Dich kriegen wir weich. Joachim Widmann

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Dich kriegen wir weich - Joachim Widmann

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Fassung bemüht. Sein Kinn zittert, seine Augen werden feucht. Er sagt: „Ich bin nicht rachsüchtig“.

      Doch einen gibt es, einen Offizier der Staatssicherheit, groß, schlank, offenbar nicht ohne zynischen Humor und Arroganz, bei dem weiß Schöne nicht, ob er sich beherrschen könnte, wenn er ihm begegnen würde. Der Mann nannte sich Günter K..

      Über vier Jahre lang war Schöne vom sowjetischen Geheimdienst gefangengehalten worden, dann über ein Jahr Zwangsarbeit im DDR-Knast. Jahre später noch einmal nahezu 16 Monate Haft. Dann erpreßte ihn Günter K. zur Mitarbeit bei dem verhaßten Geheimdienst. „Wenn ich den zwischen die Finger bekomme, bringe ich den um“, sagt Werner Schöne. Nein, er habe als Inoffizieller Mitarbeiter niemandem geschadet, behauptet er. Von 1963 bis zum Ende der DDR hätte er über die Stimmung bei der Reichsbahn berichtet, wo er arbeitete. Ohne Namen zu nennen.

      „Die haben mich mein ganzes Leben lang nicht in Ruhe gelassen.“ Er stützt eine Hand auf die verblichene Plastiktischdecke und dreht sich etwas steif um, blickt in seinen Schrebergarten in der Nähe des Bahnhofs von Frankfurt (Oder), als ob im Schatten zwischen den Obstbäumen und Stauden plötzlich etwas sehr Interessantes zu sehen wäre.

      Dann fängt er sich und beginnt seinen Bericht.

      Als er 1950 aus sowjetischer Internierung nach Hause zurückkam, wog er nicht einmal 45 Kilo. „Ich habe mich praktisch ein Jahr lang erstmal durchgefressen.“ Dann ging er wieder zur Bahn, wo fünf Jahre zuvor seine Lehre begonnen und nie abgeschlossen hatte. Nach Frankfurt (Oder), erst in eine Gleisbau-Rotte, dann wurde er Rangierer auf dem Personenbahnhof.

      Er bezog ein möbliertes Zimmer in der Innenstadt.

      Wie viele junge Leute fuhr er gern nach West-Berlin. Er kaufte sich eine „Texasjacke“ aus Leder und Boogie-Schuhe.

      Eines Tages standen Stasileute vor der Tür. Untersuchungshaft bei der Staatssicherheit. Die Schließer trugen noch die Uniform der Kasernierten Volkspolizei; die Vernehmungsoffiziere waren wie Offiziere der Russischen Armee gekleidet. Die Stasi war noch jung.

      Schöne wurde niemals nachts verhört, im Gegensatz zu vielen seiner Leidensgenossen. Der Fall war ohnehin klar. „Ich habe nichts abgestritten“, erzählt Schöne.

      Einer Schuld im Sinne der Anklage war sich der 26jährige nicht bewußt: Die Klage, die er kurz vor dem Prozeß erstmals für eine halbe Stunde lesen durfte und dann wieder abgeben mußte, lautete auf Militärspionage gemäß Kontrollratsdirektive 38 und Artikel 6 der DDR-Verfassung. Beweis: Er war nach West-Berlin gefahren. Sein Pflichtverteidiger riet ihm dringend, sich nicht zu verteidigen. Der Anwalt unternahm derlei selbst auch nicht für seinen Mandanten.

      Urteil: Zwei Jahre.

      Schöne verbüßte die Strafe in Zwickau beim Bergbau.

      Nach 15 Monaten Schwerstarbeit kehrte Schöne 1953 an seinen Arbeitsplatz auf dem Frankfurter Bahnhof zurück – zum Schweigen nicht verpflichtet, aber schweigend, als wäre nichts gewesen, wie auch die Kollegen keine Fragen hatten.

      Er machte Karriere, wurde Rangierleiter, gründete eine Familie.

      Kurz vor dem Mauerbau wies Schöne das Ansinnen des Stasimanns Günter K., er möge als Inoffizieller Mitarbeiter den Zuträger für den Geheimdienst spielen, mit den Worten ab: „Ich bin Eisenbahner, kein Spitzel.“

      K. daraufhin: „Gut. Wir sehen uns wieder.“

      Ende August 1961 rief man Schöne ins Büro des Bahnhofvorstehers. Drei Mann in Zivil erwarteten ihn. Stasi.

