Kann Mahler Monroe lieben?. C.-A. Rebaf

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Kann Mahler Monroe lieben? - C.-A. Rebaf Gerstenmayr ermittelt

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dessen war, dass Unbeugsame von der Organisation gezwungen wurden, verstrahltes Wasser als Vergeltungsmaßnahme zu trinken, oder ob es der normale Fall-out nach einem dieser warmen Südregen war. Wer konnte das heute unterscheiden? Eine zuständige Polizei in einer menschenleeren Großstadt wie Wien gab es zwar auf dem Papier, aber die labortechnischen Hoch-Zeiten der Forensik waren mit der Katastrophe untergegangen.

      Schreiende, kleine Chinesen mit langen, zerzausten Bärten stürmten auf Gerstenmayer ein und wollten ihm ihre Fährdienste anbieten. Gott sei Dank, dass er sein Frühstücksbrot heute nicht gegessen hatte! So reichten eine Hälfte und ein halber Apfel für das erste Übersetzen. Den Rest brauchte er für den zweiten Fährmann hinter der Donauinsel und den Rückweg. Der kleine, alte Fährmann schlang das Essen aus Hunger sofort in sich hinein, dann nahm Gerstenmayer Platz und wurde hinüber gestakt. So hatte er sich ‚Vasudeva‘, den Fährmann aus der indischen Welt von Hermann Hesse, dem Erfinder des Glas-perlenspiels, immer vorgestellt, von dem er einmal gelesen hatte. Dieser hier war aber definitiv kein Inder, denn er hatte Schlitzaugen. Würde ihm dieser verstrahlte Fluss auch etwas vom Leben erzählen, wie es im Roman von Hesse so poetisch geschildert wird? Oder können aus dem Plätschern des Wassers nur verrauschte Durchsagen der Radioaktivitäts-Pegel zu verste-hen sein? Für andere Mitteilungen gab es in dieser Gegenwart keine Zeit.

      Konnte man diesem ‚Vasudeva‘ trauen? Das Übersetzen war immer ein Risiko, denn es gab wohl auch Fälle, bei denen unredliche Fährmänner ihre Passagiere in der Mitte des Flusses ausraubten und über Bord warfen, was den sicheren Strahlentod bedeutete angesichts der bestehenden Belastung des Donauwassers. Einige Fähren waren mit Blei verkleidet, so auch der Kahn, den Gerstenmayer gewählt hatte. Dies bot den Fahrgästen, aber auch den Fährleuten einigen Schutz vor der radioaktiven Strahlung. Ansonsten war die Lebenserwartung der Flusschinesen nicht sehr hoch.

      Gerstenmayer war dennoch froh, das andere Ufer zügig und heil erreicht zu haben. Drüben erwarteten ihn die hohen Schuttmulden der ehemaligen UNO-City in der Wagramer Straße. Die hohen Wolkenkratzer waren durch die Katastrophe alle besonders in Mitleidenschaft gezogen worden, zumal arabische Selbstmord-Terror-Kommandos schon vorher mit einer kleinen Neutronenbombe das IAEA-Headquarter, den Sitz der Atomkontrollkommission, in die Luft gejagt hatten. Deshalb sah es hier in dieser Gegend so besonders verheerend aus. Gerstenmayer folgte den schmalen Wegen durch die Ruinen und war jetzt nahe der Stelle, wo er die Wohnung Prof. Baums vermutete. Die musste doch irgendwo zwischen der Bernstein-Straße und dem Bruno-Kreisky-Platz gewesen sein? Es war schon lange her, dass Baum ihn gebeten hatte, mit nach Hause zu kommen, um ihm einen Artikel auszuhändigen.

      Die Gegend dort war menschenleer. Gerstenmayer wollte jemanden dort fragen, aber er fand niemanden. Weiter weg schaute ein Mann mit einem schwarzen Ledermantel zu ihm herüber. „Hatte ich den nicht schon einmal gesehen?“, fragte er sich selbst und ging auf ihn zu. Aber im nächsten Augenblick war der Mann um eine Litfaßsäule herum gegangen, als wollte er unsichtbar bleiben. Dort angekommen, trat Gerstenmayer hinter die Säule, sah aber nie-manden mehr. „Habe ich geträumt?“, fragt er sich und setzte dann die Suche nach Prof. Baums Wohnung fort, an die er sich kaum noch erinnern konnte.

