Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3. Holger Dahl
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Zunehmend Relevanz gewinnen auch gesellschaftliche Entwicklungen wie die Themen Generation Yoder Digital Natives. Diese Mitarbeitergruppe hat andere Erwartungen und Anforderungen an die Gestaltung von Arbeitsbedingungen. Hohe Freiheitsgrade, vernetztes Arbeiten, lebensphasenorientierte Gestaltung, Anpassung an sich im Laufe eines Erwerbslebens ändernde Präferenzen, Flexibilität bei der Zusammensetzung des Vergütungspaketes (Barvergütung und Zusatzleistungen) entsprechend der individuellen Bedürfnisse – das sind nur einige Stichworte, auf die Unternehmen bei der konkreten Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen und damit auch von Vergütungssystemen neue Antworten finden müssen. Die Abkehr von dem einen oder anderen klassischen Paradigma wird sicher die Folge sein.
Abschnitt 1 – Perspektive Arbeitgeberin
I. Einleitung
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Die Mitbestimmung in Fragen des Entgelts war und ist in der betriebsverfassungsrechtlichen Beratung von besonderer Bedeutung. Dies ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass sich die Mitbestimmung in Entgeltfragen oft nicht im Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erschöpft. Je nach Thematik können weitere Mitbestimmungstatbestände einschlägig sein, welche das Recht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erweitern. Sobald zum Beispiel Sozialleistungen, welche nach heutigem Verständnis „Lohn“ im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG darstellen,1 von einer Sozialeinrichtung erbracht werden, richten sich Form, Ausgestaltung und Verwaltung derselben nach § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG. Bei Vermietung von Wohnräumen an Arbeitnehmer wird zusätzlich § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG relevant.2 Plant der Arbeitgeber die Einführung eines leistungsbezogenen Entgeltsystems fällt die Festsetzung der Berechnungsfaktoren regelmäßig unter § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG. Zusätzlich zu den genannten Mitbestimmungsrechten sieht sich der Arbeitgeber zudem häufig damit konfrontiert, dass der Betriebsrat einen Anspruch auf umfassende Auskunft gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG geltend macht.3
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Im Vordergrund steht jedoch, dass sich Arbeitgeber bei der Mitbestimmung in Fragen des Entgelts häufig in der Freiheit unternehmerischer Entscheidung zu Recht unangemessen beschränkt fühlen. Insbesondere bei freiwilligen Leistungen herrscht wenig Verständnis dafür, dass der Betriebsrat sich in die Verteilung der bereitgestellten Mittel einmischen möchte. Nicht selten besteht die Sorge, dass ungeachtet des mitbestimmungsfrei festzulegenden Zweckes der mit einer Leistung verfolgte Zweck nicht erreicht werden oder der Betriebsrat allzu großen Einfluss auf die allgemeine Lohnpolitik des Arbeitgebers nehmen könnte. Diese Sorge scheint berechtigt, wird doch das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gemeinhin als „umfassend“4 und „weitgehend“5 beschrieben. Freilich liest man kaum je eine Beschreibung als grenzenlos.
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Um unberechtigter Besorgnis vorzubeugen und die praktische Diskussion zu vereinfachen, sollen im folgenden Beitrag die notwendigen Grenzen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hergeleitet werden. Hierzu soll ein allgemeingültiger Maßstab für die Bestimmung dieser Grenzen erarbeitet werden. Notwendiger erster Schritt ist hierbei die Bestimmung des Zwecks des Mitbestimmungstatbestandes. Die Bearbeitung konzentriert sich dabei auf den Grundtatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.6 Die flankierenden Mitbestimmungstatbestände werden ausgeklammert.
II. Bestimmung des Normzwecks
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Unabhängig davon, ob sich hieraus bereits konkrete Grenzen des Mitbestimmungsrechts ableiten lassen, ist die Bestimmung des Normzwecks für eine fundierte Argumentation unerlässlich. Hinsichtlich des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kommt man insofern nicht um die Auswertung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts herum.
