Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick. Petra Häußer

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Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick - Petra Häußer Lindemanns Bibliothek

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style="font-size:15px;">      „Irgendwo immer.“

      „Sind wir auch selber mehrfach hier? Können wir uns selbst begegnen?“

      „Du bist neugierig. Hast du dich schon lange auf diesen Augenblick vorbereitet?“

      „Immer wieder einmal.“

      „Jetzt hast du erst einmal einen Wunsch frei.“

      „Hinunterschauen.“

      Der andere lacht: „Es ist nicht unten, wir sind nicht oben, wir sind mittendrin.“

      Richard dreht sich langsam um, wendet sich ab von den anderen Rauchern, sieht nah oder fern, er wüsste es nicht zu sagen, eine ältere Frau an einem Schreibtisch sitzen. Er deutet mit dem Finger auf sie.

      „Du willst wissen, wer das ist und was sie tut? Das ist Beate, deine Tochter. Sie schreibt gerade an ihrem neuen Roman.“

      Richard kann über die Schulter der Frau auf den Bildschirm schauen und schnell fast gleichzeitig alles lesen, was sie schreibt.

      Er nickt und grinst.

      „Sie schreibt von mir.“

      „Nicht nur das. Sie schreibt die Geschichten, die du damals aufgeschrieben hast, und da lag eine Zukunft für dich drin ...“

      Richard lächelt. Es tut nicht weh und es tut nicht gut. Es ist einfach so, wie es ist.

      Nach dem Triumph bei den Olympischen Spielen von 1936 in Berlin, wo er oben stand mit den anderen Trompetern, er war 13, breitbeinig und siegesgewiss, blieb ihm etwa ein Jahr, um sich endlich angekommen zu fühlen in der Rolle, die seine Mutter für ihn vorgesehen hatte: Er war ein strahlender Held. Einer, dem etwas gelungen war. Ein Jahr später hatte das Schicksal ihm eine andere Rolle zugedacht.

      „Er ist ein Krüppel und er wird es bleiben. Ein Hinkebein, ein Verlierer.“

      Das hörte er den Vater sagen, als er wenige Tage nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus am Abend vor der Küchentür stand und durch den schmalen Spalt hineinspickelte. Da der Vater gleich darauf zu seinem Taschentuch griff und sich heftig schnäuzte, glaubte Richard zu wissen, dass er geweint hatte. Der Vater hatte über seinen Sohn, den Krüppel, geweint.

      Ein Felgaufschwung! Er selbst hatte auf den 2,60-m-Wettkampfhöhe der Reckstange bestanden, seit Berlin fühlte er sich wie Richard Löwenherz, stark, unbesiegbar. Dann abgerutscht, ungut aufgekommen, das Bein verdreht. Erste Operation, zwei Wochen liegen, zweite Operation, drei Wochen liegen, Mobilisation mit zwei Krücken, dritte Operation, eine „kleine“, wie man ihm versicherte, eine weitere Woche im Krankenhaus, dann Entlassung mit Krücken. Zuerst zog er ein bei der Großmutter, weil sie inzwischen im Erdgeschoss wohnte. Zwei Wochen später durfte er wieder hinauf in sein eigenes Zimmer unterm Dach. Er konnte kaum gehen mit dem steifen Bein, hatte zugenommen, hatte keine Lust mehr auf lateinische Vokabeln und das Nibelungenlied. Im Geschichtsunterricht wurde wieder und wieder die Demütigung des Versailler Vertrages breitgetreten und der Revanchismus beschworen, die Notwendigkeit, sich aus der Knebelung fremdbestimmter Friedensverträge zu befreien. In Erdkunde die „Volk-ohne-Raum“-Ideologie erläutert. Er hasste Cäsar, Erbsen blieben ihm im Hals stecken, wenn er an den Augustiner Abt aus Brünn und seine Samenkreuzungen dachte. Das Mittelalter mit seinem verdammten Minnedienst konnte ihm gestohlen bleiben, einzig Schillers Dramen vermochten es noch, seine Aufmerksamkeit an sich zu ziehen, trotzdem wurden seine Zensuren immer schlechter. An Tagen, an denen er keinen Deutschunterricht hatte, ging er gar nicht erst zur Schule, lag stattdessen im Bett und las. Nur seinem Deutschlehrer hörte er noch zu, ihm gab er keine frechen Antworten. Der hatte den Mut, manchmal vom Lehrplan abzuweichen und wirklich Interessantes aufs Tapet zu bringen. Kerle wie den Karl Mohr, mit dem man sich identifizieren konnte, zum Beispiel. Wenn der Oberstudienrat Körner von Schiller sprach, dann war er nicht der Weimarer Dichterfürst, dann war er ein junger aufsässiger Deserteur, der vor seinem Vater und dem König floh, um seine Seele zu retten. Wie die Auflehnung sich breitmachte in seinem Kopf und seinem Herzen. Wie er darum kämpfte, dass seine „Räuber“ aufgeführt werden konnten, hier in Mannheim. Eines Tages bestellte der Dr. Körner Richard dann zu sich und redete ihm ins Gewissen, ermahnte ihn ernsthaft, dass seine Versetzung gefährdet sei, wenn er so weitermache.