      Die erste Türe, an die er klopfte, wurde nicht geöffnet und niemand antwortete. Die Tür war nicht verschlossen. Er drückte sie auf und ein Schwall Leichengeruch kam ihm entgegen. Auf einer Art Sofa lagen zwei alte Menschen und hielten sich einander die Hände. Die Ratten hatten mit der Wiederverwertung der Körperteile schon begonnen. Es waren besonders große Exemplare mit glattem, glänzendem Fell! Gerstenmayer zwang sich, den Mann näher zu betrachten. Konnte der Mann, der da saß Prof. Baum sein? Er scannte den toten Körper visuell ab, aber er fand keine positiven Übereinstimmungen. Angeekelt drückte er die Tür wieder zu und hielt den Atem an, um dem Gestank zu entgehen. Die nächste Wohnung, die er öffnete. war zu seinem Erstaunen vollständig durchwühlt. Überall waren beschriebene Blätter verstreut. Schränke und Schubladen gab es in der Wohnung nicht, aber sehr viele Kartons, die zuvor ordentlich und sicher einmal mit einer durchdachten Systematik aufgestapelt worden waren. Doch jetzt lagen alle kreuz und quer, als hätte hier jemand etwas gesucht. Gerstenmayer konnte sich nicht vorstellen, dass sein Boss in einem solchen Chaos wohnen sollte. Offensichtlich war Baum schon lange nicht mehr hier in seiner Wohnung gewesen. Wo war er? Um der Beantwortung dieser Frage etwas näher zu kommen, legte Gerstenmayer Mantel und Schal ab und schaute sich die herumliegenden Papiere genau-er an. Vielleicht fand er hier einen Anhaltspunkt. Aber es viel ihm zunächst nichts Verdächtiges auf. Plötzlich jedoch stieß er auf eine Kopie eines Schreibens, das ihm die Sprache verschlug. Er setzte sich, las noch einmal langsam. Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Konnte das wirklich wahr sein? Er war von seiner Entdeckung so fasziniert, dass er gar den verschwundenen Prof. Baum völlig vergaß und nur noch seiner Entdeckung nachging.

      Allmählich wurde es dunkel, und Gerstenmayer fiel das Lesen in der düsteren Wohnung schwer. Er schaute auf die Uhr und erschrak. „Ich sollte mich auf den Heimweg machen. Bei Dunkelheit sollte man die Fährchinesen meiden“, dachte er sich, raffte einige der wichtigsten Papiere zusammen, zog seine Kleider an und ging – immer noch verblüfft wegen seiner außerordentlichen Entdeckung – zurück.

      Grinder spielt Orgel

      „Go – o – o – o – olie, Go – o – o – o – olie! Golie, wo bist du?“, rief ich in Richtung Dorf.

      Nichts rührte sich. Es wurde schon dunkel, und ich begann mir Sorgen zu machen. „Er wird wohl wieder bei Steffen sein“, beruhigte ich mich. Da aber der Föhn gerade am Zusammenbrechen war und danach wieder mit hoch belastetem Regen aus dem Süden zu rechnen war, zog ich schon einmal mein dichtes Regencape über und rannte in Richtung Klosterruine, um ihn zu suchen und noch vor dem Fall-out nach Hause zu holen.

      Schon von weitem hörte ich die Orgel. Es war eine völlig andere Art von Musik, als ich sie bisher von Steffen kannte. Offensichtlich spielte heute jemand anderes und da musste ich mich nicht wundern, dass Golie nicht rechtzeitig nach Hause kam. Die Musik war wunderschön, ich hatte so etwas noch nicht gehört und ich war alles andere als ein Laie auf diesem Gebiet. Mein Vater hatte mich zur klassischen Musik herangeführt. Vielleicht war aber auch alles eine Frage der Gene. Er hatte meine Anlagen früh erkannt und mir gezeigt, wie schön gerade einfache Melodien sind und wie raffiniert sie zu Harmonien verwoben werden konnten, um sie dann in verschiedenen Tonarten zum Tanzen zu bringen. In jüngster Zeit, seit Golie sich dieser Kunst mit rasenden Schritten anzunähern versuchte, sah ich mich plötzlich auch in der Rolle der Lehrerin vor allem auch in dem Sinne, dass ich analytisch sein Potential auslotete und versuchte, ihn zusätzlich möglichst optimal zu fördern.

      Mein Vater hatte eine große Musiksammlung besessen: Schallplatten, CDs und sogar noch ein paar alte Tonbänder. Ich erinnere mich, dass er vor dem Super-GAU, als es noch Strom aus der Steckdose gegeben hatte, sich am Feierabend gerne mit einem Glas Rotwein immer in den gleichen Sessel gesetzt hatte. Von dort aus hat er dann eines seiner alten Bänder umständlich in seine TEAC-Maschine eingefädelt, um sich dann vollständig der Musik hinzugeben. Was die Bänder anbelangte, hatte er dann nicht nur im Reich der Klänge, sondern auch im Reich seiner Erinnerungen geschwebt, weil er alle Aufnahmen irgendwann einmal persönlich aus dem Radio aufgenommen hatte. Während seines Studiums hatte er mit dem Musiksammeln begonnen, jetzt waren einige Raritäten für ihn dabei gewesen: Salzburger oder Bayreuther Festspiele, die einige Jahrzehnte zurückgelegen hatten.

      War es diese neue Musik, die mich jetzt an jene alte Zeiten erinnerte und mich so tagträumen ließ? Hatte mein Vater gar dieses Stück, das jemand hier auf der Orgel spielte, damals auch gehört? Ich konnte es nicht ausschließen, aber auch nicht bejahen. Denn damals war ich noch zu klein gewesen. Es klang eigentlich nicht wie ein Orgelstück – es war mehr wie eine Symphonie, die jemand notgedrungen auf der Orgel spielte, weil es keine Orchester mehr gab.

      Ich trat in die Kirchenruine unter die Zeltplane ein, schaute nach oben und erkannte am Orgelpult den Fremden mit der hohen Stirn; Steffen stand

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