die Amerikaner arbeitete. Er hatte mir das gesagt und mich gebeten, Fotokopien für ihn zu machen.“
Ihr sei damals „kindisch“ vorgekommen, daß N. Autonummern aufschrieb und weitergab, woraus die Amerikaner wohl auf Truppenbewegungen hätten schließen können. „Ich lehnte ab, um nicht meiner Familie Ärger einzuhandeln. So hatte ich später natürlich ein ganz ruhiges Gewissen. Auch noch, als der N. schon abgeholt war.“
Monate vergingen. Die Lage schien sich zu beruhigen. Von denen, die im August verschwunden waren, gab es keine Nachricht.
„Am 14. Oktober 1947 wurde ich früh um 5 Uhr von meinen Eltern geweckt. Zwei sowjetische Offiziere, ein deutscher Polizist und eine Dolmetscherin waren gekommen, mich abzuholen.“ Während sie im Flur warteten, zog sich Anneliese Fricke rasch an.
Sie wurde abgeführt. Acht Jahre lang sollte sie das Haus ihrer Eltern nicht wieder betreten.
Erst 1949 erfuhr ihre Familie, daß Anneliese Fricke zumindest bis Frühjahr 1948 nicht in die Sowjetunion deportiert worden war. Eine Haftentlassene überbrachte die Nachricht. Eine erste, zensierte Postkarte als Lebenszeichen konnte Anneliese Fricke erst Ende 1949 nach Hause schicken. Und am 30. Oktober 1950, nach drei Jahren, durfte ihr Vater sie zum ersten Mal im Zuchthaus Hoheneck besuchen. Allein, denn nur ein Familienmitglied war erlaubt.
Martha Rex erhielt sieben Jahre nach der Internierung von Gottlieb Leichnitz, 1953, gemeinsam mit ihrer Mutter Besuchserlaubnis im Zuchthaus Waldheim. Marthas drei Brüder und ihre Schwester mußten zu Hause in Alt-Zeschdorf bleiben. So wurden sie nicht Zeugen der düsteren Szene: „Wir durften einander nur mit den Fingerspitzen berühren. Posten standen dabei. Wir fragten: ,Wann kommst Du nach Hause? Wir brauchen Dich doch!‘“ Doch die Posten sorgten dafür, daß Leichnitz nicht mit seiner Familie sprach. Einige Minuten lang sah man sich trostlos über eine Barriere hinweg an, dann mußten die Besucher gehen.
Als der Eisenbahner Erhard Hemmerling im Oktober 1951 verschwand, blieb seine 23jährige Frau Vera mit zwei kleinen Kindern zurück. Erst nach Tagen brachte ihr jemand einen Zettel, auf den ihr Mann geschrieben hatte: „Ich bin bei der Stasi in der Halben Stadt in Frankfurt“.
Er hatte sich in den Finger geritzt und den Kassiber mit Blut geschrieben, um ihn dann aus dem Fenster des Kellers, in dem er festgehalten wurde, auf den Gehweg zu werfen. Eine offizielle Nachricht erhielt Vera Hemmerling nie.
Die junge Frau ging zur Staatsanwaltschaft, zur Polizei und schließlich zur Staatssicherheit. Da hätte man ihr sagen können, daß ihr Mann sich mittlerweile in den Händen der Sowjets befand. Statt dessen bekam sie zu hören: „Ihr Mann ist abgehauen. Sie sollten sich scheiden lassen.“ Vera Hemmerling: „Das war die größte Zumutung. Ich wußte schließlich besser, wie wir zusammenleben, daß mein Mann seine Familie nie im Stich gelassen hätte. Nach fünf Jahren, die wir glücklich verheiratet waren, glaubte ich nicht, daß er abgehauen war.“
Aus der schönen Bahnhofsvorsteher-Dienstwohnung, die die Familie in Rehfelde bewohnt hatte, mußte Vera Hemmerling mit den Kindern bald ausziehen. Sie ging zu ihrer Mutter nach Frankfurt (Oder), arbeitete bei der Bahn.