      „Deine Noten fordern meine mathematischen Fähigkeiten heraus. Zweimal Mangelhaft im Hauptfach, wie wäre das auszugleichen? Eine Drei in Deutsch reicht nicht und mehr hast du im Augenblick nicht verdient.“

      Er unterbreitete Richard ein Angebot. Mit einer zusätzlichen Fleißarbeit könnte er seine Note bei ihm verbessern, könnte ein Gut erreichen, mit dem das zusätzliche Mangelhaft in Latein ausgeglichen werden sollte. In Sport würde seine alte Note übertragen, das Gut im Sport könnte zusammen mit einem

      Gut – in Physik vielleicht, da habe er ja wenigstens die beiden Praktika mit gutem Erfolg absolviert – die andere mangelhafte Note abfangen. Richard empfand eine Art Verpflichtung, auf dieses Angebot einzugehen. Dr. Körner schien seine Situation zu verstehen und seine stille Rebellion anzuerkennen. So begann Richard die Geschichte seiner Familie aufzuschreiben. Vom Urgroßvater Walker erzählte er, dem Lotsen, vom Großvater Sömmer, dem Musiker, vom Urgroßvater Klumpp, dem Goldsucher, vom Vater, der Heizer gewesen war an Bord der SMS „Prinz Adalbert“. Doktor Körner behielt das Heft und rettete ihm mit seiner guten Zensur den Arsch. Er versprach Richard darüber hinaus, dass er dafür sorgen wolle, den Text zu veröffentlichen.

      „Du hast Talent zu erzählen. Sprache, das ist dein Stoff. Bleib dran. Darin sehe ich deine Zukunft.“

      Aber dann, dann war das Heft mit allem, was der Körner in seinem Schreibtisch hatte, konfisziert und vernichtet worden, als man ihn staatsfeindlicher Umtriebe verdächtigte, weil er ein Sozi war, insgeheim. Hätte die Schulbehörde das geahnt, hätte er schon lange vorher seine Stellung eingebüßt. Ein Glück für seine Schüler, ein Glück für Richard, dass das nicht passierte. Der arme Körner landete schließlich bei der Organisation Todt und musste irgendwie überlebt haben, denn Ende der 50er-Jahre kam ein Luftpostbrief aus Amerika. Immerhin Herr Körner hatte dort eine neue Existenz gegründet, verdiente sein Brot als Farmhelfer in Iowa und arbeitete am Abend seine Vergangenheit auf, schrieb Briefe nach Deutschland, um sein Heimweh erträglich zu machen, vielleicht, oder weil er nicht mit offenen Rechnungen im Gepäck sterben wollte. Hatte eine Frau geheiratet und eine Tochter bekommen, die dem Vater versprach, diese Briefe nach seinem Tod abzuschicken und die ihr Versprechen hielt. Das Schreiben irrte eine Weile bei der Mannheimer Post hin und her, bevor es bei Tante Johanna landete und diese gab es ihm bei einem seiner Besuche, das musste schon in den 60er-Jahren gewesen sein. Er war längst in einem anderen Leben gelandet. Es war ein gutes Leben zu dieser Zeit und er hatte keinen Grund, den unerfüllten Möglichkeiten nachzujammern. Oder hatte er es doch einmal getan? Hatte er ihr davon erzählt? Seiner Tochter? Ihr ein Versprechen abgerungen? Er konnte sich nicht erinnern.

      „Bist du ein Geschichtenerzähler?“

      Richard seufzt. Er würde seufzen, wenn er noch dort wäre. Er nickt. Aber er hat nicht den Eindruck, dass das jemanden interessiert.

      Da liest er es auf dem Bildschirm: „Er konnte erzählen, ausführlich und detailversessen bis zur Schmerzgrenze des Zuhörers.“

      Es ist vorbei und doch nicht. Wie lange wird sich noch irgendjemand erinnern?

      Die „anderen“ Großeltern

      Antons Vater Bertold stammte aus dem Murgtal, die Mutter aus Bruchsal, der Stadt mit dem schönen Barockschloss und dem Gefängnis. Sie war die Tochter des örtlichen Henkers, hatte rote Haare und eine flinke Zunge. Aus ihren

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