Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick. Petra Häußer

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Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick - Petra Häußer Lindemanns Bibliothek

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Gewissen, eine moralische Instanz. Allein durch seine Existenz oder durch die Erinnerung an all die innigen Momente der Verbundenheit mit ihm, das Leuchten in seinen Augen, wenn man etwas gut gemacht hat, die Traurigkeit, wenn man etwas richtig versiebt hat, durch Mangel an Rückgrat und Charakter, durch Leichtsinn oder durch dieses teuflische Begehren in einer jungen Seele, wenn man einfach nur ausprobieren will, wie weit man gehen kann.

      Drei Tage nach Walters 21. Geburtstag war Paul Sömmer, der Musiker, gestorben. War längere Zeit davor schon hinfällig gewesen, von mehreren Schlaganfällen gezeichnet. Walters Lehre beim Anwaltsbüro Lanzmann Kreisler und Söhne – Fachleute für Steuerfragen – hatte er da schon abgeschlossen. Mit einem hervorragenden Zeugnis erhielt er das Angebot einer finanziellen Unterstützung für weitere zwölf Monate, um sich auf einer privaten Fachschule fortbilden zu lassen. Wohnen oder schlafen und essen sollte er nach wie vor bei der Mutter und den jüngeren Geschwistern, zumal Paula gerade mit drei Freundinnen zusammen eine Wohnung in der Lenaustraße in Mannheim-Neckarstadt gemietet hatte, oben unterm Dach, um die Selbständigkeit auszuprobieren. Das sind halt die 20er-Jahre, die jungen Frauen sind heute anders als früher, dachte Wilhelmine, weil sie eben immer alles verstehen wollte, was ihre Kinder taten.

      Walter war befreundet mit dem jungen Lanzmann, er poussierte ein bisschen mit seiner Schwester, jedenfalls gingen sie zusammen ins Kino, zum Tanzen, ganz manierlich.

      „Mutter, da ist nichts dabei!“

      Sicher war nichts dabei. Walter beherrschte die Kunst des Flirtens mit 21 so gut wie der jeweilig begehrteste jugendliche Liebhaber am Theater. Er hatte diese besondere Zurückhaltung im Umgang mit Mädchen. Verstohlene Blicke, ein Aufspannen der Augenbrauen, ein winziges Zucken in den Mundwinkeln, dann ein schneller Griff, um aus dem Mantel zu helfen, die Tür aufzureißen, gerade rechtzeitig, zurückzutreten, sich hinter das Mädchen zu stellen, so dass sie sein Rasierwasser riechen konnte und vielleicht sogar die Wärme seines Atems an ihrem Ohr spürte, weil die Bewegungen einander entgegengekommen waren, ihre und seine, ganz unvorhergesehen, man musste „Oh, Pardon“ sagen und beschämt schauen, dass man so nah an die Verehrte, Bewunderte herangetreten war, denn man wollte ihr doch nicht zu nahe treten, allenfalls ein bisschen näher kommen, wenn’s denn auch willkommen wäre, dessen versicherte er sich mit einem Fragen in den Augen und schließlich einem kessen Zwinkern, einer klitzekleinen Drehung des Kopfes. Walter hatte eine leise Stimme, ein bisschen rauchig, mit Timbre. Der Klang seiner Sätze war immer melodiös, immer freundlich. Er fand Formulierungen, die ein Nein oder gar ein Niemals klingen ließen wie ein Ja auf immer und ewig und überall. Man konnte keinen Streit mit ihm kriegen. Man konnte ihn nicht brüskieren, beleidigen, zurückweisen. Sein Lächeln, sein Zwinkern, der kleine Dreh seines Kopfes verwandelten alles ins Spielerische, nahmen dem Ernsten das Endgültige und ließen es verfließen ins Vage, Nebelhafte, Flüchtige.

      Für Walter hatte der Vater ursprünglich eine Karriere als Musiker vorgesehen gehabt. Vor langer Zeit. Weil keiner so gut Klavier spielte wie er. Alles konnte er spielen, Weihnachtslieder, Kirchenlieder, Arien aus den bekannten Opernaufführungen der Saison, Melodien aus den Lieblingsrevuen seiner Schwestern, die frechen Schlager der neuen Stars am Berliner Musikhimmel, „Veronika, der Lenz ist da“ oder „Mein kleiner grüner Kaktus“.

      „Walter, spiel doch mal“, bettelten seine Schwestern.

      „Was soll ich spielen?“, erwiderte er grinsend.

      Da begannen sie etwas zu summen, wippten mit den Fußspitzen dazu oder wiegten sich in den Hüften. Manchmal pfiffen sie auch und klatschten, aber nie lange, denn er wusste im Handumdrehen, was sie meinten und nahm die Melodienfetzen auf, verlegte sie in die Mitte des Klaviers, so dass jeder mühelos einstimmte. Aber Noten lesen konnte er nicht. Brauchte er doch nicht, wozu auch? Und das hatte den Vater sehr geschmerzt. Dass die vielleicht stärkste musikalische Begabung unter seinen Kindern mit so viel Leichtsinn und einem solchen Mangel an Fleiß und Ehrgeiz verbunden war. Und Sturheit. Es war Walters Art, sich jedem Einwand zu entziehen, indem er sein charmantes Lächeln aufsetzte, mit dem Kopf nickte und sich dann einfach verzog, einfach verschwand, dem Zugriff entwand wie ein glitschiger Fisch, ein weicher Körper ohne Anhalt und Profil, was Paul zum Kochen gebracht hatte.

