Polizeibeamte als Zeugen im Strafverfahren. Kai Müller
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2. Grundsatz der Unmittelbarkeit
Der Grundsatz der Unmittelbarkeit bedeutet, dass das entscheidende Gericht die Beweisaufnahme selbst wahrnehmen muss und nicht etwa anderen Personen übertragen darf. Die Tatsachen müssen dabei aus der Quelle selbst geschöpft und nicht durch Beweissurrogate ersetzt werden, da der sachnähere Beweis regelmäßig der bessere ist.50 Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so muss diese Person in der Hauptverhandlung vernommen werden (§ 250 StPO). Ein möglicherweise in den Akten vorhandenes Protokoll über eine frühere Vernehmung darf nicht als Ersatz für die Vernehmung dieser Person vor Gericht als Urkundenbeweis verlesen werden. Das Gericht soll sich einen unmittelbaren Eindruck von der Aussage einer Person machen und dabei auch die Möglichkeit der Rückfrage haben.51 Der Unmittelbarkeitsgrundsatz wird daher auch als Prinzip vom Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundenbeweis bezeichnet.52 Dies verbietet jedoch nicht die lediglich den Personalbeweis ergänzende Verlesung der Urkunde, beispielsweise des früheren Vernehmungsprotokolls als Vorhalt gegenüber der vor Gericht Auskunft gebenden Person.53
Merke:
Das Gesetz erlaubt in Ausnahmefällen, den Personalbeweis durch den Urkundenbeweis zu ersetzen (vgl. §§ 251 ff. StPO). So können Erklärungen des Angeklagten in einem richterlichen Protokoll während des Ermittlungsverfahrens als Urkundenbeweis in der Hauptverhandlung verlesen werden (§ 254 I StPO), nicht jedoch das polizeiliche oder staatsanwaltschaftliche Protokoll einer Beschuldigtenvernehmung.
Hieraus ergibt sich bei einem erst vor Gericht schweigenden Angeklagten die Notwendigkeit, den Polizeibeamten, der die polizeiliche Beschuldigtenvernehmung durchgeführt hat, als Zeuge vom Hörensagen vor Gericht zu vernehmen, worauf unten bei der Erörterung der Zeugenrolle des Polizeibeamten54 näher eingegangen wird.
III. Ablauf der Hauptverhandlung
Der Gang der Hauptverhandlung bis zum Beginn der Beweisaufnahme ist in § 243 StPO geregelt. Die Hauptverhandlung ist in der Regel öffentlich (§ 169 GVG) und beginnt mit dem Aufruf der Sache. Sodann stellt der Vorsitzende fest, ob der Angeklagte und ggf. sein Verteidiger sowie mögliche weitere Verfahrensbeteiligte (z. B. Nebenkläger) anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft sind. Hierzu ruft er die geladenen Zeugen und Sachverständigen auf. Danach müssen diese den Sitzungssaal wieder verlassen, werden jedoch in der Praxis oftmals vorher noch gemeinsam belehrt (§ 57 StPO). Nunmehr wird der Angeklagte vom Vorsitzenden über seine persönlichen Verhältnisse vernommen. Anschließend verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dann belehrt der Vorsitzende den Angeklagten über sein Aussageverweigerungsrecht und vernimmt ihn zur Sache. Im Anschluss folgt die Beweisaufnahme (§§ 244 ff. StPO). Hierbei haben der Angeklagte, sein Verteidiger, der Staatsanwalt und mögliche weitere Verfahrensbeteiligte (z. B. Nebenkläger bzw. dessen Vertreter) nicht nur das bereits erwähnte und später noch näher zu beleuchtende Fragerecht, sondern können nach jeder Beweiserhebung – ebenso wie Verteidiger und Staatsanwalt nach der Vernehmung des Angeklagten – auch Erklärungen abgeben (§ 257). Nach Abschluss der Beweisaufnahme werden die Schlussvorträge, die sog. Plädoyers, gehalten (§ 258 StPO). Dabei plädiert zuerst der Staatsanwalt, dann der mögliche Nebenkläger bzw. sein Vertreter und abschließend der Verteidiger. Das letzte Wort hat stets der Angeklagte. Sodann folgt die geheime Beratung und Abstimmung über das Urteil (§§ 192 ff. GVG; 263 StPO). Der Vorsitzende verkündet das Urteil (§ 260 I StPO) durch Verlesung der Urteilsformel und mündlicher Urteilsbegründung (§ 268 StPO). Die Hauptverhandlung schließt mit der Rechtsmittelbelehrung (§ 35a StPO).
