Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick. Petra Häußer

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Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick - Petra Häußer Lindemanns Bibliothek

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Nähe ist da. Es wird ein Brautpaar geben und bestimmt ganz bald auch ein Enkelkind. Ein kleines Kindchen in ihren Armen. Eins zum Liebhaben, das sie nicht stillen muss, für das sie nachts nicht immer wieder aus dem Bett aufstehen muss, über das sie nicht wachen muss, wenn es fiebert, hustet, sich erbricht. Nur liebhaben darf sie es. Wie ist das Leben gut zu ihr! Was ist das für ein wunderbares neues Jahr, und auch ein neues Jahrzehnt, das hell und froh vor ihr liegt. Sie kann es kaum abwarten, ihr Glück mit Paul zu teilen.

      Der Zollinspektor

      1920

      Die Oper Carmen hatte für Anton ein Leben lang eine besondere Bedeutung. Lioba Winter eine Carmen? Sicher nicht. Sie war ein ganz normales Mädchen, die Tochter eines Bodenseefischers, tätig als Hilfe im Haushalt des Stühlinger Wein- und Spirituosenhändlers Salzmann. Lioba liebte Musik, Antons Baritonstimme hatte es ihr angetan, als sie mit anderen jungen Leuten in Meersburg in den Weinbergen unterwegs waren und einander begegneten. Anton und Lioba waren einander schnell einig zu heiraten, sobald der Krieg zu Ende wäre. Aber erst einmal wurde Lioba schwanger und der kleine Hugo wurde geboren. Anton hätte sie gerne vor der Geburt geheiratet, so dass das Kind schon seinen Namen gehabt hätte. Da druckste sie herum, sie will in ihrer schönen Tracht zum Altar gehen, so wie ihre Mutter und ihre Großmutter und ihre Schwester und da passt sie jetzt doch nicht hinein ... Ja, ja, das sah Anton ein, es wäre sicherlich schnell zu regeln, der Hugo Winter würde am Tag ihrer Hochzeit ein Hugo Klumpp werden und dann könnte alles seinen Gang nehmen. Der Mensch denkt, Gott lenkt, das blieb Antons Spruch, immer wenn er Hugos Geschichte erzählte. Warum hatte ausgerechnet er, der fadengerade, fast treudoofe Grenzer Klumpp Dienst in jener unglückseligen Sturmnacht, als man das Schiff seines zukünftigen Schwiegervaters bergen musste und ihn dazu rief, weil es voll war mit Schweizer Uhren, kleinen, großen, aus Holz, aus Metall, kaum verpackt, sie quollen den Zöllnern entgegen und Antons Kollegen starrten stumm auf die Bescherung, ihr Blick wanderte zum alten Winter und seinen Söhnen, dann zu Anton. Es wurde nichts geredet.

      Schließlich fand Anton seine Sprache, seine Haltung, sein Pflichtgefühl wieder. „Ich muss das melden.“

      Das war’s. Lioba verzieh ihm nicht. Eine Heirat kam nicht mehr in Frage. Obwohl er sich korrekt verhalten hatte, empfahl man ihm eine Versetzung, so landete er in Mannheim beim Warenzoll. Das Heimweh nach dem Kleinen zermürbte sein Herz. Viele Male hatte er das Gefühl, er müsste wie der Sergeant Don José Zoll Zoll sein lassen und zurückgehen an den See, es drauf ankommen lassen, ob man ihn dort aufnehmen würde, sich Arbeit suchen und Lioba wieder zurückzugewinnen, so hätte er dabei sein können, wenn sein Sohn lachen, laufen und sprechen lernte. Aber das war Oper, nicht Wirklichkeit.

      Dann traf er an einem Wochenende auf eine fröhliche Gruppe junger Leute, die sich am Bahnhof zusammenfanden, um in den Odenwald zu fahren, wo sie wandern wollten. Statt in Heidelberg den Zug zu verlassen, was er vorgehabt hatte, blieb er bei ihnen sitzen, stieg erst mit ihnen aus und wanderte mit ihnen durch den Wald, die Bänder flatterten von seiner Klampfe, seinen Hut hatte er in den Nacken geschoben, seine dunklen Haare quollen darunter hervor, eine Locke fiel ihm ins Gesicht, er sah verwegen aus. Mitten im Odenwald sang er von St. Pauli und der Reeperbahn, vom Los des Matrosen, immer wieder Abschied nehmen und diejenigen, die er liebte, zurücklassen zu müssen. Dabei ging es ihm vor allem darum, die Aufmerksamkeit einer jungen Frau mit einem traurigen Gesicht, trotzig geschürzten Lippen, dicken kastanienbrauen Haaren und langen gelenkigen Fingern auf sich zu ziehen, deren Blick, das bemerkte er wohl, immer wieder auf ihn fiel und länger und länger auf ihm verweilte und die ihn am Abend, als sie sich in Mannheim voneinander verabschiedeten, zögerlich anlächelte, zuerst mit geschlossenen Lippen, dann blitzten sogar ihre schönen weißen Zähne hervor. Sie verschwand, bevor er sie hätte fragen können, wo sie wohnte. Er wusste nur, dass sie Helene hieß, dass sie gerade die Meisterprüfung als Schneiderin bestanden hatte, aber erst mit 24 würde sie auch die Anerkennung der Kammer erhalten, so lange müsste sie warten und als Verkäuferin arbeiten. Sie hatte eine Stimme wie Samt und Seide, sang jedes seiner Lieder mit, mühelos fand sie eine zweite Stimme, über der Melodie, unter der Melodie, so etwas hatte er noch nie erlebt. Solch ein Zusammenklang! Einer im anderen geborgen, einer um den anderen herumverschlungen, verbunden, dann sich schwebend wieder entfernend, aber doch immer einer nicht ohne den anderen komplett. Er wusste, er musste sie wiedersehen und er würde sie finden, auch wenn er alle Läden Mannheims nach ihr absuchen müsste.

