Kann Mahler Monroe lieben?. C.-A. Rebaf

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Kann Mahler Monroe lieben? - C.-A. Rebaf Gerstenmayr ermittelt

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beiden Musiker machten es sich auf der engen Orgelbank so bequem wie möglich, legten die Noten auf das Pult und schauten sich an.

      Golie war inzwischen schon eifrig zum Blasebalg in den Orgelkasten gekrabbelt und trat kräftig auf. Ich folgte ihm unauffällig und beobachtete ihn. Seine Reaktionen auf Musik und vor allem auch im Zusammenhang mit Herrn Grinder interessierten mich brennend. Golie wirkte ganz verzaubert. Das konnte nicht nur die Musik sein, es war noch mehr dahinter; das spürte ich.

      Nur gedämpft kam der durch ein Orgeltutti angedeutete einleitende Orchesterschlag bei mir an. Steffen in seinem Klavierpart antwortete ihm deutlich leiser, aber fast burschikos. Da wo ich stand, kam mir die Musik auch wegen der akustischen Verschiebungen, alles wie von einem anderen Stern oder aus einer Parallelwelt vor. Golie hörte auch aufmerksam zu, aber erst als die beiden Musiker den zweiten Satz anstimmten, der mit der langen, geheimnisvollen Orchestereinleitung in abgründigem c-Moll begann, verwandelte sich Golies Gesicht auf eine Art und Weise, die mir regelrecht Angst einflößte. Es schien mir, als ob er die irdische Sphäre verlassen wolle und sich jetzt traumwandlerisch, aber wie selbstverständlich, nach einer neuen, vergeistigten Ebene umschauen wird.

      Grinder war diesen Satz getragen, langsam angegangen, und Steffen folgte ihm jetzt sphärisch mit dem Klavierpart. Sie hatten die Stimmung des Klavierkonzertes auf der Orgel durch eine geheimnisvolle Registrierung zu imitieren versucht, was ihnen durchaus gelungen war.

      Plötzlich riss die Musik jäh ab. Golie war von der Musik so ergriffen, dass er vor Rührung weinend aufhörte zu treten, und als er mich sah, stürmte er auf mich zu und verbarg seine Tränen in meiner Schürze. Ich nahm ihn in die Arme, versuchte, ihn zu trösten indem ich ihn fragte, was mit ihm sei. Offensichtlich fielen ihm keine geeigneten Worte für die Beschreibung seines Zustandes ein. Er stammelte nur fast unverständlich: „Es ist so traurig!“ Dann verstand ich noch das Wort ‚genial‘ aus seinem Schluchzen heraus.

      Ich nahm auf einmal ganz nüchtern und klar im Kopf wahr, welch ein besonders empfindsamer Junge er war und wie von den Emotionen der Musik so überwältigt werden konnte, dass er seiner Stimmung nachgeben und seine Gefühle in einem Tränenausbruch entladen musste.

      Da kam Steffen gerade von vorne in den Orgelkasten gekrochen, um zu sehen, was los sei. Er schien die Situation ganz gut nachvollziehen zu können, nachdem ich einen Erklärungsversuch gestartet hatte, den Golie mit Kopfnicken oder Kopfschütteln kommentierte. Seine Augen hatte er immer mit den Händen verdeckt.

      Plötzlich sagte Grinder: "Ich würde gerne speziell für dich spielen!" und wieder haben seine Augen mich völlig aus der Fassung gebracht. Ich war so zerrüttet: als Mutter, als Liebhaberin von einer herrlichen Musik, als plötzlich so Hals über Kopf verliebte Frau. War ich das wirklich noch selbst?

      Ein Brief von Marietta

      Ab und zu kam es vor, dass Kommunikation wie im Mittelalter über Briefe oder, besser gesagt, eine Art Flaschenpost statt fand. In jeder größeren Stadt gab es ein Briefzentrum, wo die wenigen Fremden, die sich auf beschwerliche Reisen gemacht hatten, Nachrichten mitbrachten und hinterließen oder welche mitnahmen. So war auch auf dem Marienplatz in Weilheim eine Ruine, die nachträglich mit einem schiefen Wetterschutz ausgerüstet worden war, als Möglichkeit Nachrichten zu versenden. Jeder, der zufällig in der Nähe war, schaute ab und an dort nach, ob es etwas für sich oder seine Nachbarn dort gebe. Jeder, der auf eine Reise ging, nahm mit, was in seine Richtung wies.

