Kann Mahler Monroe lieben?. C.-A. Rebaf

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Kann Mahler Monroe lieben? - C.-A. Rebaf Gerstenmayr ermittelt

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dem schmalen, freigelegten Eingang zu, aus dem die Musik heraus schallte.

      Meine Freundin und ich verstanden gar nichts mehr.

      Im Inneren unter dem provisorischen Zeltdach blieb er erstarrt liegen, lauschte und war von uns nicht mehr von der Stelle zu bewegen, bis die Musik abbrach und der Organist, ein Mann um die vierzig, dem nur wenige blonde Haare um eine Halbglatze wehten, über eine Holzleiter vom Rest der Orgelempore kletterte. Hinter ihm folgte ein Junge, der – wie von ihm befreit – davon rannte.

      Der einmal wohl recht stattliche Blonde sprach uns freundlich an, schließlich verirrten sich selten Fremde hierher. Seine netten Worte taten uns zusammen mit der schönen Musik zuvor gut, munterten uns wieder auf und hoben unsere Stimmung. Ja, Golie flippte ganz und gar aus, fuchtelte mit den Armen wie ein drolliger kleiner Tanzbär, sodass der Blonde mit uns in schallendes Gelächter verfiel.

      Er war bester Laune. Ich hatte ihn so noch nie erlebt. Trotz seines zarten Alters zeigte er mir mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, dass es ihm hier gut ging und dass er gerne bleiben wollte.

      Wir sahen uns dann im Dorf um, fanden wenige Menschen und viele zum Teil gut erhaltene und leere Wohnräume, die mir erheblich besser gefielen als meine Unterkunft in München zuvor. In mir reifte der Entschluss, hier zu bleiben, was meine Freundin nicht verstand. Ich hatte sowieso alles, was mir wirklich wertvoll war, dabei und quartierte mich im ehemaligen Klosterdorf ein. In den nächsten Tagen half mir der Organist, der mir durchaus nicht unsympathisch war, führte uns beide bei den wenigen Menschen im Dorf ein. Golies sonniges Wesen half dabei sehr. Sie alle waren sehr freundlich und empfahlen mir sogar eine besondere Ruine, die an ein großes Feld angrenzte, auf dem man gut Ackerbau betreiben könne, um das Leben zu fristen. Ich nahm den Rat an, und so waren wir hier im Gut Schweigestill bei Pfeiffering gelandet, wie es im Roman meiner Freundin genannt wurde. Das lag jetzt schon einige Zeit zurück.

      Hatte ich das alles geträumt? War ich in der Stube eingeschlafen? Meine Glieder waren ganz steif, und ich legte mich nach nebenan zu Golie ins Bett unseres Schlafzimmers. Mehr als die beiden Räume bewohnten wir nicht. Meistens waren wir draußen, wenn das Wetter es einiger-maßen zuließ. Es mochte zwar gefährlich sein, aber wir beide schienen ausreichenden Resistenzschutz gegenüber der Strahlung zu besitzen, da wir jetzt schon gut vier Jahre so lebten und uns glänzender Gesundheit erfreuten.

      Am nächsten Morgen erwachte ich und war ganz benommen. Ich hatte einem Traum, einer der-jenigen, die so realistisch abzulaufen pflegten, dass ich nicht zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden konnte. Daher benötigte ich einige Zeit, um meine Gedanken zu sortieren:

      Mein Vater hatte die Hauptrolle in meinem nächtlichen Schauspiel gespielt und erzählte mir als kleinem Mädchen von einem Musiklehrer. Dieser sei von seinem Lieblingskomponisten so besessen gewesen, dass er sein Äußeres verändert habe, um diesem ganz ähnlich zu sein: Er habe eine Brille getragen, obwohl er eigentlich keine benötigt hätte, und sich sein Haar mit leichten Grausträhnen versehen lassen und streng nach hinten gekämmt, sodass seine hohe Stirn sein Gesicht betont habe und er somit einer der wenigen Fotografien seines Idols doch sehr nahe gekommen sei. Dann wurde die Geschichte dramatisch, denn der Lehrer und mein Vater als dessen junger Schüler hätten um die Gunst derselben Frau gebuhlt, einer Klassenkameradin meines Vaters. Der Lehrer und der Mitschüler, beide hatten sich unsterblich verliebt. Das begehrte Mädchen war dann nach dem Abitur vor beiden in eine weit entfernte Wüste geflohen. Schon damals lange vor der Katastrophe standen dort überall Schilder mit dem Radioaktivitätssymbol. Es war ein Ort, der besser nie gegründet worden wäre, denn er war der eigentliche Grund aller unserer heutigen Missstände: Los Alamos.

      An dieser Stelle riss der Traum ab.

      Hatte mir mein Vater nicht einmal unter Tränen erzählt, dass er die erste Liebe seines Lebens tragisch verloren habe?

