Seine Exzellenz Eugene Rougon. Emile Zola
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Читать онлайн книгу Seine Exzellenz Eugene Rougon - Emile Zola страница 10
Die Arme verschränkt, den großen Körper wiegend, atmete er tief. Und Herr Kahn sprach nicht mehr von seiner Angelegenheit. Er ahmte Herrn Du Poizats gleichgültige Miene nach, bestrebt, vollständige Unbefangenheit an den Tag zu legen. Delestang hatte einen anderen Kasten in Angriff genommen, er machte hinter den beiden Sesseln so wenig Geräusch, daß man es zuweilen für das leise Geraschel einer Schar Mäuse halten konnte, die in den Aktenstößen spielten. Die Sonne, die über den roten Teppich wanderte, schnitt in den Schreibtisch einen Winkel blonden Lichts, in dem noch immer ganz bleich die Kerze brannte.
Inzwischen hatte ein vertrauliches Geplauder begonnen. Rougon, der jetzt wieder Bündel verschnürte, versicherte, die Politik sei nichts für ihn. Er lächelte gutmütig, während seine Lider, wie vor Müdigkeit, wieder über das Flammen seiner Augen sanken. Er hätte gern riesige Ländereien zu bestellen gehabt, mit Feldern, die er nach seinem Belieben bearbeiten würde, mit Viehherden, Pferden, Rindern, Schafen, Hunden, deren unumschränkter Gebieter er wäre. Und er erzählte, daß einst in Plassans, als er noch nichts weiter als ein kleiner Provinzadvokat gewesen, seine größte Freude darin bestanden habe, im Kittel loszuziehen und tagelang in den Schluchten der Seille zu jagen, wo er Adler abgeschossen habe. Er nannte sich einen Bauern, sein Großvater habe noch auf dem Felde schuften müssen. Dann fing er an, den der vornehmen Welt überdrüssigen Mann zu spielen. Die Macht langweile ihn. Er werde den Sommer auf dem Lande verbringen. Nie habe er sich unbeschwerter gefühlt als seit diesem Morgen; und er zuckte so gewaltig mit seinen starken Schultern, als würfe er eine Last ab.
»Was haben Sie hier als Präsident gehabt? Achtzigtausend Francs?« fragte Herr Kahn.
Rougon bejahte mit einer Kopfbewegung.
»Und nun bleiben Ihnen nur Ihre dreißigtausend Francs als Senator.«
Was ihm das ausmache! Er könne von nichts leben, denn er habe keine Laster, was übrigens stimmte. Weder Spieler noch Schürzenjäger, noch Schlemmer. Er sehne sich nur danach, Herr in seinem Hause zu sein, nach nichts sonst. Und unausweichlich kam er auf seine Idee von einem Bauernhof zurück, wo ihm alle Tiere gehorchen würden. Sein Ideal sei, eine Peitsche zu haben und zu befehlen, allen überlegen, klüger und stärker als alle zu sein. Nach und nach wurde er lebhaft, sprach von den Tieren, wie er von Menschen gesprochen haben würde, und behauptete, die Massen liebten den Stock, die Hirten lenkten ihre Herden nur mit Steinwürfen. Er verwandelte sich förmlich, seine dicken Lippen blähten sich vor Verachtung, das ganze Gesicht strotzte von Kraft. In der geballten Faust schwang er ein Aktenbündel und schien nahe daran zu sein, es Herrn Kahn und Herrn Du Poizat, die dieser plötzliche Leidenschaftsausbruch in Unruhe und Verlegenheit versetzte, an den Kopf zu werfen.
»Der Kaiser hat sehr schlecht gehandelt«, murmelte Du Poizat.