1. Begründungsformel: Gewährleistung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts soll der Betriebsrat im Fall des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG „mitbestimmen, damit die Grundlagen der Entgeltfindung angemessen, in sich stimmig und durchschaubar gestaltet werden und durch generelle Regelungen entsprechend § 75 Abs. 1 BetrVG eine gleichmäßige Behandlung der Arbeitnehmer gewährleistet ist“.7 An anderer Stelle heißt es: „Dieses Mitbestimmungsrecht soll nach der ständigen Rechtspr. des BAG den ArbN vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmers orientierten oder willkürl. Lohngestaltung schützen. Es soll die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetriebl. Lohngefüges und die Wahrung der innerbetriebl. Lohngerechtigkeit sichern.“8
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Oft stellt das Bundesarbeitsgericht solche oder entsprechende Erwägungen den eigentlichen Ausführungen zur konkreten Fallkonstellation voran.9 Dabei fällt insbesondere der Verweis auf die Sicherung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit ins Auge. Es mag daran liegen, dass dieser Terminus außerordentlich griffig daherkommt oder daran, dass durch ihn gleichzeitig viel und auch nichts ausgesagt werden kann. Fest steht, dass er von der Literatur vielfach ohne kritische Auseinandersetzung aufgegriffen wurde.10
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Als Maßstab für die Reichweite der Mitbestimmung ist die gesamte Zweckformulierung des Bundesarbeitsgerichts freilich ungeeignet. Dafür ist die Vielzahl der Begriffe zu unbestimmt, geradezu unbestimmbar. Man stelle sich vor, die Betriebsparteien würden versuchen, bei Meinungsverschiedenheiten allein aus dieser Formulierung auf die Reichweite der Mitbestimmung zu schließen. Zu einer Einigung käme es nur in den seltensten Fällen. Manch ein Betriebsratsmitglied hielte das Ergebnis wohl nur für gerecht, wenn der Betriebsrat auch über die Regelmäßigkeit betriebsweiter Gehaltserhöhung mitbestimmen dürfte.
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Schon wegen des wenig konkreten Verweises auf die (Lohn-)Gerechtigkeit können die Ausführungen des Gerichts im Ergebnis daher nicht mehr sein als illustrative Einleitungen in die Besprechung des jeweiligen Einzelfalls.11 Die praktische Handhabung der Rechtsprechung wird hierdurch nicht erleichtert.
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Dennoch ist dies einem Szenario vorzuziehen, in dem das Bundesarbeitsgericht auch noch versuchte, aus seinen Zweckansätzen konkrete Rechtsfolgen abzuleiten. Denn dass § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Gewährleistung von Lohngerechtigkeit diene, leitet das Gericht weder aus der Entstehungsgeschichte der Regelung noch aus dem Normzusammenhang ab.12 Insbesondere in der amtlichen Begründung des Gesetzesentwurfs finden sich keine entsprechenden Erwägungen.13 Dass die Norm der Gewährleistung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit diene, ist zudem in der Literatur keineswegs unbestritten.14 Indem das Bundesarbeitsgericht seinen Ausführungen zu § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG einen scheinbar nicht begründungsbedürftigen Normzweck voranstellt, verpasst es leider die Gelegenheit, die eigenen Entscheidungen in klar erkennbare Bahnen zu lenken und so zukünftige Entscheidungen vorhersehbarer zu machen. Bedauerlicherweise wird dies von der Literatur vielfach bedenkenlos hingenommen.15 Als Anhaltspunkt für die Bestimmung der Reichweite des Mitbestimmungsrechts ist die Zweckformulierung im Ergebnis sowohl aus praktischer wie auch aus wissenschaftlicher Sicht ungeeignet.
2. Schutz der Arbeitnehmer
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Der Wortlaut der Norm gibt unmittelbar keinen Aufschluss darüber, aus welchem Grund der Betriebsrat die „betriebliche Lohngestaltung“ beeinflussen können soll. Einzig aus dem Begriff der „Mitbestimmung“ lässt sich – für sämtliche Mitbestimmungstatbestände