Die letzten Farben. Jan Corvin Schneyder
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Viele stolpern, weil sie nur das Ende des Weges sehen und nicht die Steine vor ihren Füßen. Steine, Schnecken, Vögel, Blumen. Da sind nicht nur Steine, der Großteil des Weges ist schön, wenn Du genau hinschaust. Trample aus Eile nicht alles nieder. Der Weg ist nicht das Ziel, das wäre übertrieben und ist abgedroschen, aber er ist nicht nur eine seelenlose Transferbahn. Er ist das Leben selbst. Sieh Dir den Weg an. Lerne etwas über die Zeit und Dich selbst – bleib auch mal stehen, hör auf zu rennen.
Tja, wie aber trifft man eine richtige Entscheidung, wenn die Optionen nicht leicht als gut oder böse zu enttarnen sind – und wenn man die Konsequenzen der Entscheidung nicht abschätzen kann?
Schwierig.
Dennoch halten wir eines für wichtig: Triff Deine Entscheidung, und dann lebe mit ihren Konsequenzen. Das ewige Herauszögern und diese "Ich war’s nicht" –Mentalität hinterher lähmt uns und all unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. Alles stiehlt sich aus der Verantwortung und schimpft über die Wenigen, die mutig genug sind, Entscheidungen zu treffen. Früher wurden Entscheider bejubelt, heute gilt es wohl als Konsens, gar nichts mehr zu tun, dafür aber kräftig zu lamentieren. Stillstand für einen Moment ist wundervoll, Stillstand für immer ist das Ende. Entscheidungen sind schwierig, aber wer sie nicht treffen kann, hat einen wesentlichen Zug des Lebens, des Menschseins, hinter sich gelassen: Das Definieren und Ausleben unseres freien Willens. Mit Herz.
Es gibt immer einen Weg, heißt es. Oft beginnt er dort, wo alles andere endet – und wo er selbst endet, wirst Du vielleicht nie erfahren. Dennoch gehst Du ihn. Weil Du es musst. Stehenbleiben ist der Tod. In das Herz der Welt stoße Deinen Atem. Fülle sie neu.
„Da ist er wieder, der Weg“, magst Du sagen, wenn Du ihn lange nicht gegangen bist. Er ist dunkel geworden, aber das bist Du auch. Niemand wird Dich im Schatten sehen, wenn Du ein Schatten bist. Manchmal muss man sich anpassen, um der richtigen Sache zum Sieg zu verhelfen. Wo geht es lang im Zwielicht der Welt? Forschend, fragend, dennoch vorwärtsschreitend. Sonst geht es weder irgendwo entlang noch voran. Man darf sich vorsichtig bewegen, aber man sollte sich wirklich mehr bewegen. Physisch und geistig. Die Welt ist kein Fels, warum also sollten wir einer sein?
Rau, nebulös, warm, bunt, weit oben, weit unten. Alles ist erlaubt. Da mögen Beton und Glas noch so murren, da mag die Sirene noch so heulen, wir können andernorts sein. Keine Schranken dem Geiste.
Der Weg ist nicht leicht, aber Du wirst ihn gehen.
Nicht weil Du es kannst.
Weil Du es willst.
Nicht jedes Licht weist uns den richtigen Weg. Unter den verrottenden Triumphbögen der Vergangenheit schlagen sich die Menschen immer noch den Schädel ein. Dabei könnte die Welt so schön sein ohne das. Aus Geschichte nichts lernen. Ein Klassiker. Der falsche Weg. Und die Menschen denken noch immer, sie bestimmen die Geschicke der Welt. Traurig wie lustig. Ein putziges Völkchen, die Menschen. Dabei gibt es in diesem Sinne gar keinen Ausweg. Die Wände rücken näher. Da draußen leuchtet etwas, doch es ist unerreichbar. Wie konnte es soweit kommen? Mancher ist allein dort draußen und sucht Zuflucht, mancher ist hier und will hinaus. Alle, alle sind sie unzufrieden. Niemand fügt sich, niemand ruht. Sie haben etwas verloren, haben ein Geschenk abgelehnt, wollten alles wissen, hielten sich für stärker als die Ewigkeit. Nun sind sie allein. Auch wenn sie beisammen sind, sind sie allein. Und finden keine Worte. Nicht nur, dass sie den Weg verleumdet haben – sie haben vergessen, dass es einen gab. Es gibt ihn noch, nur nicht für sie, wenn sie nicht umkehren. Demut hat nichts mit Demütigung zu tun, und ist doch so aus der Mode gekommen. Es liegt keine Zukunft in Besitz und Hochnäsigkeit. Keine. Sie töten ihre Zukunft. Sie töten sich. Sie töten das Gute um sie her. Aus einem Irrtum heraus.
