Seine Exzellenz Eugene Rougon. Emile Zola

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Seine Exzellenz Eugene Rougon - Emile Zola Die Rougon-Macquart

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er versenkte wieder den Kopf in das Pappfach, das er gerade durchstöberte. Rougon, der eine Handvoll Papiere zusammengedreht hatte, zündete sie an der Kerze an und warf sie dann in eine große Bronzeschale, die auf einer Ecke des Schreibtisches stand. Er sah zu, wie sie verbrannten.

      »Delestang, die unteren Fächer rühren Sie mir bitte nicht an«, sagte er. »Darin sind Akten, in denen nur ich mich auskenne.«

      Dann setzten beide eine reichliche Viertelstunde lang schweigend ihre Tätigkeit fort. Es war sehr schönes Wetter, die Sonne schien durch die drei großen Fenster, die auf die Uferstraße hinausgingen. Eines der Fenster, das einen Spalt breit offenstand, ließ den leichten kühlen Luftzug von der Seine herein, der mitunter ein wenig die seidenen Fransen der Vorhänge hob. Zerknitterte, auf den Teppich geworfene Papiere flatterten mit leisem Rascheln weiter.

      »Hier, sehen Sie doch mal dies«, sagte Delestang und reichte Rougon einen Brief, den er soeben gefunden hatte.

      Rougon las den Brief und zündete ihn gelassen an der Kerze an. Es war ein delikater Brief. Und sie plauderten in abgerissenen Sätzen, sich jeden Augenblick unterbrechend, die Nase in allerlei Papierkram. Rougon dankte Delestang dafür, daß er gekommen sei, ihm zu helfen. Dieser »liebe Freund« war der einzige, mit dem er unbekümmert die schmutzige Wäsche seiner fünf Präsidentschaftsjahre waschen konnte. Er hatte ihn in der Gesetzgebenden Versammlung kennengelernt, wo sie nebeneinander auf derselben Bank gesessen hatten. Dort hatte er eine echte Zuneigung zu diesem schönen Mann empfunden, wobei er ihn gleichzeitig köstlich dumm, hohl und stolz fand. Für gewöhnlich pflegte er mit überzeugter Miene zu sagen, daß »dieser verteufelte Delestang es weit bringen« werde. Und er förderte ihn, band ihn durch Dankbarkeit an sich, benutzte ihn wie ein Möbel, in das er alles verschloß, was er nicht mit sich herumtragen konnte.

      »Wie dumm ist man doch, daß man Papiere aufhebt!« meinte Rougon, während er ein anderes überquellendes Schubfach öffnete.

      »Da ist ein Brief von einer Frau«, sagte Delestang mit einem Augenzwinkern.

      Rougon lachte herzlich. Seine ganze breite Brust schütterte. Protestierend nahm er den Brief. Sobald er die ersten Zeilen überflogen hatte, rief er: »Den hat der kleine d'Escorailles versehentlich hiergelassen! – Hübsche Zettelchen übrigens, solche Briefchen! Man bringt es weit mit drei Zeilen von einer Frau.«

      Und während er den Brief verbrannte, fügte er hinzu: »Sie wissen, Delestang, man soll sich vor den Frauen hüten!«

      Delestang senkte den Kopf. Immer steckte er in irgendeiner heiklen Liebesaffäre. 1851 hätte er sogar fast seine politische Zukunft gefährdet; damals war er leidenschaftlich in die Frau eines sozialistischen Abgeordneten verliebt, und um sich ihrem Gatten angenehm zu machen, stimmte er meist für die Opposition, gegen das Elysée18. Daher traf ihn der 2. Dezember19 wie ein wahrer Keulenschlag. Zwei Tage lang schloß er sich ein, hilflos, am Ende, zerschmettert, zitternd vor Angst, daß jeden Augenblick jemand kommen und ihn verhaften würde. Rougon hatte ihn aus dieser bösen Klemme retten müssen; er hatte ihn veranlaßt, nicht mehr bei den Wahlen in Erscheinung zu treten, und ihn ins Elysée gebracht, wo er eine Stellung als Staatsrat für ihn ergatterte. Delestang, Sohn eines Weinhändlers aus Bercy, ehemals Anwalt, Eigentümer eines Musterguts in der Nähe von Sainte Menehould, war mehrere Millionen schwer und bewohnte in der Rue du Colisée ein äußerst elegantes Stadthaus.

      »Ja, hüten Sie sich vor den Frauen«, wiederholte Rougon, der nach jedem Wort eine Pause machte, um einen Blick in die Aktenstücke zu werfen. »Wenn die Frauen einem keine Krone aufs Haupt setzen, legen sie einem einen Strick um den Hals ... In unserem Alter muß man nämlich mit seinem Herzen ebenso pfleglich umgehen wie mit seinem Magen.«

      In diesem Augenblick erhob sich im Vorzimmer großer Lärm. Man hörte die Stimme Merles, der jemandem den Eintritt verwehrte. Und plötzlich kam mit den Worten: »Zum Teufel, ich muß ihm die Hand drücken, diesem teuren Freund«, ein kleiner Mann herein.