Verfahrensbeteiligter ist, wer durch eigene Willenserklärungen gestaltend als Prozesssubjekt am Verfahren mitwirkt.55 Nicht zu den Verfahrensbeteiligten zählen daher Zeugen und Sachverständige. Auch das Gericht ist, wie bereits erklärt, nicht Verfahrensbeteiligter in diesem Sinne. Zu den hier interessierenden Verfahrensbeteiligten zählen die Staatsanwaltschaft, der Angeklagte und sein Verteidiger sowie der Nebenkläger, da der Polizeibeamte vor Gericht als Zeuge von diesen Beteiligten vernommen bzw. befragt wird. Die meisten Konflikte treten dabei zwischen dem polizeilichen Zeugen und dem Strafverteidiger auf. Diesem Themenkomplex ist ein eigenes Kapitel gewidmet,56 so dass hier zunächst nur die anderen genannten Verfahrensbeteiligten dargestellt werden.
In der Hauptverhandlung tritt mindestens ein Amtsanwalt oder Staatsanwalt als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft auf (§§ 226 I, 227 StPO). Bei einer Hauptverhandlungen wegen Ordnungswidrigkeiten ist in der Regel kein Amts- oder Staatsanwalt anwesend, da eine Verpflichtung zur Teilnahme der Staatsanwaltschaft nicht besteht (§ 75 I OWiG). Den Amtsanwälten werden nur Strafsachen übertragen, in denen der Strafrichter zuständig ist, d. h. ein Privatklagedelikt verfolgt wird oder aber keine höhere Strafe als zwei Jahre zu erwarten ist (§ 25 GVG). Die Wahrnehmung der Aufgaben eines Amtsanwalts kann auch auf einen Rechtsreferendar übertragen werden (§ 142 III GVG). Treten mehrere Staatsanwälte als Sitzungsvertreter auf, so stehen sie dem Gericht als Einheit, nämlich als die Staatsanwaltschaft, gegenüber. Als selbständiges Organ der Rechtspflege57 vertritt der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung die Anklage und übt dabei durch Fragen, Anträge und Erklärungen eine Kontrolle der Justizförmigkeit des gerichtlichen Verfahrens, d. h. der richtigen Handhabung der Prozessordnung, aus. Insbesondere zu nennen sind sein Fragerecht gegenüber Zeugen und Sachverständigen (§ 240 II StPO), das Recht zur Beanstandung von Anordnungen des Vorsitzenden (§ 238 II StPO) und von Fragen, das Beweisantragsrecht (§ 244 III–VI StPO) sowie das Recht zur Rechtsmitteleinlegung (§ 296 StPO). Hierbei ist der Staatsanwalt nicht einseitig Partei, sondern zur Objektivität verpflichtet und muss die Beweislage auch in der Hauptverhandlung unvoreingenommen würdigen.58 Er hat sowohl die den Angeklagten belastenden als auch die entlastenden Tatsachen zu berücksichtigen. Keinesfalls ist er an die Vorgaben der Anklageschrift gebunden, so dass er beispielsweise auch in seinem Plädoyer (§ 258 I StPO) einen Freispruch beantragen oder Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten einlegen kann (§ 296 II StPO).
Dabei ist der Sitzungsvertreter jedoch selten der Sachbearbeiter, d. h. der Anklageverfasser. Insbesondere in Verfahren der Alltagskriminalität kennt der Sitzungsvertreter zumeist den Akteninhalt nicht und kann daher – anders als das Gericht – darauf auch nicht Bezug nehmen, etwa durch Vorhaltungen aus früheren polizeilichen Vernehmungen des Angeklagten oder Zeugen. Für die Sitzungsvertretung erhält er lediglich eine sog. Handakte, da die Akte selbst sich beim Gericht befindet. Die Handakte enthält die Anklageschrift, einen Zentralkarteiausdruck, der Auskunft über die gegen den Angeklagten bei dieser Staatsanwaltschaft geführten Verfahren gibt, sowie einen Bundeszentralregisterauszug. In größeren Verfahren ist jedoch oftmals der Sachbearbeiter auch der Sitzungsvertreter