Seine Exzellenz Eugene Rougon. Emile Zola

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Seine Exzellenz Eugene Rougon - Emile Zola Die Rougon-Macquart

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»Er hat sein letztes Dienstmädchen weggejagt, weil sie drei Pfund Brot gegessen hat. Jetzt hat er zwei geladene Gewehre hinter der Tür stehen, und wenn ich zu ihm gehe, muß ich mich über die Hofmauer hinweg in Unterhandlungen einlassen.«

      Während der Unterhaltung hatte sich Du Poizat vorgebeugt und wühlte mit den Fingerspitzen in der Bronzeschale, in der noch halbverbrannte Papierstücke lagen. Rougon, der dieses Spiel bemerkt hatte, hob mit einem Ruck den Kopf. Er hatte vor seinem ehemaligen Kampfgefährten, dessen unregelmäßig stehende weiße Zähne denen eines jungen Wolfs glichen, immer eine leise Angst empfunden. Einst, als sie noch zusammen arbeiteten, war er stets sehr darum besorgt gewesen, ihm auch nicht das geringste kompromittierende Aktenstück in den Händen zu lassen. Deshalb warf er jetzt, als er sah, daß jener die unversehrt gebliebenen Wörter zu lesen versuchte, eine Handvoll brennender Briefe in die Schale. Du Poizat verstand vollkommen. Aber er lächelte, scherzte.

      »Das ist das Großreinemachen«, meinte er. Und er ergriff eine lange Schere und bediente sich ihrer als Pinzette. Er steckte die Briefe, die am Erlöschen waren, aufs neue an der Kerze an, ließ die allzu fest zusammengedrückten Papierknäuel in der Luft verbrennen und rührte in den glimmenden Überresten wie in dem flammenden Alkohol einer Punschbowle. In der Schale flogen leuchtende Funken umher, indes bläulicher Rauch aufstieg und langsam zu dem offenen Fenster zog. Die Kerze begann zuweilen zu flackern und brannte dann wieder mit einer ganz geraden, sehr hohen Flamme.

      »Ihre Kerze sieht aus wie ein Kirchenlicht«, sagte Du Poizat grinsend. »Oh, was für ein Begräbnis, mein armer Freund! Wie viele Tote muß man in die Asche betten!«

      Rougon war im Begriff zu antworten, als abermals Lärm aus dem Vorzimmer drang. Zum zweitenmal verwehrte Merle jemandem den Eintritt. Und als die Stimmen lauter wurden, sagte Rougon: »Delestang, seien Sie doch so liebenswürdig und sehen Sie nach, was da vor sich geht. Wenn ich mich blicken lasse, fällt man über uns her.«

      Delestang öffnete behutsam die Tür, die er hinter sich wieder schloß. Aber fast im selben Augenblick steckte er den Kopf herein und flüsterte: »Kahn ist hier.«

      »Nun gut, soll er hereinkommen«, entschied Rougon. »Aber nur er, hören Sie!«

      Und er rief Merle herbei, um diesem seine Anordnungen zu wiederholen.

      »Ich bitte um Entschuldigung, mein lieber Freund«, sagte er, sich Kahn zuwendend, als der Türhüter hinausgegangen war. »Aber ich bin so beschäftigt ... Setzen Sie sich neben Du Poizat und rühren Sie sich nicht, sonst werfe ich Sie alle beide hinaus.«

      Den Abgeordneten schien dieser ungehobelte Empfang nicht im geringsten zu berühren. Er war an Rougons Eigentümlichkeiten gewöhnt. Er nahm einen Sessel, setzte sich neben Du Poizat, der sich eine zweite Zigarre ansteckte. Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, begann er: »Es ist schon heiß ... Ich komme aus der Rue Marbeuf, ich glaubte, Sie noch zu Hause anzutreffen.«

      Rougon antwortete nicht, es entstand eine Pause. Er zerknüllte Papiere und warf sie in einen Korb, den er zu sich herangezogen hatte.

      »Ich muß mit Ihnen reden«, fing Herr Kahn an.

      »Reden Sie, reden Sie«, sagte Rougon. »Ich höre Ihnen zu.«

      Aber der Abgeordnete schien ganz plötzlich die Unordnung zu bemerken, die im Zimmer herrschte.

      »Was machen Sie denn?« fragte er mit vollendet gespieltem Erstaunen. »Wechseln Sie das Arbeitszimmer?«

      Er hatte den Ton so gut getroffen, daß Delestang die Freundlichkeit besaß, aufzustehen, um Herrn Kahn einen »Moniteur« hinzureichen.

