Dich kriegen wir weich. Joachim Widmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Dich kriegen wir weich - Joachim Widmann страница 6
Egoisten sind weder Freund noch Kamerad.
Er muß weiter solche moralischen Eigenschaften besitzen, wie Fleiß, Beharrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Rechtschaffenheit, Einfachheit und Bescheidenheit, Konsequenz sich selbst und anderen gegenüber, er muß unbeugsam in der Erreichung gesetzter Ziele sein. (...)
Der Mitarbeiter in der Abteilung XIV muß sexuell normal veranlagt sein und ordentliche, saubere Beziehungen zum anderen Geschlecht haben.
Es müssen sich feste Ansichten und Überzeugungen für das sittliche Verhalten herausbilden.
Zu beachten ist, daß ,trotz guter Absichten‘ viel Unheil angerichtet werden kann, wenn sich ein Mensch zum Beispiel nur vom Gefühl leiten läßt, wo solche verinnerlichten Charakterzüge nicht mit Überzeugung und Wissen gefestigt sind. Überzeugung und Wissen verleiht dem Menschen die Möglichkeit, moralische Prinzipien in einer konkreten Situation richtig anzuwenden. Großzügigkeit und Wahrhaftigkeit z. B. können sich in ihr Gegenteil verwandeln, wenn man die listigen, hinterhältigen Schlichen des Feindes nicht beachtet bzw. unterschätzt, wenn man keine politische Wachsamkeit übt. (...)“
Die unbeabsichtigte Selbstentlarvung, die in der hierarchischen Differenzierung zwischen „Feind“, „Mensch“ und „Genosse“ gipfelt, erklärt, warum es nicht nur für „Feinde“ und „Menschen“, sondern auch für den einen oder anderen Genossen eine Genugtuung und eine Erleichterung war, als das System endlich zusammenbrach.
Dessen „Feinde“ knüpften besondere Hoffnungen an die Wende von 1989/90. Vieles änderte sich auch wunschgemäß. Einen Wendepunkt, an dem die früheren Täter und Teilnehmer des Systems zur Einkehr gezwungen worden wären und die Opfer plötzlich ihr Recht erhalten hätten, gab es jedoch nicht – so wenig eine antikommunistische „Rachejustiz“ auszumachen ist.
Natürlich wurde den Opfern das Recht eingeräumt, sich juristisch rehabilitieren zu lassen, natürlich wurden sie finanziell entschädigt, soweit sie Unrechtsjustiz und Haft zu erleiden hatten.
Unterhalb dieser Grenze wurde der Schaden vielfach nicht einmal moralisch kompensiert. Denn auf der anderen Seite gingen die meisten Täter straffrei aus, da ein Großteil der Delikte, wie etwa der Bruch des Postgeheimnisses, die Telefonüberwachung oder die lückenlose Ausforschung einer Privatwohnung, nach den DDR-Gesetzen mit einer geringfügigen Strafe belegt oder legal war und daher heute nicht bzw. allenfalls als Beihilfe zu Rechtsbeugung oder einer Tat, die nach jüngsten höchstrichterlichen Entscheidungen als Verstoß gegen die allgemeinen Menschenrechte geahndet werden kann, zu verfolgen ist. Die meisten Täter werden also nicht belangt.
Selbst im Öffentlichen Dienst haben die wenigsten „positiven“ Bescheide der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit über eine Tätigkeit als freier, also Inoffizieller Mitarbeiter bei der Stasi, zur Entlassung des so Belasteten geführt. In vielen Behörden ist es üblich, weniger den Tatbestand als Kündigungsgrund zu bewerten, als lediglich die Bereitschaft, den Fragebogen für die sogenannte „Regelanfrage“ wahrheitsgemäß auszufüllen. Entsprechende Normen wurden, auch aus Mißtrauen gegenüber den Akten der Staatssicherheit, in einer Vielzahl arbeitsrechtlicher Prozesse gesetzt. Grundsätzlich gilt, daß eine Mitarbeit bei der Stasi allein kein Kündigungsgrund ist.
Dazu kommt, daß viele Opfer nicht in der Lage sind, über ihr zum Teil traumatisches Erleben offen zu sprechen. Viele haben sich der infolge der SED-Propaganda gegen den „Feind“ noch immer gegen sie bestehenden Vorbehalte zu erwehren. Das ist einer der Beweggründe dafür, daß die wenigsten, die als Opfer bekannt sind, Anzeige erstatten: Nach übereinstimmenden Angaben aus der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR und verschiedenen Landesstaatsanwaltschaften erheben nur eins bis vier von hundert Opfern Klage gegen die Täter. Auch die Bereitschaft von Opfern, als Zeuge vor Gericht aufzutreten, ist gering.
