Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick. Petra Häußer

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Die Ewigkeit ist nur ein Augenblick - Petra Häußer Lindemanns Bibliothek

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Bahn in den Odenwald, spazierten, lagerten im Wald auf mitgebrachten Decken, manche brachten einen Bruder mit und vielleicht noch dessen Freund. Es wurde gelacht, geschwatzt, geflirtet.

      Johanna tat nichts, was sie nicht jederzeit Mutter und Vater hätte erzählen können, ohne deren Wohlwollen einzubüßen. Sie war sich für manches eben einfach zu gut, das alberne Flirten, das Tratschen, das von einer Zukunft Träumen, die außerhalb jeglicher realer Normen lag.

      Helene aber war noch nicht mit dem zweiten Lehrjahr fertig, da hatte sie schon einen echten Verehrer, den Sohn einer guten Kundin, einen Gymnasiasten, der nur einfach mit Stubs angeredet werden wollte, nicht mit Gerold von Stein, wie er eigentlich hieß. Helene kannte ihn vom Atelier. Seit er zu der Wandergruppe gestoßen war. Warum denn eigentlich? Welche Verbindung hatte er? Hatte er ihre Nähe gesucht? Ihre Nähe? Seit er dabei war, erschien er öfter im Atelier als zuvor, vielleicht auch bemerkte sie ihn jetzt erst? Er drängte sich in Helenes Gedanken, tauchte dort auf am Abend, wenn sie müde hinüberglitt in ihre Träume. Am Tag, viele Male, sie begann sich so zu verhalten, als ob er jederzeit neben ihr stehen könnte und sie beobachten würde. Wenn er seine Mutter begleitete, dann blieb es bei kleinen, wie zufälligen Berührungen der Finger, im Vorübergehen, bei einem tiefen Blick, Auge in Auge versenkt, einem Zucken der Lippen, so als ob sie sprechen wollten, oder vielleicht küssen?

      Er wartete auf Helene im Schatten der gegenüberliegenden Häuser, noch im November, begleitete sie dann nach Hause. Und im Frühling ließ sie ihn wissen, dass es am Wochenende wieder in den Odenwald gehe.

      Johanna bemerkte wohl das Spiel der beiden und sorgte sich um die Schwester.

      „Ob das seiner Mutter recht ist?“

      „Die weiß doch gar nichts davon.“

      „Ob es unserer Mutter recht wäre?“

      „Die wird auch nichts davon erfahren, wenn du es ihr nicht verrätst.“

      Johanna presste die Lippen aufeinander.

      „Er wird dich niemals heiraten, Helene, nie und nimmer wird er das können oder gar dürfen. Sei bloß vorsichtig.“

      „Was soll das denn heißen?“

      „Du weißt doch, was die Männer wollen. Alle wollen das. Und du weißt auch ganz genau, wo das hinführt. Wir sehen das schließlich seit Jahren. Ich finde es grässlich, dass der Vater die Mutter nicht endlich in Ruhe lässt.“

      „Glaubst du denn, dass es die Mutter nicht vielleicht auch will?“

      „Immer noch mehr Kinder?“

      „Nein, ich meine das andere.“

      Die beiden sahen einander stumm an, denn was benannt werden müsste, war doch für sie beide unaussprechbar. Darüber spricht man nicht, hieß das Motto.

      Helene und Stubs gingen bald Hand in Hand. Beim nächsten Ausflug lag Stubs Kopf in Helenes Schoß und sie beugte sich über ihn, streichelte sein Gesicht, wuschelte durch sein Haar. Die Tage wurden länger, die Luft duftete im Wald und auf den Wiesen, es wurde heiß, man war so träge beim Wandern, Helene und Stubs blieben weit hinter der Gruppe zurück. Als es bei schon anbrechender Dunkelheit zurückging, hatte Stubs den Arm um Helene gelegt, er flüsterte ihr etwas ins Ohr, oder küsste er ihr Ohr oder hatte sie eben nicht das Gesicht ihm zugedreht und hatten sich nicht ihre Lippen berührt? Das war am Sonntag, den 28. Juni, Helene würde es nicht vergessen. Niemals, denn Stubs hatte ihr an diesem Tag einen Ring an den Finger gesteckt. Ein kleines Herz mit einer Gravur: ein S und ein H ineinander verschlungen. Jedoch dieser Tag brannte sich ohnehin in das Gedächtnis der Menschheit ein. Das österreichische Thronfolgerpaar wurde an jenem Tag von einem serbischen Attentäter ermordet und daraufhin nahmen die europäischen Länder Aufstellung, um sich in die Schlachten des Ersten Weltkriegs zu stürzen.