      So sehr ich mir auch Mühe gab, ich konnte mich nicht an den Namen erinnern, weder an den des imitierenden Lehrers, noch an den des Komponisten. Lediglich das war mir jetzt klar: Die Person, die mein Vater geschildert hatte, erinnerte mich an den fremden Reisenden im roten Paco gestern. Kam er mir von daher bekannt vor?

      Golie schlug die Augen auf und rutschte unter meine Decke zu unserem morgendlichen Kuschelritual. Wir löffelten, und er fragte mich begeistert, ob er heute wieder zum Organisten gehen dürfe. Seit einiger Zeit verbrachte der Vierjährige viel Zeit mit dem freundlich, ruhigen Mann. Mit Steffen, so hieß er, hatten wir uns beide angefreundet. Ich setzte volles Vertrauen in ihn, da er mir ja auch nicht unsympathisch war. Allerdings hatte er alle meine schüchternen Annäherungsversuche abgeblockt. Er schien mir nur mit der Musik oder besser mit seiner Orgel liiert zu sein, oder besser mit dem, was davon noch übrig war.

      Da es seit der Katastrophe keine Elektrizitätsversorgung mehr gab, brauchte Steffen immer einen Helfer, der den riesigen Orgelbalg treten konnte. Er hatte mir auch voller Stolz berichtet, dass er in mühsamer Kleinarbeit alle elektrischen Mechanismen zur Steuerung der Register wieder in eine ursprüngliche Mechanik zurück gebaut habe. Nur deswegen funktionierte das königliche Instrument wieder.

      Es vergingen Jahre, in denen ich lernte, immer schönere Kartoffeln anzubauen, um sie Herrn Mayr für Tauschgeschäfte anbieten zu können. Steffen hatte hingegen Golie beigebracht, den Balg zu treten, was dem kleinen Knirps anfänglich sichtlich schwergefallen war, aber jetzt schien es gut zu klappen, denn er pustete fast täglich stundenlang die Luft in die Pfeifen. Was hatte der Junge bloß für Gene, dass er so ausdauernd war? Oder war es Steffen, der ihn anspornte? Suchte er einen Ersatzvater? War es lediglich die Musik?

      Mir jedenfalls war es recht, denn Kindergärten gab es ohnehin nicht mehr, und ich hatte so genügend Zeit, mich um meine Land- und die kleine Hauswirtschaft zu kümmern. Dies war am Anfang beschwerlich genug, als ich mir Rat und Tat sowie notwendiges Saatgut und Gerätschaften von den Nachbarn holen bzw. ausleihen musste. Aber dank Herrn Mayr und unser beider Verhandlungsgeschick hatte ich jetzt alles zur Hand, was ich benötigte; und unser Mann mit dem Paco im Dorf, sozusagen der designierte Dorf-Chef, pflügte mir im Frühjahr sogar mein Feld, was mir das Leben sehr erleichterte. Wir waren inzwischen sogar soweit, dass wir für unsere Milchversorgung eine eigene Ziege, unsere Selma, hatten, die nachts im Stall und am Tage in den Gräben und Hecken um unser Dorf herum graste.

      Golie und ich erwachten und ich bereitete unser Frühstück, das aus Getreidebrei und -kaffee jeweils aus eigenem Anbau mit Ziegenmilch und Quark bestand. Golie plapperte lustig auf mich ein und zeigte mir eines Tages eine Notenzeile, auf die er eine Melodie gekritzelt hatte. Ich war ziemlich erstaunt, und er erläuterte mir dazu, dass Steffen dies gestern auf der Orgel gespielt habe. Ich konnte zwar die Noten lesen, das hatte mir mein Vater noch beigebracht, ich konnte aber nicht perfekt vom Blatt singen, sodass ich nur im Ansatz erkennen konnte, dass dies wohl eine d-Moll-Melodie war, er hatte genau ein ‚b‘ am Anfang notiert.

      „Hast du das alles alleine geschrieben?“, fragte ich ungläubig. „Das glaube ich nicht! Der Steffen hat dir geholfen, oder er hat es dir aufgeschrieben.“

      „Aber Mama, ich belüge dich doch nicht!“, gab er beleidigt zurück.

      Ich überlegte. In der Tat musste ich in diesem Punkt Golie recht geben; er war immer sehr darauf bedacht, ehrlich und aufrichtig zu sein.

      Mir fiel plötzlich ein, dass mir Steffen letztes Frühjahr eine Weidenflöte geschenkt hatte, die ich achtlos im Schrank aufbewahrte. Ich kramte sie hervor. Golie machte große Augen!

      „Aber Mama, kannst du Flöte spielen?“ fragte er mich aufgeregt.

      „Nur ein wenig“, antwortete ich. „Mein Papa hatte es mir einmal gezeigt, aber ich

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