Dich kriegen wir weich. Joachim Widmann
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Die Legende von der Allmacht der Stasi war eines der wesentlichen Machtinstrumente der DDR-Führung. Willkür und Unberechenbarkeit der Ordnungsbehörden sorgten für Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung. Wie ausgeprägt dies Gefühl gewesen sein muß, zeigt sich bis heute, wenn Betroffenen Akteneinsicht gewährt wird: „Viele sind überrascht, ja manchmal enttäuscht darüber, wie wenig die Stasi gewußt hat“, erzählt die Historikerin Dr. Andrea Herz, die beim Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen in Thüringen arbeitet.
Als 1989 Angst und Unsicherheit bei DDR-Bürgern – zunächst nur bei einer politisch aktiven Minderheit von ein paar Tausend Menschen – schwanden, löste sich die Macht der SED in nichts auf.
Immerhin hatten sie und der darauf gründende Staat 40 Jahre lang gehalten. Die DDR gehörte damit zu den beständigeren Staaten der neueren Geschichte auf deutschem Boden.
Alles SEDistische folgte einem sowjetischem Vorbild. So auch die Staatssicherheit, die sich bis zuletzt auf die „Ideale“ der TschK (eingedeutscht: Tscheka) berief. TschK war die Abkürzung für den ersten sowjetischen Geheimdienst, der 1917 von den Bolschewiki gegründet worden war, Tschrezvytschajnaja Kommissija. Das Idol der „Tschekisten“, Tscheka-Gründer Feliks Dzierzynski (1877-1926), formulierte den Leitsatz, den die Mitarbeiter der Staatssicherheit sich Für ihre Charakterbildung zu Herzen nehmen sollten: „Tschekist sein kann nur ein Mensch mit kühlem Kopf, heißem Herzen und sauberen Händen.“viii
Im „Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit“ der Staatssicherheit, das von 1970 an in mehreren aktualisierten Fassungen herausgebracht wurde, heißt es unter dem Sichwort „Persönlichkeit, tschekistische“: „eine sozialistische Persönlichkeit, die als Angehörige(r) eines sozialistischen Sicherheitsorgans im Auftrage und unter Führung der Partei der Arbeiterklasse unmittelbar und direkt für den Schutz des Sozialismus, für die allseitige und zuverlässige Sicherung der Macht der Arbeiterklasse vor allen subversiven Angriffen des Klassenfeindes kämpft. Sie wird geprägt und entwickelt sich durch die aktive Tätigkeit für den Aufbau und den Schutz der sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft, insbesondere im Prozeß der konspirativen tschekistischen Arbeit, im kompromißlosen Kampf gegen den Feind und durch die dazu notwendige tschekistische Erziehung und Befähigung.
Eine tschekistische P. wird vor allem durch solche für die tschekistische Arbeit notwendigen Persönlichkeitseigenschaften charakterisiert wie:
– unbedingte Treue und tiefe Verbundenheit zur Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei,
– unerschütterliche Freundschaft zur Sowjetunion und zu den anderen sozialistischen Bruderländern, Einstellungen und Haltungen, die vom sozialistischen Patriotismus und Internationalismus bestimmt sind,
– Bereitschaft zum ständigen Lernen, insbesondere bei der Aneignung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung und der Vertiefung des Verständnisses der Politik der Partei der Arbeiterklasse,
– Entschlossenheit, Mut, politisch kluges tschekistisches Handeln, Opferbereitschaft und Haß im Kampf gegen den Feind auf der Grundlage eines klaren Feindbildes,
– Bereitschaft und Fähigkeit zur Wahrung von Konspiration und Geheimhaltung sowie zur Gewährleistung der inneren Sicherheit der Organe für Staatssicherheit,
– schöpferische Initiative, hohe militärische Disziplin, offenes und ehrliches Auftreten, Bescheidenheit, kritisches und selbstkritrisches Verhalten in und außerhalb der tschekistischen Tätigkeit,
– Willensstärke und Konsequenz bei der Erhaltung und Förderung des physischen und psychischen Leistungsvermögens, sinnvolle Gestaltung der Freizeit.
Diese und ähnliche Persönlichkeitseigenschaften müssen im tschekistischen Arbeitsprozeß, im Prozeß der Erziehung herausgebildet und stärker gefestigt werden.“ ix
Was es mit diesem Ideal auf sich hatte, hatten sowjetische Geheimdienstler gleich nach Kriegsende demonstriert.
