Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3. Holger Dahl
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Welche konkreten Interessen der Arbeitnehmer durch die Mitbestimmung geschützt werden sollen, unterscheidet sich nicht nur je nach dem einschlägigen Mitbestimmungstatbestand. Auch bei Anwendung des einzelnen Tatbestandes kann das verfolgte Interesse von Fall zu Fall differieren. In bestimmten Situationen kann die Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG lediglich auf Transparenz der abstrakten Lohngestaltung abzielen und den Arbeitnehmern auf diese Weise eine bessere Einschätzung des Marktwerts der eigenen Leistungen ermöglichen. In anderen Fällen kann der Betriebsrat das Mitbestimmungsrecht hingegen mit dem Ziel verfolgen, die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer zu gewährleisten.
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Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG dient stets dem Schutz der Arbeitnehmer durch erzwingbare Berücksichtigung ihrer Interessen. Der Normzweck ist hierdurch hinreichend umschrieben. Wer bereits auf dieser Ebene versucht, konkretere Interessen in die Formulierung des Normzwecks einfließen zu lassen, nimmt das Ergebnis der Normanwendung vorweg und kann sich schnell dazu verleitet sehen, den Anwendungsbereich des Mitbestimmungsrechts allzu weit zu fassen.17
III. Maßstab der Grenzziehung
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Aus dem Normzweck allein lässt sich nicht darauf schließen, in welchem Umfang die Arbeitnehmer durch § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG geschützt werden sollen. Der Begriff der „Mitbestimmung“ gibt einzig darüber Aufschluss, dass der Gesetzgeber darauf abzielte, Arbeitnehmer und Arbeitgeber an bestimmten Entscheidungen gleichermaßen zu beteiligen. Der große Senat des Bundesarbeitsgerichts spricht insofern zu Recht von „gleichberechtigte[r] Teilhabe“.18 Diese Teilhabe ist allerdings erst die Folge des Eingreifens eines Mitbestimmungsrechts und sagt – zumindest auf den ersten Blick – nichts über die Reichweite desselben aus.
1. Bedeutung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit nach Art. 12 GG
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Die Herstellung von Gleichberechtigung setzt im betrieblichen Zusammenhang notwendigerweise eine Einschränkung der Rechte des Arbeitgebers voraus. Diesen Rechten liegt die grundrechtlich garantierte unternehmerische Entscheidungsfreiheit zugrunde, welche sich insbesondere aus Art. 12 GG herleiten lässt.19 Ein Mitbestimmungsrecht muss freilich nicht allein deshalb begrenzt werden, weil hierdurch in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingegriffen wird.20 Die Normierung eines erzwingbaren Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten setzt einen Eingriff in diese Freiheit denklogisch voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können sich die Grenzen eines Mitbestimmungsrechts daher nur aus den Regelungen des Mitbestimmungstatbestandes selbst, aus anderen gesetzlichen Vorschriften sowie aus der Systematik und dem Sinnzusammenhang des BetrVG ergeben.21
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Unterschiedliche Mitbestimmungstatbestände greifen verschieden weit in die unternehmerische Tätigkeit ein.22 Daher wäre es falsch, die unternehmerische Entscheidungsfreiheit als eine immanente Schranke der positiv-rechtlich geregelten Mitbestimmungstatbestände zu verstehen.23 Dem steht allerdings nicht entgegen, die Wertungen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit in die Auslegung des § 87 Abs. 1 BetrVG einfließen zu lassen. Insofern ist eine verfassungskonforme Auslegung der Norm geboten.24 Zudem liegt der Schutz unternehmerischer Entscheidungsfreiheit dem BetrVG zugrunde und spiegelt sich dementsprechend in der Gesetzessystematik wider.25
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Vor diesem Hintergrund kann die Einschränkung der Rechte des Arbeitgebers durch Anwendung eines Mitbestimmungstatbestandes nur gerechtfertigt sein, wenn hierdurch nicht in unverhältnismäßiger Weise in die unternehmerische Freiheit eingegriffen wird.26 Die Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit obliegt in Ermangelung einer präziseren Ausgestaltung der Mitbestimmungstatbestände den Gerichten. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Gerichte im Zusammenhang mit der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit grundsätzlich auf eine Plausibilitätskontrolle beschränkt sind.27 Denn diese Beschränkung dient dem Schutz des Unternehmers und kann daher nicht umgekehrt dazu führen, dass dessen Rechte überhaupt nicht zu berücksichtigen sind.
2. Schutzbedürftigkeit in Abhängigkeit der Machtposition des Arbeitgebers
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Die Bewertung der Verhältnismäßigkeit setzt voraus, dass auch die Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer in diese einfließt. Bedürfen die Arbeitnehmer in bestimmten Situationen keines zusätzlichen Schutzes, wäre es nicht verhältnismäßig, den Arbeitgeber in seinen Rechten zu beschneiden. Im Falle der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG kann eine Grenzziehung daher insbesondere dann geboten sein, wenn die Arbeitnehmer auf andere Weise als durch den Betriebsrat hinreichend Einfluss auf die Lohngestaltung nehmen können. Umgekehrt gilt, dass das Mitbestimmungsrecht jedenfalls dann greifen muss, wenn die Arbeitnehmer der Willkür des Arbeitgebers ungeschützt ausgesetzt sind.
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Wann das erforderliche Schutzniveau erreicht ist, hängt daher davon ab, in welchem Maß der Arbeitgeber seine Machtposition ausnutzen kann, die sich daraus ergibt, dass die Arbeitnehmer ihm im Rahmen der betrieblichen Sozialstruktur untergeordnet sind.28 Diese Disparität kann sich in der Anwendung von Vertragsbedingungen ebenso ausdrücken wie in Weisungen oder der sonstigen Gestaltung des betrieblichen Zusammenwirkens. Auf die rechtliche Form kommt es, ebenso wie für eine Benachteiligung im Sinne des § 75 Abs. 1 BetrVG, nicht an. Annuß gebraucht insofern zu Recht den Begriff der „Gestaltungsmacht“ des Arbeitgebers.29
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Das Ausmaß dieser Gestaltungsmacht des Arbeitgebers ist damit wesentliches Kriterium für die Bewertung der Schutzbedürftigkeit. Agiert der Arbeitgeber nicht aus einer betrieblich bedingten Machtposition, bedürfen die Arbeitnehmer keines besonderen Schutzes. In diesem Fall muss das Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen sein.
3. Zwischenergebnis
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Entsprechend der Maßgabe des Bundesarbeitsgerichts30 ist die grundsätzliche Reichweite eines Mitbestimmungstatbestands zunächst anhand von Wortlaut und Systematik zu ermitteln. Ergibt sich hieraus kein zwingender Schluss auf eine Grenze der Mitbestimmung, ist zu bewerten, inwieweit die Mitbestimmung in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingreifen würde. Dabei ist ein Eingriff insbesondere dann gerechtfertigt, wenn die Arbeitnehmer der betrieblich bedingten Gestaltungsmacht des Arbeitgebers ungeschützt ausgesetzt sind.
IV. Grenzen der Mitbestimmung
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In § 87 Abs. 1 BetrVG heißt es, der Betriebsrat hat mitzubestimmen, „soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht“. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass in diesem Fall der Schutz des Arbeitnehmers bereits durch eine einschlägige gesetzliche bzw. tarifliche Regelung hinreichend gewährleistet ist.31 Dies ist konsequent, denn dem Gesetzgeber wie auch den Tarifparteien ist zuzutrauen, dass sie bei der Normsetzung