      »Sieh da, Du Poizat!« rief Rougon, ohne aufzustehen.

      Und als Merle heftige Gebärden machte, um sich zu entschuldigen, befahl er ihm, die Tür zu schließen.

      Dann sagte er ruhig:

      »Ich glaubte Sie in Bressuire ... Man läßt also seine Unterpräfektur im Stich wie eine alte Geliebte.«

      Du Poizat, ein schmächtiger Mann mit einem kleinen, verschlagenen Gesicht und sehr weißen, unregelmäßig stehenden Zähnen, zuckte leicht mit den Achseln.

      »Ich bin seit heute morgen geschäftlich in Paris und wollte Ihnen erst abends in der Rue Marbeuf die Hand drücken. Ich hätte Sie zum Essen eingeladen ... Aber nachdem ich den ›Moniteur‹ gelesen hatte ...«

      Er zog einen Sessel an den Schreibtisch heran, ließ sich ungeniert Rougon gegenüber nieder.

      »Hören Sie mal, was geht denn eigentlich vor? Da komme ich von weit hinten aus dem Departement DeuxSèvres ... Ich hatte zwar da unten schon von irgendwas Wind bekommen. Aber ich war weit davon entfernt, zu ahnen ... Warum haben Sie mir nicht geschrieben?«

      Jetzt zuckte Rougon seinerseits mit den Achseln. Es war klar, Du Poizat hatte dort unten erfahren, daß Rougon in Ungnade gefallen war, und kam nun angerannt, um zu sehen, ob es hier keinen Strohhalm gäbe, an den er sich klammern könnte. Rougon blickte ihm bis in die Seele, als er sagte: »Ich hätte Ihnen heute abend geschrieben ... Reichen Sie Ihren Rücktritt ein, mein Bester ...«

      »Das ist alles, was ich wissen wollte, ich werde meinen Rücktritt einreichen«, erwiderte Du Poizat nur.

      Und vor sich hin pfeifend, stand er auf.

      Als er mit kleinen Schritten auf und ab ging, bemerkte er Delestang, der inmitten eines wüsten Haufens von Pappschachteln auf dem Teppich kniete. Schweigend gab er ihm die Hand. Dann zog er eine Zigarre aus der Tasche und steckte sie an der Kerze an.

      »Da man umzieht, darf man auch rauchen«, sagte er, während er sich abermals in den Sessel niederließ. »Umziehen ist lustig!«

      Rougon war in einen Stoß Papiere vertieft, die er mit größter Aufmerksamkeit las. Er sortierte sie sorgfältig, verbrannte die einen, bewahrte andere auf. Du Poizat blies mit zurückgelehntem Kopf dünne Rauchfäden aus dem Mundwinkel und sah Rougon bei seinem Tun zu. Sie hatten sich ein paar Monate vor der Februarrevolution kennengelernt. Damals wohnten beide bei Frau Mélanie Correur, im Hôtel Vanneau in der Rue Vanneau. Du Poizat lebte als ihr Landsmann dort; er war ebenso wie Frau Correur in Coulonges, einer kleinen Stadt im Arrondissement Niort, geboren. Sein Vater, ein Gerichtsvollzieher, hatte ihn zum Rechtsstudium nach Paris geschickt, wohin er ihm monatlich hundert Francs für den Lebensunterhalt zahlte, obgleich er schöne runde Summen verdiente, indem er Geld auf kurze Zeit zu hohen Zinsen auslieh; das Vermögen dieses Biedermannes blieb selbst in seiner Heimatgegend so unerklärlich, daß man ihn verdächtigte, in irgendeinem alten Schrank, dessen gerichtliche Beschlagnahme er durchgeführt hatte, einen Schatz gefunden zu haben. Seit den ersten Anfängen der bonapartistischen Propaganda machte sich Rougon diesen mageren Burschen zunutze, der wütend und mit beunruhigendem Lächeln seine monatlichen hundert Francs aufbrauchte; und sie beteiligten sich gemeinsam an den verfänglichsten Unternehmungen. Als später Rougon in die Gesetzgebende Versammlung einzutreten wünschte, war es Du Poizat, der mit aller Gewalt seine Wahl im Departement DeuxSèvres durchsetzte. Nach dem Staatsstreich arbeitete dann Rougon seinerseits für Du Poizat, indem er ihn zum Unterpräfekten in Bressuire ernennen ließ. Der junge Mann, kaum dreißig Jahre alt, hatte in seiner Heimat seinen Erfolg auskosten wollen, ein paar Meilen von seinem Vater entfernt, dessen Geiz ihn seit seinem Abgang vom Gymnasium marterte.

      »Und

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