Werner Schönes Leidensweg hatte 1945 begonnen.
„So ein verpfuschtes Leben“, meint er und braucht wieder eine Pause, bevor er weiterreden kann. Er zündet sich eine Zigarette an. Wischt sich mit dem Daumen die Augen. Sagt, er habe zunächst Glück im Unglück gehabt.
Mit 16 war der Reichsbahnlehrling aus Hathenow im Oderbruch noch in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs einberufen worden. Hitlers Militärstrategen hatten die irre Hoffnung propagiert, mit dem „Volkssturm“, einem letzten Aufgebot aus Kindern und alten Männern, den Vormarsch der Alliierten noch stoppen zu können. Schöne wurde wie Tausende andere Hitlerjungen in eine Wehrmachtsuniform mit HJ-Armbinde gesteckt und landete in der Schlacht um Halbe.
Deutsche Panzer schlugen eine letzte Bresche durch den Ring, den die Rote Armee um den „Kessel“ Halbe geschlossen hatte, und Schöne konnte entkommen. Er floh bis ans Ufer der Elbe. Auf der anderen Seite des Stroms standen US-Soldaten mit Megaphonen und riefen: SS- und HJ-Leute würden übergesetzt. „Die Amerikaner wußten, daß die Russen mit denen kurzen Prozeß machen würden.“ Anders als die reguläre Wehrmacht galten die SS und die HJ als nationalsozialistische, politische Verbände, die in Gefangenschaft kein Kriegsrecht schütze.
Schöne schaffte es um Haaresbreite nicht auf die Fähre. „Die Russen schossen schon rüber.“ Er wandte sich wieder nach Osten, und zufällig begegnete er im Chaos aus Krieg und Flucht dem Treck, in dem seine Mutter nach Westen, weg von der Oder, gezogen war. Er legte die Uniform ab, fiel in Zivil nicht weiter auf, entkam der Gefangenschaft – erstmal.
Da sie keinen Unterschlupf fanden, gingen Schöne und seine Mutter zurück nach Hathenow. Sein Vater wurde schon im Juli 1945 aus Kriegsgefangenschaft entlassen. Auch der Vater war Eisenbahner, hatte der NSDAP angehört. Doch bis Oktober 1945 blieb die Familie unbehelligt. Auch der berüchtigte sowjetische Geheimdienst NKWDx wußte nicht alles. Es war auf Denunzianten angewiesen. Und einem Denunzianten, da ist sich Schöne sicher, hatte er zu verdanken, daß am 23. Oktober ein Grüppchen deutscher Hilfspolizisten verlegen vor der Tür stand und ihn bat, „zur Klärung eines Sachverhalts“ mitzukommen. Einer der Männer war Schönes Onkel. „Der wußte nicht, was das sollte. Keiner von denen wußte was.“
Die Hilfspolizisten lieferten Schöne beim NKWD in Seelow ab. Der Geheimdienst residierte in einer Gaststätte. Der Bierkeller diente als Gefängnis.
Überall im Osten Deutschlands hatten die am 9. Juni 1945 gegründete Sowjetische Militär-Administration in Deutschland (SMAD) und das NKWD öffentliche Gebäude, Gaststätten oder Villen beschlagnahmt.
Nach ein paar Tagen in dem Keller wurde Schöne vernommen. Man hielt ihn für einen „Werwolf“, also für ein Mitglied der geheimen Truppe, die SS-Reichsführer Heinrich Himmler zu Kriegsende für den Untergrundkampf hatte gründen lassen. Die Geheimdienstler zählten den jungen Mann damit zu der sehr weit gefaßten ersten Kategorie derer, die zu Tausenden verhaftet wurden: Nazis und Kriegsverbrecher.
Anklage wurde gegen Schöne nicht erhoben, es gab keinen Prozeß.
Die Internierung ging auf mehrere Befehle zurück, die das NKDW im Frühjahr 1945 erhalten hatte. Es sind im Grunde verschiedene Fassungen desselben Befehls, der offenbar auf die Zerschlagung nationalsozialistischer Organisationen und der Verwaltung des Deutschen Reiches sowie antisowjetischer Medien zielte.
Von 1946 an konnte sich die Sowjetunion auf entsprechende Erlasse des alliierten Kontrollrats berufen – da waren die Internierungslager längst mit Häftlingen überfüllt. Als „einheitliche Rechtsgrundlage“ für die „Strafverfolgung