Valla - Zwischen Hölle und Fegefeuer. Lisa Lamp
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Er löste sich von mir und wollte sich zurückziehen, doch ich legte meine Hand auf die Mulde, in welcher der Rücken in seinen Hintern überging, und atmete einmal tief durch. Es war nicht schwer. Eigentlich war es ganz einfach. Ich war diejenige, die es unnötig verkomplizierte. Ich mochte ihn. Ich wollte ihn. Was sollte passieren? Wen kümmerte es, was morgen geschah?
»Dann widerstehe dem Drang nicht«, säuselte ich.
Kaum hatte ich meinen Satz beendet, überbrückte Elijah das letzte Stück und seine Lippen prallten auf meine, als würden sie magnetisch voneinander angezogen werden.
Der Kuss war nicht zärtlich. Er war von Anfang an wild. Hungrig. Als würden alle Emotionen, die wir zurückgehalten hatten, herausbrechen und uns verzehren. Ich keuchte, stöhnte, als seine Hände meinen Körper erkundeten. Überall fühlte ich seine Fingerspitzen, die unendlich sachte meine Haut berührten. Am Rücken, auf meinem Hintern und an den Armen. Gierig küsste er mich, sodass es beinahe schmerzhaft war. Ich spürte seine Zähne, die meine Lippen streiften, und hörte ihn animalisch knurren. Es war wie ein Grollen, das tief aus seiner Kehle aufstieg. Jedoch ängstigte mich das Geräusch nicht. Es stachelte auch mich an, alle Hemmungen fallenzulassen.
Fahrig fuhr ich mit den Händen über seine Muskeln, während seine Zunge fragend über meine Unterlippe strich, bis ich ihm Einlass gewährte. Sofort nahm sein Geschmack mich in Beschlag. Die Mischung aus kühlem Bier, Schokolade und einer Komponente, die ich nicht benennen konnte, machte süchtig. Jedes Härchen auf meinem Körper stellte sich auf. Ich war wie elektrisiert. Ich wollte mehr. Alles. Aber auf keinen Fall wollte ich, dass er mich je wieder losließ.
***
Ironisch, oder nicht? Es war der perfekte Augenblick gewesen. Ich hatte mich nie so wohl gefühlt wie in diesem Moment. Noch nie hatte ich davor meinen Verstand abgeschaltet und meine Existenz einfach genossen. Ich hatte die Frage, was morgen sein würde, mit einem Schulterzucken abgetan und mich von meinen Gefühlen leiten lassen. Und was hatte es mir gebracht? Ich war nie wieder auf eine Party gegangen. Mich hatte auch niemand mehr eingeladen, während Elijah es sich zur Aufgabe gemacht hatte, an jeder Zusammenkunft teilzunehmen und jedes Mal ein anderes Mädchen abzuschleppen. Ich war die Erste gewesen, aber im Grunde eine von vielen. Und danach hatten wir nicht mehr miteinander gelernt, gegessen oder uns auch nur unterhalten. Alles war anders geworden. Elijah hatte mich verraten und ich musste erkennen, dass die Liebe trügerisch war und sie unsere Herzen vergiftete.
»Schade eigentlich, dass es nichts bedeutet hat. Du bist immer so steif, Valla«, sagte Silvania, stibitzte sich die Flasche aus meiner Hand und nahm einen kräftigen Schluck.
Zeitgleich gingen wir auf das große, rote Pentagramm zu, das den Eingang zum Klassenzimmer kennzeichnete. Der fünfzackige Stern war mit Blut von Verbrechern an die Wand gemalt worden und wurde einmal jährlich erneuert, damit er nicht verblasste. Gerade an den ersten Tagen stank es deshalb im ganzen Gebäude nach Eisen, weil die Belüftungssysteme nichts gegen die Aromen tun konnten, die das veraltete Blut verströmte. Doch das letzte Mal musste schon eine Weile her gewesen sein. Ich roch Schwefel, Weihrauch und Myrrhe – der typische Geruch der Hölle.
»Steif? Wie darf ich das verstehen?«
Verwirrt sah ich sie an, während ich mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf die Mitte des Pentagramms drückte und ein Klicken erklang. Kurz darauf rumorte das Gebäude. Die Wand vor uns ächzte und weißer Rauch schien von den Mauern aufzusteigen. Es knarrte. Putz löste sich an der Stelle, an der die Wand mit dem Boden verwachsen war, und zwei parallele Risse, die einen Durchgang markierten, wurden sichtbar. Vor unseren Augen bröckelte die Mauer weg, bis auf dem Marmor ein Haufen Gestein lag und das Loch groß genug war, um ins Klassenzimmer zu gehen. Wir passierten den Eingang und hinter uns wurden die Brocken auf magische Weise angehoben, um wieder eine Wand mit dem Pentagramm darauf zu formen.