      Wenn Hans nicht gewesen wäre, der helle heitere Bub, der jüngste von Pauls Söhnen! Auch er war durchaus musikalisch, konnte schön und richtig singen, schon als Fünfjähriger spielte er Schumanns wilden Reiter flinkfingrig vom Blatt, ohne auch nur einmal mit den Augen nach unten zu spickeln.

      Eines Tages erschien er beim Vater und sagte, er wolle eine eigene Geige haben, eine, die ihm gehöre, nur ihm. Paul ging auf diese Bitte ein, im Hinterkopf dachte er, Kinderwünsche sind ja doch so flüchtig wie ein lauer Sommerwind. Spätestens in vier Wochen hängt er das Instrument wieder zurück an meine Wand. Es dauerte dann doch länger, bis sein jüngster Sohn ihm die Geige wieder zurückbrachte. Als Paul sie genau ansah, bemerkte er kleine Ritzen im Holz. Hans hatte sich Markierungen für seine Finger gemacht, damit er die Töne schneller greifen konnte. Aber selbst das hatte ihn nicht mit der Geige auf immer und ewig verbinden können, wie er es sich wohl gewünscht hätte.

      „Ich gebe sie dir zurück und möchte jetzt eine Trompete ausprobieren“, sagte Hans. Da war er acht. Der Vater empfahl ihm, zunächst ein Kornett zu versuchen, da es sich besser greifen lasse. Kurz darauf erschien sein Sohn wieder mit ernster Miene in seinem Studierzimmer.

      „Es hat sich gezeigt, dass die Trompete das richtige Instrument für mich ist. Ich brauche jetzt einen guten Lehrer.“

      „Den kriegst du, Bub, den werde ich dir suchen, das ist leicht, das verspreche ich dir, das machen wir.“

      Für Paul war das eine Offenbarung, die allen Ärger, den er mit Walter je hatte aushalten müssen, wegwischte wie nie geschehen. Und wenigstens die letzten Jahre seines Lebens hatte er sich an den Fortschritten von Hans erfreuen können.

      Mit 15 wurde Hans bereits zum Theaterorchester hinzugenommen, wenn man die Kapazität erweitern musste, zur Matthäuspassion, zur Neunten von Beethoven, zur 1812-Ouvertüre wieder mit dem Kornett oder auch, wenn im Winter Krankheitsausfall bestand, aber auch zum Beispiel, wenn einer der Herren Opernregisseure die verrückte Idee hatte, eine Trompete auf einem hohen wackeligen Gerüst zu platzieren, um sich einen Namen zu machen im Feuilleton und in den Zirkeln der musikverrückten Mannheimer Gesellschaft.

      „Ja, das ist mein Neffe“, konnte die Lenetante dann sagen, wenn sie die Theaterkritik aufgeschlagen auf die Theke legte: „Akrobatisches Talent aus dem Mannheimer Orchestergraben begeistert das Opernpublikum“ stand da in fetten Lettern.

      Wie nebenher nahm Lene Walker die Huldigungen ihrer Kunden entgegen beim Verkauf von Zigarren, Zigaretten, Zigarillos und Pfeifentabak, Schnapsfläschchen und Abziehbildern, Magazinen und Zeitungen aller Couleurs; sie führte inzwischen auch durchaus solche, die man nur mit einem Zwinkern der Lider erhielt, erst, wenn alle anderen Kunden den Laden verlassen hatten und sie sie verstohlen aus der untersten Schublade, die sie danach wieder mit einem Schlüssel sicherte, den sie immer an einer langen Kette um den Hals trug, hervorgeholt hatte. Sie war ja nicht prüde, sie war vor allem Geschäftsfrau und im Gegensatz zu ihrer Schwester Sofie wirtschaftete sie immer noch oder vielmehr wieder so erfolgreich, dass sie auch weiterhin ihre Schwester Wilhelmine bei der Aufzucht ihrer vielen Kinder unterstützen konnte, besonders nachdem diese Witwe geworden war.

      Als der Vater starb, hatte Paula gerade die Hauswirtschaftsschule abgeschlossen und außerdem einen Kurs für Stenografie und Schreibmaschine erfolgreich absolviert gehabt, denn die Lenetante unterstützte nur ausschließlich dieses Projekt, weil sie in anderen keine Zukunft sah für ein Mädchen. Danach hatte sie im Kaufhaus Schmoller auf dem Büro ihre erste Anstellung bekommen, die es ihr ermöglichte, die anteilige Miete in der Lenaustraße zu bezahlen, denn für ihre Kleidung sorgte die Sofietante. Die Lenetante wollte sich daraufhin nicht lumpen lassen, sie ließ ihre Verbindungen zum Theater spielen

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