Aus den letzten Jahren der Kaiserin Elisabeth. Imra Gräfin Sztaray
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Dieses unverfälschte arabische Nest mutet eigentümlich und fremdartig an, ist aber durchaus nicht schön; ein wüstes Bild in drückender Luft. Die Gassen sind eher Gässchen und die weißgetünchten, flachdachigen stockhohen Häuser, an denen nur hie und da ein Fenster angebracht ist, gleichen eher Gefängnissen als Wohnstätten. Nur wenn ab und zu eines der verschlossenen niedrigen Tore sich für einen Augenblick öffnet, verraten die vom Hofe herauslachenden Blumenbeete, dass es da drinnen doch ein wenig freundlicher aussieht.
Die auf den Schwellen lungernden Männer verleihen der Gasse einiges Leben. Sie beschäftigen sich zumeist mit einer Stickerei, oder tun wenigstens dergleichen, denn ich sah sie meist Zigaretten rauchen oder Kaffee schlürfen. Frauen sahen wir nirgends, diese werden hinter den Mauern gehütet. "Ein furchtbares Leben," bemerkte die Kaiserin, "wie bedauere ich diese armen Geschöpfe, ich kann nie genug Freiheit und Luft haben und der Gedanke, dass ich so leben müsste, erfüllt mich mit Schaudern."
Sie atmete auf, als das arabische Stadtviertel hinter uns lag und vor uns die Kasbah, die befestigte Kaserne des Regimentes Chasseurs d'Afrique. Die Reiter machten eben auf dem Platze ihre Übungen. Mit Vergnügen betrachtete die Kaiserin die mit weißen Burnussen bekleideten, auf feurigen Rossen einher sprengenden stattlichen Soldaten. Sie erkannte sofort den guten Reiter, doch gab es auch welche, die sie mitleidig betrachtete und dabei wohl auch bedauerte, dass das eine oder andere feurige Tier nicht von ihr geritten werde.
Zu Hause angekommen, führte mich Ihre Majestät in ihre Appartements, um mich wägen zu lassen. Sie fand mein damaliges Gewicht von 62 Kilogramm sehr bedeutend.
Die Kaiserin wog sich fast täglich, um so ihre Gewichtzunahme zu kontrollieren. Ich sah wiederholt das Journal, das sie darüber führte. Die eingetragenen Zahlen konnten keine bedeutenden Abweichungen aufweisen, dagegen fanden sich umso mehr Randbemerkungen. Ich glaube, dieses Wiegejournal bewahrt viele ihrer Gedanken, weil sie zu diesem durch viele Jahre benützten Buche unbedingtes Vertrauen hatte.
Der Regen fiel ununterbrochen in Strömen, trotzdem aber, oder vielleicht gerade deshalb, plante die Kaiserin einen großen Ausflug: nach Biskra, an den Rand der großen Wüste. Das wird erst das wahre Afrika sein; dieses hat die alles beleckende Kultur noch nicht verdorben und ihm, gleich Algier, halbeuropäischen Anstrich gegeben. Es wird herrlich sein: auf Kamelrücken Ausflüge in die Oasen zu machen und von den Bäumen die selbstgepflückten Datteln zu essen.
Unsere Vorbereitungen waren getroffen, der Sonderzug bestellt, ebenso das achttägige Logis in Biskra und das Nachtlager in Constantine. In der Hoffnung auf schöne Tage wurde unsere gute Laune nicht einmal durch den eben niederprasselnden Hagel gestört. Ich stellte es mir lebhaft vor, wie manche verweichlichte Dame lamentiert hätte, wenn durch den auf den Hagel folgenden Wolkenbruch ihre Wohnung so durchnässt worden wäre als damals die unsrige, und ganz besonders die der Kaiserin.
Für all das, dachten wir, entschädigt uns die Wüste und die Sonne der Wüste Afrikas. Leider war dies im Schicksalsbuche anders bestimmt und wir sahen weder die Wüste noch ihre Sonne. Die Kaiserin denkt, und Gott lenkt, und darein mussten wir uns fügen.
Der Sonderzug fuhr nicht ab, weil die Nachricht kam, dass dort, wo wir den Atlas passieren sollten, zwei Meter hoher Schnee lag und man daher unbestimmte Zeit warten müsste. Die Geduld der Kaiserin war erschöpft und sie befahl: fort von Afrika, an die Riviera.
Sonntag mittags, nach der Messe, schifften wir uns ein. Ich hielt es auf dem Verdecke nur so lange aus, bis die Ufer entschwanden, dann zwang mich meine unangenehme Reisegefährtin, die Seekrankheit, die Kabine aufzusuchen. Das Meer spielte ohne Unterlass den ganzen Tag und die ganze Nacht Fangball mit dem Schiffe und noch heute leben all die Bitternisse dieser Reise lebhaft in meiner Erinnerung fort.