Alles war, als hätte es Erhard Hemmerling nie gegeben.
Zu Fuß wurde Anneliese Fricke zur „Gelben Presse“ gebracht. „Da bin ich in den Keller gekommen. Da waren noch andere, alles junge Leute.“
Die Gefangenen mußten nach einigen Stunden auf Lkw steigen.
„Ich dachte sofort, es geht über die Oder. Es war mir völlig klar, daß es nach Osten geht.“ Sie hatten viel von Deportationen in die Sowjetunion reden hören: Das Schicksal vieler Internierter.
Doch die Fahrt ging landeinwärts. Nach einiger Zeit eine Stadt: Die Lkw stoppten. Ein Tor schloß sich hinter den Lastern. Die Frankfurter wurden „grob und laut“ von den Ladeflächen getrieben.
„Wir wurden gefilzt. Schnürsenkel und Gürtel wurden uns abgenommen. Ein Mann bettelte vergebens um seine Brille.“ Dann ging es ins Zellenhaus.
„Ich dachte: Wie im Kino. Wie ich da in die Zelle gesperrt wurde...“
Sie war allein. Die Zelle war leer bis auf eine eiserne Pritsche. Für die Notdurft gab es „eine Art Kochtopf“.
Anneliese Fricke war im „Lindenhotel“, der berüchtigten NKWD/MWD-Zentrale in der Potsdamer Lindenstraße.
Nachtruhe war von 22 bis 5 Uhr. Erst nach Tagen erhielt Anneliese Fricke einen Strohsack für die Pritsche. Sie empfand das als eine Gnade, eine besondere Vergünstigung: „Ich war völlig fertig.“
Tagsüber durfte sie sich nur stehen oder auf der Pritsche sitzen. Keinesfalls schlafen.
„Die Verhöre fanden grundsätzlich nachts statt. Die Verhörmethoden waren wirklich schlimm.“
Dazu möchte sie mehr nicht sagen.
Einer der 45 anderen Frankfurter, die im Herbst 1947 verhaftet worden waren, Jochen Stern, berichtet von Schlägen mit Holzknüppeln oder auch „mit der flachen Hand ins Gesicht“, begleitet von Vorwürfen: „Widerstand gegen Besatzungsmacht ... Verleumdung ... Ehre der Sowjetoffiziere besudeln ... Diesmal trugen sie mich in die Zelle.“
Ein weiteres Druckmittel war der Karzer: Mit nacktem Oberkörper in einer eisigen Zelle, nur jeden dritten Tag eine volle Ration, sonst nur wäßriger Kaffee. „Die Arme dicht am Körper angewinkelt, hockte ich auf dem zementierten Fußboden. In einer Doppelzelle, durch Gitterstäbe geteilt. Gleich einem Käfig.“ Am Tag nach seiner Befreiung aus dem Karzer unterschrieb Stern sein Geständnis: „Lauter Schauergeschichten.“xvii
***
Stets mißtrauisch gegen den Dolmetscher – „Alles war auf Russisch. Ich war mir nie sicher, ob richtig übersetzt wurde. Ich wußte auch nicht, was ich unterschrieb“ –, legte Anneliese Fricke im Verhör die Dinge dar, wie sie gewesen waren. Ihr Name war mit denen der anderen Verhafteten in einem Notizbuch von Claus N. gefunden worden. Aber sie hatte ja die Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt.
Eines Nachts, beim Verhör, stand N. plötzlich in der Tür. „Ein Bild des Grauens, genau wie die KZ-Gestalten in der Nazizeit.“
Der Vernehmer fragte: „Fricke, Anneliese, waren Sie Mitglied der Spionageorganisation von N., Claus?“
„Nein.“
„N., Claus, war Fricke, Anneliese Mitglied Ihrer Spionageorganisation?“
„Ja.“
Da faßte sich die Gefangene ein Herz: „Claus, hatte ich nicht wegen meiner Eltern