Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi

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Anna Karenina | Krieg und Frieden - Leo Tolstoi

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war, hervor und machte sich mit einem Buche auf dem Chorpult zu schaffen.

      Stepan Arkadjewitsch ging leise zu ihm, flüsterte ihm etwas zu und trat dann, nachdem er noch Ljewin mit den Augen zugewinkt hatte, wieder zurück.

      Der Geistliche zündete zwei mit Blumen bemalte Kerzen an, die er in der linken Hand schräg hielt, so daß das Wachs langsam von ihnen heruntertropfte, und wandte sich dann mit dem Gesicht dem Brautpaare zu. Es war derselbe Geistliche, bei dem Ljewin gebeichtet hatte. Er sah mit müdem, traurigem Blicke den Bräutigam und die Braut an, seufzte, streckte die rechte Hand unter dem Meßgewand hervor und segnete mit ihr den Bräutigam; ebenso, aber mit einer leisen Spur von behutsamer Zärtlichkeit, legte er dann die eng zusammengehaltenen Finger auf Kittys gesenktes Haupt. Darauf reichte er ihnen die Kerzen, ergriff das Räucherfaß und trat von ihnen zurück.

      ›Ist denn das alles wahr?‹ dachte Ljewin und blickte seine Braut an. Er sah ihr Profil ein wenig von oben her und merkte an einer ganz leisen Bewegung ihrer Lippen und Wimpern, daß sie seinen Blick fühlte. Sie sah nicht nach ihm hin; aber ihr hoher, gefältelter Kragen bewegte sich leise und hob sich bis an ihr kleines, rosiges Ohr. Er sah, daß sie einen Seufzer in der Brust zurückhielt und daß die kleine Hand, mit der sie die Kerze hielt, in dem hoch hinaufreichenden Handschuh zitterte.

      Sein ganzer Ärger mit dem Hemd und der Verspätung, das Gerede der Bekannten und Verwandten, ihre Unzufriedenheit, seine lächerliche Lage: alles war auf einmal verschwunden, und es wurde ihm freudig und bang zugleich zumute.

      Der schöne, hochgewachsene Protodiakon im silberverzierten Chorrock, mit kunstvoll gekräuselten, nach den Seiten auseinandergekämmten starren Locken, trat mit energischen Schritten vor, hob mit einer ihm durch die Übung geläufigen Bewegung die Stola mit zwei Fingern in die Höhe und blieb vor dem Geistlichen stehen.

      »Seg-ne uns, o Herr!« ertönten die feierlichen Klänge langsam, einer nach dem andern, und versetzten die Luft in schwankende Wellenbewegung.

      »Gelobt sei unser Gott allzeit, heut und immerdar und in die Ewigkeiten der Ewigkeiten«, antwortete demütig und in singendem Tone der alte Geistliche, indem er fortfuhr, an dem Chorpult in einem Buche zu blättern. Und von einem unsichtbaren Chore gesungen, erklang, die ganze Kirche von den Fenstern bis zu den Deckengewölben erfüllend, harmonisch in volltönendem Akkorde das Amen, schwoll immer mehr an Stärke an, schien dann einen Augenblick in derselben Stärke anzuhalten und erstarb zuletzt leise.

      Es wurde, wie immer, um den Frieden von oben her und um das Heil der Seelen gebetet, für den Synod, für den Kaiser; gebetet wurde auch für den Knecht Gottes Konstantin und die Magd Gottes Jekaterina, die jetzt das kirchliche Verlöbnis begingen.

      »Daß er ihnen herniedersende die allervollkommenste, allerfriedlichste Liebe und seine Hilfe, das erbitten wir von Gott!« sang der Protodiakon, und das ganze Kirchengebäude schien mitzusingen.

      Ljewin hörte diese Worte, und sie machten ihn betroffen. ›Wie haben sie es erraten können, daß ich Hilfe nötig habe, gerade Hilfe?‹ dachte er in Erinnerung an all die Beängstigungen und Zweifel, die er erst ganz kürzlich durchgemacht hatte. ›Was weiß und verstehe ich denn hierbei aus eigener Macht? Was vermag ich dieser furchtbaren Aufgabe gegenüber ohne Hilfe?‹ dachte er. ›Hilfe habe ich jetzt nötig, ja gerade Hilfe.‹

      Als der Protodiakon das Responsorium beendet hatte, wandte sich der Geistliche mit dem Buch zu dem Brautpaar herum:

      »Ewiger Gott, der Du die Entfernten zusammengeführt hast zur Vereinigung«, las er mit sanfter, singender Stimme, »und das unzerreißbare Band der Liebe um sie geschlungen hast, der Du Isaak und Rebekka gesegnet und zu Erben Deiner Verheißung gemacht hast: segne Du selbst auch diese Deine Knechte, Konstantin und Jekaterina, und leite sie zu allem Guten. Denn Du bist ein gütiger und gnädiger Gott, und wir lobsingen Dir, dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste, heut und immerdar, und die Ewigkeiten der Ewigkeiten.« – »Amen!« flutete wieder der Gesang des unsichtbaren Chores durch den Raum.