Eine Stunde vor Ankunft begab ich mich wieder auf das Verdeck. Die Kaiserin befand sich schon seit frühmorgens trotz des Sturmes oben und sah vollkommen frisch und erquickt aus. Als sie merkte, dass ich mich schon wohler befand, musste ich ihr haarklein erzählen, was ich während der Krankheit empfunden und gelitten, namentlich wie der unbarmherzige Aufruhr der Natur auf meine Seele gewirkt hatte.
"Sagen Sie nur," sprach sie, "wurden Sie nicht kleinmütig? Wünschten Sie nicht zu sterben, als Ihnen so elend war?" "Nein, Majestät, daran dachte ich nicht!" "Woran dachten Sie also?" "Wie gut es sein wird, wenn der Sturm vorbei und ich die Krankheit überstanden haben werde!" Darüber lachte sie herzlich. "Ist das wirklich wahr?" "Ja, Majestät, jetzt fühle ich mich ganz wohl und bin so guter Dinge, als wenn ich Champagner getrunken hätte."
Vor dem Marseiller Hafen lavierten wir eine volle Stunde, ehe wir Einlass fanden. Während dieses unangenehmen Harrens genossen wir ein äußerst schönes Schauspiel. Vor unseren Augen spielte sich ein Schiffbruch ab. Glücklicherweise ohne tragisches Ende. Der Sturm schleuderte einen Dreimaster an den Felsen, doch bevor er festsaß, wurden die Passagiere von einem Frachtschiffe aufgenommen. Der armen Leute erbarmte sich die Madonna, die dort oben stehend, mit dem Jesuskind im Arme, von der Notre Dame de la Garde herniedersah auf das stürmende Meer. Nun sind wir wieder in Marseille. Wir stiegen im Hotel de la Paix ab, wo es Ihrer Majestät erste Sorge war, ein herrliches Diner zu bestellen.
Wir begannen mit einem Leibgericht der Kaiserin: mit französischen Austern, dann gab es treffliche Fische und Braten, zuletzt frische Walderdbeeren.
Ach, wie das nun alles schmeckte! Inzwischen tranken wir Asti spumante, den einzigen Wein, dem zuweilen auch die Kaiserin zusprach.
Ergreifend war die wirklich mütterliche Sorgfalt, mit der Ihre Majestät mich jeden Augenblick ermahnte, meine Esslust ein wenig zu mäßigen, damit es mir nicht schade. Ich war wie ein ausgehungertes Kind nach einer großen Krankheit und habe vielleicht noch niemals so viel und noch niemals so gut gegessen wie damals. Doch aller guten Dinge Ende ist das — Eis.
Wir gingen daher in eine Konditorei, und was uns noch bis zu unserer Abreise an Zeit erübrigte, füllten wir mit der Besichtigung von Schaufenstern und mit Einkäufen aus. Während ihrer Reisen kaufte die Kaiserin allerlei Dinge, namentlich Spezialitäten zusammen, um sie dann allerwegen zu verteilen. Ich musste über diese Einkäufe ein Journal führen.
Eine halbe Stunde vor der Abfahrt waren wir auf dem Bahnhofe, wo sich eine reizende, humorvolle Szene abspielte.
Unsere Durchreise musste irgendwie bekannt geworden sein und als wir den Perron betraten, sahen wir schon das Publikum in Gruppen stehen, das gekommen war, die Kaiserin von Österreich zu sehen.
Unter gewöhnlichen Umständen fühlte sich Ihre Majestät durch solches Interesse außerordentlich beengt, diesmal jedoch war sie davon ganz entzückt, weil die Neugierde der Leute vollkommene Befriedigung fand — ehe sie noch erschienen war.
Jetzt waren wir neugierig, zu erfahren, warum sich alle Blicke nach einem Punkte des Perrons richteten und wem diese ehrfurchtsvolle Stille galt. Wir näherten uns unbemerkt und fanden schon im nächsten Augenblick des Rätsels Lösung. Frau F., die Friseurin der Kaiserin, schritt in würdevollster Haltung den Perron auf und nieder, so nach besten Kräften die Kaiserin agierend.
Was hätte dies, von Künstlerhand entworfen, für eine prächtige Humoreske abgegeben!
Ihre Majestät fand dies Intermezzo sehr amüsant. "Stören wir die gute F. nicht," sagte sie und bestieg rasch und unbemerkt den Zug.