      So war ich eines Tages sehr erstaunt, dass mir ein netter Nachbar – eben jener mit dem Traktor-Paco – aus der Stadt einen Brief mitbrachte. Ich öffnete den braunen Pappdeckel: Marietta hatte ihn unterschrieben. Ich setzte mich ans Fenster, da es jetzt allmählich dunkel in der Stube wurde, und während ich im Geiste Mariettas tiefe Stimme zu mir sprechen hörte:

       Liebe Mary Lou,

      

       ich hoffe nur, dass Dich mein Brief erreicht. Hier ist alles so anders und doch ähnlich wie bei Euch in Polling. Die Strahlenschäden sind ganz genau-so. Wir haben einen Unterschlupf im Nebengelass einer alten Schule in einem wunder-schönen Tal gefunden, durch das ein Flüsschen mit Namen ‚Orla‘ fließt. Diese ist etwa so tief wie unser Tiefenbach und fließt in Orlamünde in die Saale, so wie unser Bach dann in die Ammer. Die Schule steht auf einer Anhöhe, und man kann von dort über das ganze Tal blicken. Vor der Katastrophe war das einmal ein schönes Anwesen gewesen, und Langenorla war bestimmt nicht weniger verschlafen als unser Polling. Aber die Zerstörungen sind durch einen Bombeneinschlag in Jena ähnlich wie bei Euch um München herum, denn Jena liegt nur etwa 30 km nördlich von uns. Der Weg hierher war in vielen Etappen sehr beschwerlich gewesen. Überall die gleiche Elende, Not und das allgemeine Leiden und Sterben. Die Einschläge in Ingolstadt, Nürnberg und Bamberg mussten wir weiträumig um wandern, weil wir ausdrücklich vor der tödlichen Strahlendosis in diesen Zentren gewarnt wurden. Über den Thüringer Wald war es dann etwas einfacher. Die tiefen Täler schirmen die Strahlung etwas ab. Deshalb haben sich hierher mehr Menschen als anders wohin geflüchtet. Ich glaube, ‚überbevölkert‘ ist inzwischen schon der richtige Ausdruck dafür, und die Kriminalitätsrate übersteigt das eh schon angestiegene Maß um ein Vielfaches. Prompt hat man uns ausgeraubt und entführt. Obwohl sich Hannes tapfer gewehrt hatte, haben sie uns alles abgenommen, was wir noch an Wertvollem besessen hatten. Dann sind wir hier in unserem lieblichen Tal halb verhungert und auch sonst ziemlich abgerissen angekommen. Es ist zwar nahe an Jena, aber eben auch nahe an Rothenstein, wo diese Geburtsklinik liegt, die es doch tatsächlich gibt! Es war also kein Gerücht, sondern eine Tatsache, und ich bin froh, dass wir trotz allen Hindernissen und Entbehrungen hier-her gekommen sind. Die Strapazen sind jetzt schon fast vergessen, denn Hannes kann beim Nachbarn gegen Essen arbeiten, und ich hatte bereits eine erste Untersuchung im ‚Berg‘, wie wir die Klinik nennen. Der Arzt dort war sehr nett und meinte, dass ich bald ein Kind empfangen könne, sobald sie einen freien Platz hätten. Stell Dir vor, ich stehe auf der Warteliste schon auf Platz 49! In den nächsten Monaten wäre ich dann an der Reihe. Ich freue mich schon wahnsinnig, obwohl es mir auch davor graut, neun Monate lang dort in den Katakomben leben zu müssen, ohne Sonne und mit nur wenig Licht. Aber das muss wohl so sein, um den Embryonen genug Schutz vor der Strahlung zu bieten.

       Leider hat die Sache noch einen Haken: Hannes kann wohl nicht der Vater sein! Ich wurde belehrt, dass wohl überwiegend alle Männer inzwischen unfruchtbar sind. Nur künstlich befruchtete Embryonen haben überhaupt eine Chance, gesund heran zuwachsen.

       Die Ärzte sagen, dass diese eine besondere Strahlenresistenz aufweisen würden und eine natürliche Empfängnis habe nur eine viel zu geringe Chance, ein gesundes Kind zu zeugen. Deshalb verweigern sich die Ärzte, ein solches Risiko einzugehen und sagen, dass es ansonsten Vergeudung von Ressourcen wäre.

       Hannes war stinksauer, als er davon hörte. Du weißt ja, dass er schnell jähzornig werden kann, und ich habe ihn mit vielen sanften Tönen davon abhalten können, hier im Berg eine größere Randale zu veranstalten. Jetzt gehe ich vorsichtshalber immer allein dahin und sage ihm auch nicht immer Bescheid. So läuft es – glaube ich zumindest – jetzt am besten.

       Ich denke so oft an Dich und daran, was Du für ein Glück hattest, ein gesundes und begabtes Kind zu finden. Dieser Gedanke gibt mir Kraft, denn ich denke, selbst wenn ich jetzt ein Kind gebären sollte, ist es dennoch so ähnlich wie mit Dir und Deinem Golie. Damit habe ich mich abgefunden, und auch Hannes steht letztendlich dahinter. Was soll er auch anderes tun? Das ist wohl die Tragik unserer Zeit. Dass tut schon weh! Aber es ist eben so!

       Jetzt habe ich einfach so in den Tag geplappert und weiß gar nicht, ob Dich der Brief erreicht und Du diese Zeilen jemals lesen

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