      Aus Kindern werden Leute

      1929

      Paula und Walter waren auf dem Sprung in eine eigene Zukunft, die mehr bedeutete als nur ein Entwurf, als der Vater starb. Sofie 17 und auf der Handelsschule.

      Johanna immer noch bei der Sofietante im Atelier Wawrina beschäftigt, in dem es inzwischen weniger und weniger zu tun gab, leider. Zunächst hatte der Krieg den Menschen Zurückhaltung auferlegt, welche Frau brauchte denn dringend ein neues schickes Kleid, wenn in den Schützengräben die Männer starben? Dann wurde bei Schmoller oder Wronker Damenkonfektion angeboten, in mehreren Größen der gleiche Schnitt, das gefiel den Damen, da konnten sie sich die passende Größe aussuchen, anprobieren ohne Kaufverpflichtung und sich fühlen wie in Amerika, wo man als normal gewachsene Frau schon lange nicht mehr zu einer Schneiderin ging, bei der man ewig auf die Fertigstellung seiner Kleider hätte warten müssen, die man dann vielleicht doch nicht mochte, weil sie mit der Vorstellung, die man gehabt hatte, so gar nicht übereinstimmten. Die Sofietante und Johanna zusammen mit einem Lehrling im ersten und einem weiteren Lehrling im zweiten Jahr also hielten im Atelier „Wawrina Nachfolger“ die Fahne hoch, wer wusste wie lange noch. Helene, inzwischen Mutter von zwei Kindern, hatte sich in ihrer Wohnung im zweiten Stock in der Böckstraße sieben ein Schneideratelier eingerichtet und beschäftigte ebenfalls ein Lehrmädchen. Sie hatte sich auf Brautkleider und Abendroben spezialisiert, ihre Modelle, Modifikationen gekaufter Schnitte, stattete sie mit raffinierten Details aus und verwandelte sie in traumhafte Einzelstücke. Einmal hatte sie sich sogar mit Kolleginnen zusammengetan, einen Saal im Bürgerkeller gemietet und Paula und ihre Freundinnen führten die schönsten Modelle der letzten Saison vor, gerade so wie es einstmals Helene, Johanna und einige der gut gebauten jungen Schneiderinnen bei Wawrina gemacht hatten. Stubs stand damals am Eingang, begrüßte die Gäste und seine Mutter fiel fast in Ohnmacht, als sie auf ihn traf. Er lachte über ihre Entrüstung und schwor Helene tausend Eide, wie sehr er sie liebe bis in alle Ewigkeit hinein, die Mutter könne nie und nimmer etwas dagegen unternehmen, das sei ja lachhaft, einfach nur kalte Luft.

      Ja, alles längst vorbei! Nun musste Johanna ihrer Schwester Helene manchmal nächtelang bei der termingerechten Fertigstellung ihrer Aufträge helfen, weil Helene immer wieder von Migräne und Gelenkschmerzen geplagt wurde. Dann half ihr nur eines, sie verzog sich ins dunkle Schlafzimmer und schlief den ganzen Tag und die Nacht. Ihre Mutter holte die Kinder zu sich, ließ sie im Hof unter ihren Augen spielen und kochte ihnen ihre Lieblingsgerichte. Richard war ein lieber, ruhiger Bub, der sich stundenlang mit den Katzen beschäftigte, kleine Rinnen, Hügel und Brücken baute für seine Murmeln, in einer schönen Zigarrenkiste, die die Lenetante ihm geschenkt hatte, Insekten sammelte und beobachtete, wer es mit wem aushielt, wer wen bedrohte, fraß, erwürgte und wie lange diese Duelle dauerten. Abends ging er von Wohnung zu Wohnung, von der Großmutter hinüber zu Tante Johanna, dann zurück zur Mutter und wenn Tante Paula da war, um nach der Familie zu schauen, bettelte er sie an, ob sie ihn mitnähme in ihren „Hühnerstall“, wie Walter die Wohnung von Paula und ihren Freundinnen bezeichnete. Aber Richard blieb auf jeden Fall da, wenn Walter auf der Bildfläche erschien, wenn Hans dazu stieß und wenn die beiden im Hof mit ihm Ball spielten. Manchmal auch hießen sie ihn, sich zur Kugel rund zu machen, und dann war er der Ball, den sie einander zuwarfen. Dabei quietschte er so laut, dass sich alle Hoffenster nacheinander öffneten, schließlich auch das Omale rausschaute und einen schrillen Schrei ausstieß: Nein! Nur das nicht! Nur den Richard nicht in Gefahr bringen! Das darf nicht sein, das ist ein besonders schweres Tabu! Es wäre schlimmer als das Schlimmste, was uns allen passieren könnte! Helene würde uns umbringen, wenn ihrem Richard etwas zustöße!

      Nach dem Tod des Vaters begann wahrscheinlich

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