»Gefühllos, kalt, hart – such dir eins davon aus. Wir fühlen, Valla. Ja, auch Liebe, obwohl wir Dämonen sind. Finde dich damit ab und kämpfe nicht dagegen an. Denk nur mal an den Teufel. Selbst er hat seine große Liebe in Eva gefunden«, argumentierte Silvania und ging nach hinten ans Ende des Zimmers, um so weit wie möglich von unserem Prüfer, Meister Asmodäus, entfernt zu sein.
Sie ließ sich auf einem Stuhl aus menschlichen Knochen nieder und legte ihre Tasche vor sich auf den Tisch, der ebenfalls aus Überresten der Menschen bestand. Zum Glück hatten wir heute älteres Mobiliar erwischt. An den Neueren waren manchmal noch Fleischrückstände zu finden, weil sich niemand die Mühe gemacht hatte, die Knochen vor dem Zusammenbauen zu säubern, wenn die Leichenteile aus dem Folterkeller der Hölle geliefert wurden. Es schien sich auch niemand über den süßlich-faulen Geruch zu beschweren, wenn das Fleisch zu verrotten anfing. Doch ich hasste es, wenn ich meine Notizen auf den Tisch legte und sie anschließend mit Blutresten besudelt waren.
»Die er aus Gier Adam stahl, um mit ihr Lilith zu zeugen, mit der er dann hunderte Nachkommen fabrizierte«, erwiderte ich und verdrehte die Augen, um Sil zu zeigen, dass ich ihre Argumentation lächerlich fand.
Der Teufel hatte sicher Wichtigeres zu tun, als Liebesverse zu verfassen und Frauen zu umgarnen. Und ich bezweifelte, dass ein Mann, der seit einer Ewigkeit täglich eifersüchtige Mörderinnen, Pädophile, Betrüger und Vergewaltiger bestrafte, sich für die Liebe öffnen könnte. Wenn man die tiefsten Abgründe sah und wusste, was einige unter dem Deckmantel der Liebe bereit waren zu tun, war das abschreckend genug, um nie wieder jemandem seine innersten Gefühle zu offenbaren.
»Aber er hat sie geliebt. Außerdem ist das Jahre her und seit über einem Jahrhundert hat er kein Kind mehr bekommen. Es wird gemunkelt, dass er sich wieder verliebt hätte. So, wie ich Nikolai liebe. Aber du denkst immer nur an die Arbeit.«
Ich zuckte bei Silvanias Worten zusammen und erntete von ihr einen entschuldigenden Blick, der mir zeigte, dass sie sehr wohl wusste, was sie damit in mir auslöste. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und eine seltsame Leere machte sich in mir breit, die immer Besitz von mir nahm, wenn die Kinder des Teufels zur Sprache kamen. Musste Sil gerade heute auch noch in dieser Wunde bohren? Reichte es nicht, wenn Elijah mir wieder einmal vor Augen geführt hatte, dass er mein Leben zerstört hatte? Ich hatte so eine große Zukunft vor mir gehabt und dann, von einem Tag auf den anderen, hatten alle gehofft, dass der Dämonenstein mir keine Aufgabe zuteilen würde, damit ich von der Bildfläche verschwand. Wenn es nur so gewesen wäre. Na gut, das war übertrieben, immerhin liebte ich es hier und hätte mir nicht vorstellen können, zwischen all den Menschen zu leben, ohne mich an meine Familie zu erinnern. Aber war die Alternative besser? Ich hatte noch den enttäuschten Gesichtsausdruck meines Dads vor Augen, als mir der Stein umgehängt und meine Aufgabe verkündet wurde. Seine Augen waren aus der ersten Reihe starr auf mich gerichtet gewesen, während er aufgestanden war und die Bühne betreten hatte. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst gewesen. Sein Gesicht war rot angelaufen. Zeitgleich hatte ich ihm mit Tränen in den Augen entgegengesehen und gedacht, dass er meine Schmach beenden wollte. Aber ich hatte mich geirrt. Der restliche Saal hatte gelacht.
»Das hat sie verdient«, »Tja das war es mit der Familienehre« und »Ich wusste gar nicht, dass man für nichts gut genug sein konnte«, waren noch die netteren Beleidigungen, die im Raum ertönt waren.
Doch die Stimmen verklangen erst, als