      »O mein Gott!« rief Herr Kahn, sobald er einen Blick auf die Zeitung geworfen hatte. »Ich dachte, die Sache sei seit gestern abend beigelegt. Das ist ein wahrer Blitzschlag ... Mein lieber Freund ...«

      Er war aufgesprungen und drückte Rougon die Hände. Der sah ihn schweigend an; auf seinem vollen Gesicht zogen sich zwei große spöttische Falten scharf an den Mundwinkeln vorbei. Und da Du Poizat den Gleichgültigen spielte, vermutete er, daß sich die beiden am Vormittag getroffen hätten, um so mehr, als Herr Kahn versäumt hatte, erstaunt zu scheinen, als er den Unterpräfekten erblickte. Der eine mußte in den Staatsrat gegangen sein, während der andere in die Rue Marbeuf lief. Auf diese Weise waren sie sicher, ihn nicht zu verfehlen.

      »Nun, Sie hatten mir etwas zu sagen?« fragte Rougon in seiner gelassenen Art.

      »Sprechen wir nicht mehr davon, mein lieber Freund«, rief der Abgeordnete. »Sie haben Verdrießlichkeiten genug. Ich werde Sie an einem solchen Tage ganz gewiß nicht mit meinen kleinen Kümmernissen quälen.«

      »Nein, lassen Sie sich dadurch nicht stören. Reden Sie nur.«

      »Je nun, es ist wegen meiner Angelegenheit. Sie wissen ja, wegen dieser verwünschten Konzession ... Ich bin sogar froh, daß Du Poizat hier ist. Er wird uns einige Aufschlüsse geben können.«

      Und er setzte lang und breit auseinander, wie weit seine Angelegenheit gediehen war. Es handelte sich um eine Eisenbahnlinie von Niort nach Angers, einen Plan, den er seit drei Jahren hegte. Allerdings führte der Schienenstrang über Bressuire, wo er Hochöfen besaß, deren Wert sich dadurch verzehnfachen sollte; einstweilen hielt sich das Unternehmen nur gerade so, wegen der Transportschwierigkeiten. Ferner bot die Verwirklichung des Projekts die Aussicht, höchst erfolgreich im trüben fischen zu können. Deshalb entfaltete Herr Kahn eine ungeheure Betriebsamkeit, um die Konzession zu erhalten; Rougon unterstützte ihn nachdrücklich, und die Konzession sollte gerade erteilt werden, als Herr de Marsy, der Innenminister, einerseits ärgerlich darüber, daß er an dem Geschäft, bei dem er prächtige Spekulationsgewinne witterte, nicht beteiligt war, andererseits sehr begierig darauf, Rougon Unannehmlichkeiten zu bereiten, den ganzen Einfluß seiner hohen Stellung dazu verwandte, gegen den Plan anzukämpfen. Er hatte sogar kürzlich mit der Dreistigkeit, die ihn so gefürchtet machte, die Konzession durch den Minister für öffentliche Arbeiten dem Direktor der WestbahnGesellschaft anbieten lassen; und er verbreitete das Gerücht, einzig diese Gesellschaft sei imstande, den Bau einer Zweigbahn, der ernsthafte Garantien erfordere, erfolgreich durchzuführen. Herr Kahn würde dabei hart mitgenommen werden. Der Sturz Rougons mußte ihn vollends ruinieren.

      »Gestern habe ich erfahren«, sagte er, »daß ein Ingenieur jener Gesellschaft beauftragt worden ist, eine neue Streckenführung zu prüfen ... Haben Sie davon Wind gehabt, Du Poizat?«

      »Gewiß«, antwortete der Unterpräfekt. »Man hat sogar schon mit der Prüfung angefangen ... Man versucht, den Bogen zu vermeiden, den Sie machen wollten, um Bressuire zu berühren. Die Strecke wird in gerader Richtung über Parthenay und Thouars verlaufen.«

      Der Abgeordnete machte eine mutlose Gebärde.

      »Das ist ja Schikane«, knurrte er. »Was würde es ihnen ausmachen, die Strecke an meinem Hüttenwerk vorbeizuführen? – Aber ich werde Einspruch erheben, ich werde eine Denkschrift gegen ihre Streckenführung verfassen ... Ich fahre mit Ihnen nach Bressuire zurück.«

      »Nein, warten Sie nicht auf mich«, entgegnete Du Poizat lächelnd. »Ich werde wohl meinen Rücktritt einreichen.«

      Herr Kahn ließ sich, wie von einer endgültigen Katastrophe getroffen, in seinen Sessel sinken. Mit beiden Händen rieb er seine Bartfräse und blickte flehend Rougon an. Der hatte seine Akten hingelegt. Die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, hörte er zu.

      »Sie möchten einen Rat haben, nicht wahr?« sagte er schließlich mit harter Stimme. »Nun gut, verhalten Sie sich ganz still, meine teuren Freunde, bemühen Sie sich

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