Da beruhigte sich Rougon plötzlich. Sein Gesicht wurde wieder grau, sein Körper sackte mit der Plumpheit eines fettleibigen Mannes zusammen. Er begann den Kaiser in übertriebener Weise zu loben: der besitze einen mächtigen Verstand, einen Geist von unglaublicher Tiefe. Du Poizat und Herr Kahn wechselten einen raschen Blick. Aber Rougon überbot sich noch, indem er von seiner Ergebenheit redete und ganz demutsvoll sagte, er sei immer stolz darauf gewesen, nichts weiter als ein einfaches Werkzeug in den Händen Napoleons III. zu sein. Schließlich machte er sogar Du Poizat, einen Burschen von unangenehmer Lebhaftigkeit, ungeduldig. Und ein Streit entspann sich. Du Poizat sprach bitter von all dem, was Rougon und er von 1848 bis 1851 für das Kaiserreich getan hätten, während sie bei Frau Mélanie Correur am Hungertuch nagten. Er erzählte von den schrecklichen Tagen, vor allem während des ersten Jahres, Tagen, die sie damit verbrachten, im Schmutz von Paris herumzupatschen, um Parteigänger zu werben. Später hatten sie zwanzigmal ihre Haut zu Markte getragen. War es nicht Rougon gewesen, der sich am Morgen des 2. Dezember an der Spitze eines Linienregiments des PalaisBourbon20 bemächtigt hatte? Bei diesem Spiel ging es um den Kopf. Und heute gab man ihn preis, wurde er das Opfer einer Hofintrige. Aber Rougon widersprach; man habe ihn nicht preisgegeben; er ziehe sich aus persönlichen Gründen zurück. Als dann Du Poizat, vollends in Schwung geraten, die Leute in den Tuilerien »Schweine« schimpfte, brachte ihn Rougon zum Schweigen, indem er dem Palisanderschreibtisch einen solchen Faustschlag versetzte, daß es krachte.
»Dumm ist das alles!« sagte er nur.
»Sie gehen ein wenig zu weit«, murmelte Herr Kahn.
Delestang, sehr bleich geworden, hatte sich hinter die Sessel gestellt. Leise öffnete er die Tür, um nachzusehen, ob niemand lausche. Doch im Vorzimmer bemerkte er nur die hohe Silhouette Merles, dessen ihm zugewandter Rücken wie die Verschwiegenheit selber wirkte. Rougons Worte hatten Du Poizat erröten lassen; nüchtern geworden, verstummte er nun und kaute mit verdrossener Miene auf seiner Zigarre herum.
»Zweifellos hat der Kaiser nicht die richtigen Leute um sich«, fing Rougon nach einer Pause wieder an. »Ich habe mir erlaubt, ihm das zu sagen, und er hat gelächelt. Er hat sogar zu scherzen geruht, indem er hinzufügte, daß meine Umgebung nicht mehr tauge als die seine.«
Du Poizat und Herr Kahn lachten gezwungen. Sie fanden den Ausspruch sehr hübsch.
»Aber ich wiederhole«, fuhr Rougon in einem eigentümlichen Ton fort, »ich ziehe mich aus freien Stücken zurück. Wenn man Sie fragt, die Sie zu meinen Freunden gehören, so versichern Sie, daß es mir noch gestern abend freigestanden habe, meine Demission zurückzunehmen ... Erklären Sie auch das Altweibergeschwätz für Lüge, das in bezug auf die RodriguezAngelegenheit umgeht, aus der man, wie es scheint, einen ganzen Roman macht. Vielleicht habe ich in dieser Sache nicht mit der Mehrheit des Staatsrates übereingestimmt, und das hat gewiß zu Reibungen geführt, die meinen Rücktritt beschleunigt haben. Aber ich hatte ältere und schwerwiegendere Gründe. Ich war schon lange entschlossen, die hohe Stellung aufzugeben, die ich dem Wohlwollen des Kaisers verdankte.«
Diesen ganzen Erguß begleitete er mit einer Geste der rechten Hand, wie er sie im Übermaß anzuwenden pflegte, wenn er vor der Kammer sprach. Seine Erklärungen waren augenscheinlich für die Öffentlichkeit bestimmt. Herr Kahn und Du Poizat, die ihren Rougon kannten, versuchten durch schlau geführte Reden, die eigentliche Wahrheit in Erfahrung zu bringen. Der große Mann, wie sie ihn unter sich vertraulich nannten, mußte irgendein ungeheures Spiel treiben. Sie brachten das Gespräch auf die Politik im allgemeinen. Rougon machte sich über das parlamentarische System lustig, das er den »Misthaufen der Mittelmäßigkeiten« nannte. Die Abgeordnetenkammer genieße seiner Ansicht nach noch eine sinnlose Freiheit. Dort werde viel zuviel geredet. Frankreich müsse von einem gut zusammengesetzten Apparat regiert werden, an der Spitze der Kaiser, unten, auf die Funktion eines Räderwerks beschränkt, die großen Körperschaften und die Beamten. Er lachte, und seine Brust hüpfte, während er mit einer rasenden Verachtung für die Dummköpfe, die eine starke Regierung forderten, sein System übertrieben pries.
»Aber«, unterbrach ihn Herr Kahn, »der Kaiser oben, alle anderen unten, das ist nur für den Kaiser vergnüglich!«
»Wenn man sich langweilt, geht man eben«, sagte Rougon gelassen.
Er lächelte und fügte dann hinzu: »Man wartet ab, bis es unterhaltsam wird, und kommt dann wieder.«
Eine