Wenn Du also musst, wenn es keinen anderen Weg gibt, wenn niemand helfen will oder kann, dann kommt – so sagt ein Kind der 80er Jahre – entweder das A-Team, oder Du wächst über Dich hinaus. Wer es nicht versucht, hat nicht nur verloren, sondern ist auch schon verloren. Scheitern ist dagegen nicht so dramatisch. Versuche alles, sobald Du erkannt hast, was das Richtige ist. Wenn Du das noch nicht weißt, sei lieber vorsichtig, bevor Du mit Deinem Schädel die falschen Mauern zum Einsturz bringst. Klugheit zuerst, danach Mut. Mut ohne Klugheit nennt man blinden Aktionismus. Es gibt mehr als eine Realität. Führen wir sie zusammen. Sie alle.
Ist der Pfad nicht dornig, ist das Ziel langweilig. Sei lieber auf dem richtigen, steinigen Weg, als bereits am falschen Ziel. Denn wer nirgendwo hingeht, steht am falschen Ort. Wer aber regelmäßig geht, aber immer zum gleichen Platz zurückkehrt, bevor er wieder aufbricht, der hat den richtigen Platz gefunden.
Wir wachsen mit unseren Aufgaben, heißt es. Wenn es nun aber eine sehr große Aufgabe ist, dann lasst uns eben ein bisschen schneller wachsen als üblich. Manchmal ist der letzte Ausweg, eben nicht durchzudrehen, sondern der Blick ins Blaue oder Grüne. Irgendwo, wo es nichts zu lesen gibt. Irgendetwas, auf das wir keinen direkten Einfluss nehmen können. Etwas, dem egal ist, was wir denken. Etwas, dem wir widerspruchslos alles sagen können.
Mich interessiert nämlich nicht so sehr, wo Du schon überall warst.
Wichtiger ist, wo Du noch hingehst.
Und warum.
Das sollte auch andere mehr interessieren.
So viele Welten und Orte, die man besuchen, so viele Menschen und Wesen, denen man begegnen möchte – und so wenig Zeit. Dennoch klagen wir nicht, sondern sind dankbar für jeden Tag. Die kostbare Lebenszeit mit Klagen zu füllen, ist eine unverzeihliche Verschwendung angesichts all der offensichtlichen und verborgenen Schönheit um uns her. Dennoch klagen sie. Sie alle. Erkenne die Kostbarkeit der guten Dinge, solange sie noch warm und hell sind. Es kommt eine Zeit der Härte und der Kälte. Dann magst Du klagen.
Immer dieses schnelle Wegkonsumieren. Es braucht keine fremd eingetrichterte Deutung. Es braucht nur endlich einmal wieder einen Geist, der sich Raum und Zeit nimmt, anstatt genervt zu fauchen, dass er sie nicht hat. Die Enge, die Eile – das sind die Illusionen. Der Akt des Zeit-Nehmens erfordert Energie und Willen. Dieses Getrieben-Sein erfordert nichts außer Schwäche und Teilnahmslosigkeit. Also: Schauen, suchen, Wirkung zulassen. Darin liegt Freiheit. Und Zeit.
Manche fallen tiefer als sie je hochfliegen konnten, manche ersetzen die Natur durch Technik, manche landen auf dem Boden der Tatsachen und erkennen, dass uns das von dem entfernt, was wir sein sollen – und deswegen können sie auf diesem Pfad nie zum Glück gelangen. So viele Wege zum fernen Ziel. Und so viele davon führen über blutige Pfade. Niemand hat gesagt, es würde leicht werden. Es muss aber auch nicht blutig werden, selbst wenn das archaisch verankert sein mag. In uns. In der Geschichte. In unserer Rezeption all dessen, was uns durch die Sinne braust. Muss nicht. Wenn wir kein Blut vergießen, gibt es keines. Es ist kein Muss.
Über die Schwelle, durch die Pforte, weiter hinaus als uns guttut. Typisch für uns. Warum springen wir, wenn wir doch die Landung fürchten? Weil es unsere Natur ist, unbequeme Pfade zu gehen. Nur das bringt uns voran. Nicht jeder Einzelne muss Pionier sein, aber die Menschheit im Ganzen darf nicht stagnieren. Und weil dies so ist, ist es gefährlich, sich immer nur auf die anderen Angehörigen der eigenen Spezies zu verlassen. Sie alle könnten abwarten und dabei den Gesamtkörper zu Eis erstarren lassen.
Das Ziel aller Reisen, vor allem der eigenen, kann man definieren, kann man erträumen, aber nicht jeder Weg führt irgendwie dorthin. Nicht von allein. Den Weg und die Reisemittel klug zu wählen, ist sicherlich die halbe Miete. Am Ende zählt vor allem eins: Dass Du deine Fähigkeiten realistisch (!) einschätzt, dass Du Kritik verstehst (!) und annimmst (!), und dass Du dann noch unbedingten Willen zeigst, mit harter (!) Arbeit (!) Deinem Ziel entgegen