Dennoch ist die Zahl der laufenden Vorgänge außerordentlich hoch. Allein bei der für DDR-Justiz- und Regierungs-Unrecht im Land Brandenburg zuständigen Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Neuruppin waren Ende 1995iv 11 500 Einzelvorgänge anhängig, das heißt, allein in Brandenburg waren zu diesem Zeitpunkt 11 500 mögliche Straftaten früherer DDR-Funktionäre bekannt, darunter 5 500, zu denen Ermittlungsverfahren anhingen oder eine Anzeige vorlag. Rund 4 000 Vorgänge sind Gegenstand von 460 Verfahren gegen Richter und Staatsanwälte der früheren DDR, 1 250 Vorgänge beziehen sich auf Mißhandlungen von Strafgefangenen und Todesfälle in Gefängnissen. Hier liefen Ende 1995 rund 290 Verfahren. Wenn es auch bei weitem nicht jeden traf: Unrecht und Willkür waren Alltag in der DDR – das ist angesichts der Zahlen keine moralische Wertung, sondern eine statistisch untermauerte Tatsache.
Die Verletzung der persönlichen Ehre ist bei vielen Opfern so tief gegangen, daß sie allein durch den Sieg des „anderen“ Systems nicht zu heilen war. Wie auch, wenn viele der früheren Täter oder deren Handlanger heute in Behörden und Betrieben erneut auf der Karriereleiter emporsteigen – sie haben sich kurzerhand auf die Seite des Siegers geschlagen und fahren gut damit. Schon durch ihre oft überdurchschnittliche Qualifikation also dank des Bildungsprivilegs, das viele SED- und alle Stasileute genossen und durch ihre Fähigkeit, im Rahmen streng hierarchischer Befehlsstrukturen eigenständig zu funktionieren, sind sie prädestiniert für Druckposten, wie auch der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Joachim Gauck, im Sommer 1995 auf der Jahrespressekonferenz seiner Behörde feststellte. Dabei bedienen sie sich bis heute häufig alter Kontakte, über die sie noch aus der Zeit verfügen, da das ausgeklügelte System der „Nomenklaturkader“ noch Bestand hatte. Ein jeder an seinem bestimmten Platz, in seiner bestimmten Funktion – einer für alle, alle für ein Ziel. Ziel ist heute freilich nicht etwa die Unterdrückung ehemaliger DDR-Opfer, sondern der eigene, persönliche Vorteil für sich und die ehemaligen Genossen. Das Bestehen sogenannter Seilschaften ist eine zum Beispiel von den Kripo-Leuten, die Wirtschaftsverbrechen der Wendezeit aufzuklären haben, bewiesene Tatsachev. So kommt es vor, daß die Opfer erneut in untergeordneter Position Tätern gegenüberstehen, sei es, wenn sie Antrag auf einen Telefonanschluß stellen – Belastungs-Rate bei der Ost-Telekom: rund 30 Prozent –, sei es, daß sie, wie es Freya Kliervi geschah, als Zeugen in Strafprozessen einem früheren Stasivernehmer, der auf der Stasihochschule in Postdam-Eiche auf „Dipl.“ oder „Dr. Jur.“ studiert hatte, in der Rolle des Verteidigers eines anderen Täters begegnen... Die Reihe ließe sich fortsetzen.
Interessanterweise haben die Täter es geschafft, die eigene Rolle von einst auf die Opfer und den politischen Gegner zu projizieren, um ihren Kampf unter umgekehrten Vorzeichen fortzusetzen. So unterstellte Hans Modrow, einst der letzte SED-Mann an der Spitze der DDR und angeblich ein Reformer, der klageführenden Staatsanwaltschaft und dem Gericht, vor dem er sich wegen Wahlfälschung zu verantworten hatte, politischen Mißbrauch des Strafrechts, um ihn als sozialistischen Volksvertreter aus dem Bundestag zu drängen. Am 18. Februar 1997 verschickte Modrow gemeinsam mit vier anderen früheren Spitzenfunktionären der DDR und der Parteien des sozialistischen Blocksvii, ein „Memorandum zur juristischen Verfolgung von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik durch Justizorgane der Bundesrepublik Deutschland“ nach Angaben einer Nachrichtenagentur an Organisationen und Regierungsstellen in etwa 60 Staaten in aller Welt, in dem die Verfolgungspraxis gegen DDR-Staats- und Regierungsverbrechen seit der Vereinigung Deutschlands als ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte dargestellt wird: „Angeklagt und verurteilt werden Führungskräfte und Mitarbeiter aus Ministerien und Verwaltungen der DDR. Juristischer Verfolgung unterliegen hunderte Funktionäre von politischen Parteien und Verbänden. Sie alle sollen zu Straftätern gemacht werden, weil