      »Der Du die Entfernten zusammengeführt hast zur Vereinigung und das Band der Liebe um sie geschlungen hast« – ›wie tiefsinnig sind diese Worte, und wie genau entsprechen sie dem, was man in einem solchen Augenblicke fühlt!‹ dachte Ljewin. ›Ob sie wohl dasselbe fühlt wie ich?‹

      Und nach ihr hinschauend, begegnete er ihrem Blicke.

      Aus dem Ausdruck ihres Blickes schloß er, daß sie dieselben Gedanken habe wie er. Aber diese Annahme traf nicht zu: sie hatte überhaupt fast kein Wort von dem Gottesdienste verstanden und während der Verlobung durch den Priester nicht einmal danach hingehört. Sie war nicht imstande, diese Worte zu hören und zu verstehen; so mächtig war bei ihr das eine Gefühl, das ihre Seele erfüllte und sich immer mehr und mehr steigerte. Dieses Gefühl war die Freude über die abschließende Vollendung dessen, was nun schon anderthalb Monate lang sich in ihrer Seele vollzogen hatte und im Laufe dieser ganzen sechs Wochen ihre Wonne und ihre Qual gewesen war. In ihrer Seele hatte sich an jenem Tage, als sie in ihrem braunen Kleide in dem Saal des Hauses in der Arbat-Straße schweigend zu ihm getreten war und sich ihm zu eigen gegeben hatte – in ihrer Seele hatte sich an diesem Tage und in dieser Stunde ein vollständiger Bruch mit ihrem ganzen früheren Leben vollzogen, und es hatte ein völlig anderes, neues, bisher ihr vollständig unbekanntes Leben begonnen, während sie äußerlich das alte Leben fortsetzte. Diese sechs Wochen waren für sie die seligste und die qualvollste Zeit gewesen. Ihr ganzes Leben, all ihre Wünsche und Hoffnungen hatten sich auf diesen einen ihr noch unverständlichen Mann gerichtet, mit dem sie etwas noch Unverständlicheres, als es der Mann selbst war, verknüpfte, nämlich jenes Gefühl, das sie bald zu ihm hinzog, bald von ihm wegstieß; und zugleich hatte sie in den äußeren Verhältnissen ihres bisherigen Lebens weitergelebt. Während sie so ihr altes Leben fortsetzte, war sie über sich selbst erschrocken gewesen, über ihre völlige, unüberwindliche Gleichgültigkeit gegen ihre ganze Vergangenheit: gegen ihre Sachen, gegen ihre Gewohnheiten, gegen die Menschen, die sie bisher geliebt hatten und noch liebten, gegen ihre Mutter, die sich durch diese Gleichgültigkeit gekränkt fühlte, gegen ihren lieben, zärtlichen Vater, den sie vorher über alles in der Welt geliebt hatte. Bald war sie über diese Gleichgültigkeit erschrocken gewesen, bald hatte sie sich über das gefreut, wodurch diese Gleichgültigkeit hervorgebracht worden war. Sie war zu keinem Gedanken, zu keinem Wunsche fähig gewesen, der außerhalb des Zusammenlebens mit diesem Manne gelegen hätte; aber dieses neue Leben war noch nicht Wirklichkeit gewesen, und sie hatte sich nicht einmal eine klare Vorstellung davon machen können. Es war immer nur die Erwartung dagewesen, die bängliche und freudige Erwartung von etwas Neuem und Unbekanntem. Und jetzt, jetzt sollte nun die Erwartung und die Unklarheit und die Selbstanklage wegen der Abkehr von dem früheren Leben, jetzt sollte das alles ein Ende nehmen und das neue Leben beginnen. Dieses neue Leben mußte ihr, weil es ihr noch unbekannt war, notwendigerweise furchtbar erscheinen; aber mochte es furchtbar sein oder nicht, innerlich, in ihrer Seele, hatte sich der Übergang zu ihm schon vor sechs Wochen vollzogen, jetzt erhielt das, was in ihrer Seele schon längst vorgegangen war, lediglich seine Weihe.

      Sich wieder zum Chorpulte umwendend, wurde der Geistliche nur mit Mühe des kleinen Ringes an Kittys Finger habhaft; dann forderte er Ljewins Hand und steckte ihm Kittys Ring auf das erste Glied seines Fingers. »Es wird verlobt der Knecht Gottes Konstantin und die Magd Gottes Jekaterina.« Und nachdem er Ljewins großen Ring an Kittys kleinen, rosigen Finger gesteckt hatte, in dessen Schwäche etwas Rühren des lag, sprach der Geistliche noch einmal dieselben Worte.

      Die Verlobten versuchten mehrmals zu erraten, was sie nun zu tun hätten, irrten sich aber jedesmal, und der Geistliche gab ihnen dann flüsternd das Richtige an. Nachdem er endlich das Erforderliche erreicht und sie mit den Ringen bekreuzt hatte, übergab er wieder Kitty den großen und Ljewin den kleinen Ring; aber wieder richteten die Verlobten Unordnung an; die Ringe wanderten zweimal aus einer Hand

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