      Festnahme, Untersuchungshaft: „Fortgesetzte staatsgefährdende Hetze“ und „Morddrohung“ hielt ihm die Klageschrift vor, die er nach drei Monaten Untersuchungshaft für eine halbe Stunde vor dem Prozeß zu sehen bekam.

      Denunzianten hatten „dumme Sprüche“ Werner Schönes, die als Witz gemeint waren, aus dem Kollegenkreis zur Stasi getragen. Für den Geheimdienst kam das gerade recht.

      In der Untersuchungshaftanstalt führte K. das Verhör. Seine einleitenden Worte: „Ich hatte doch gesagt, wir sehen uns wieder.“

      Das Urteil: Zwei Jahre.

      Schöne wurde nach Sachsen zum Zuchthaus Waldheim gebracht, wo er im Versand des gefängniseigenen Spinnereimaschinenbaus arbeitete. Nach der Internierung und der Bergbau-Arbeit empfand er die Haft diesmal als nicht zu hart. Weihnachten 1962 – Schöne erinnert sich unter Tränen – wurde er „ohne Ankündigung“ auf Bewährung entlassen. „Ich dachte noch, ich werd’ verscheißert. Das war da eine übliche Schikane, einem zu sagen: Du kommst raus, und dann ist nischt. Aber da war ein Wachtmeister, der sagte: Ich verscheißere keinen, Du kommst raus.“

      Ende Januar 1963, nur vier Wochen nach seiner Entlassung, wurde Werner Schöne erneut in die Chefetage des Frankfurter Bahnhofs zitiert. In die Kaderabteilung.

      „Jeder wußte, das ist Stasi.“

      Sein alter Bekannter Günter K. drohte: „Du wirst Inoffizieller Mitarbeiter oder gehst wieder in den Knast. Mindestens für zehn Jahre.“

      Schöne: „Da habe ich zugesagt.“

      Rund 180 000 Meter Akten lagern in den Archiven des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Millionen Seiten Geschichte und Politik der DDR, Schicksale von DDR-Bürgern. Tätern und Opfern.

      Trotz der schieren Größe des Unternehmens war die Staatssicherheit nicht, wie oft leichthin behauptet, ein „Staat im Staate“. Die Stasi verwaltete keine eigenen Machtansprüche. Sie war „Schild und Schwert“ der Staatspartei SED, und damit das Rückgrat der Parteimacht, die gegen ihre „Feinde“ zu verteidigen war.

      In dem Verdacht, ein „Feind“ zu sein, stand theoretisch jeder, der sich nicht in der SED engagierte und nicht unablässig seine Zustimmung zu den Zielen der Partei äußerte. Was die Ziele der Partei sind, bestimmte deren höchstes Gremium, das Zentralkomitee, dessen Exekutivorgan, das Politbüro, praktisch allmächtig war.

      Die Stasi war das Scharnier zwischen Partei und Staat: Sie besorgte und überwachte die Gleichschaltung aller Lebensbereiche, indem sie Einfluß auf die anderen Parteien, Massenorganisationen, Behörden, Betriebe oder Personen ausübte und Parteien, Organisationen, Behörden, Betriebe und Personen überwachte. Dem diktatorischen Feindbild – „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ – entsprach ihre Arbeitsweise ­– sie war an nichts als den Willen der Parteiführung gebunden, verstieß gegen geltendes Recht, ohne selbst eine Strafverfolgung fürchten zu müssen.

      Bei oberflächlicher Betrachtung des vorhandenen Materials ist via Vermittlung durch die Medien vielfach der falsche Eindruck entstanden, jeder DDR-Bürger sei entweder Mitarbeiter der Stasi gewesen oder auf Schritt und Tritt verfolgt worden, und daß es nur eines unbedachten Wortes bedurft habe, um in Schwierigkeiten zu geraten.

      Die Stasi hatte Zeit ihrer Existenz an dieser Legende von Allmacht und Allwissenheit selbst gearbeitet.

      Und sie war wirklich fast überall vertreten. Wo sie nicht vertreten war, verlangte sie Herausgabe von Informationen oder warb nach Möglichkeit Inoffizielle Mitarbeiter an.

      Doch ergab die Arbeit des Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, daß durchschnittlich nicht mehr als zwei Prozent der DDR-Bürger haupt- oder nebenamtlich Stasi-Mitarbeiter waren. Von den übrigen ist etwa jeder Dritte in einer Akte erfaßt worden. Die meisten dieser Akten sind kein

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