      Stubs meldete sich mit den ersten Freiwilligen zum Dienst für das Vaterland. Die Ehre seiner Familie gebot es ihm. Er schrieb Helene Briefe, schickte Karten und sie trafen sich bei jedem seiner Heimaturlaube, bis er verwundet wurde und in der Zeit seiner Genesung die Freundin seiner ältesten Schwester, eine gewisse Adelheid Hattenberg, die Tochter des Kommerzienrates Hattenberg, ihm Gedichte vorlas, ihn stützte, als er seine ersten Schritte mit dem geschienten Bein versuchte, und überhaupt nicht mehr von seiner Seite wich, und die Eltern der beiden sie schließlich mit sanftem Druck vor den Traualtar lenkten. Das zahlte sich aus für alle Beteiligten, denn der seelisch und körperlich schwer beschädigte Gerold von Stein wurde von seinem Schwiegervater mit einem gut bezahlten und nicht sehr arbeitsintensiven Posten in den Mannheimer Chemiewerken dafür belohnt, die schon über 30-jährige Adelheid zur Ehefrau und Mutter eines kräftigen Sohnes zu machen. Helene blieb ein Ring und die Erinnerung an das Gefühl auf ihrer Haut, wenn Stubs sie berührt hatte, den Duft seiner Haare, den Geschmack seiner Lippen, das Kribbeln an ihrem ganzen Körper, wenn sein Blick und ihr Blick ineinander tauchten. Ihre Tränen wusste nur Johanna zu deuten und sie behielt ihr Wissen für sich: Ein Liebesbeweis unter Schwestern. Helene war unendlich dankbar dafür. Sie bewahrte ihre Dankbarkeit auf und wartete geduldig auf einen Moment, wo auch sie der Schwester einen Liebesdienst würde erweisen können. So einfach ist das allerdings nicht. Die Liebe ist kein Handel. Sie ist sehr eigenwillig, selten geht sie einen Weg hin und wieder zurück. Was sie Gutes bewirkt, kann nicht gespiegelt werden. Es verwandelt den Geliebten und befähigt ihn, auch zu lieben, aber er wird anders lieben oder sogar möglicherweise ein anderes Ziel suchen für seine Gefühle. Niemals kann der Geliebte für den Liebenden sein, was dieser ihm ist. Helene ist Johanna dankbar, aber sie liebt die kleine Paula. An sie verschwendet sie ihr kostbar und selten gewordenes Lächeln. Ihr singt sie mit ihrer warmen weichen Stimme Lieder, erzählt ihr Märchen und Geschichten, zeigt ihr, wie man Knopflöcher versäumt, Knöpfe annäht, wie man einen Hefeteig zubereitet, wie man ein Blumenkränzchen windet, es sich aufs Haar drückt, dass man aussieht wie eine Elfe. Helene wacht über Paula wie einst über das Richardle und lange Zeit braucht sie kein weiteres Liebesobjekt.

      Die Großfamilie

      Karl Friedrich Walker hatte drei Töchter und zwei Söhne, die das Erwachsenenalter erreichten. Wilhelmine Sömmer war seine jüngste Tochter. Die beiden anderen Töchter und die Söhne blieben ledig. Sofie, die älteste Tochter, war Schneiderin und übernahm das Atelier der Agnes Wawrina, Lene, nur ein Jahr jünger als ihre Schwester Sofie, war zunächst Angestellte im Tabak- und Zeitungsladen Knopf, der, in unmittelbarer Nähe zum Theater gelegen, vor allem die dort Beschäftigten und die Theaterbesucher anzog, eine ganz bestimmte Klientel von bürgerlich gekleideten Exzentrikern. Nach dem Tod des Besitzers übernahm Lene den Laden, versorgte die Witwe ihres Chefs, die noch im Haus wohnte, bis sie starb, und zahlte ihr als Pacht einen Betrag, der den Einkünften angepasst wurde. Das hatte ihr Chef für sie eingerichtet und testamentarisch festgelegt. Man munkelte in der Verwandtschaft, dass Lene ihrem Chef mehr gewesen sei als eine tüchtige, loyale Angestellte und das sogar mit Duldung der Ehefrau, die um einiges älter war als ihr Mann. In Lenes Umgebung jedenfalls gab es keinen anderen Mann, der von ihr als Ehemann in Betracht gezogen worden wäre. Das glaubten ihre Geschwister zu wissen und einer flüsterte es dem anderen immer wieder einmal zu, so laut und unverhohlen, dass es bis zu Wilhelmines Kindern durchdrang. Als sie die Lene-Tante geworden war – das war nach der Geburt ihrer Nichte Helene, Wilhelmines zweitältester Tochter –, war sie schon um die 40 Jahre alt und überaus zufrieden mit ihrem Status als Geschäftsfrau in so einem interessanten Milieu. Die Künstler vom Theater, ganz besonders die männlichen, wussten, dass sie ihre Lieblingstabakwaren vorhielt, die Zeitungen bei vorteilhaften Besprechungen auf der Seite mit den Theaterkritiken aufgeschlagen auf der Theke ausgebreitet hatte und die kleinen Fläschchen mit dem Hochprozentigen griffbereit, wenn man sich mal wieder mit einem Verriss auseinandersetzen musste. Den ersten Ärger darüber wurden die empfindsamen Herren gleich bei Lene los. Ganz oft folgten sie ihrem Rat und lasen gar nicht, was irgendein ignoranter

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