Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Holger Dahl
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aa) Grundlegende Änderung
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Das Adjektiv „grundlegend“ bezüglich der möglichen Änderungen von Betriebsorganisation, Betriebszweck oder Betriebsanlagen zeigt, dass eine bestimmte Dimension bzw. Tiefe der Veränderung gefordert ist, wenngleich es falsch wäre, zur Interpretation allein auf Satz 1 zurückzugreifen. Wenn richtigerweise Betriebsänderungen im Sinne von Satz 3 als solche des Satzes 1 gelten, also die Frage der wesentlichen Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft nicht gesondert zu prüfen ist, kann eben dieses nicht als verbindlicher Prüfpunkt bei einem der Katalogtatbestände herangezogen werden. Wenn noch zu prüfen wäre, ob wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft Folge der Maßnahme sein können, so wäre ja auch gleichzeitig eine Betriebsänderung im Sinne des Satzes 1 jenseits der Katalogtatbestände gegeben. Das BAG hat bereits 1982 klargestellt, dass eine Gesamtschau erforderlich ist und (nur) bei Zweifeln darüber, ob die Änderung der Betriebsanlagen grundlegend ist, der Anzahl der Betroffenen indizielle Bedeutung zukommt.103 Die Änderung muss also in ihrer Gesamtschau104 von erheblicher Bedeutung sein, wobei stets qualitative Gesichtspunkte, wie z.B. der Grad der technischen Änderung, aber auch die Auswirkung auf die Mitarbeiter zu bewerten ist.
bb) Änderung der Betriebsorganisation
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Eine Änderung der Betriebsorganisation liegt vor, wenn der Betriebsaufbau, insbesondere hinsichtlich Zuständigkeiten und Verantwortung, umgewandelt wird.105
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Die Fremdvergabe bzw. Outsourcing von Aufgaben z.B. führt an sich zu so einem Wegfall der bisherigen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in diesem Bereich.106 Ist dieser jedoch klein und/oder nicht zentral wertschöpfend, so stellt sich die Frage der Auswirkung auf den Rest des Betriebs. Die Fremdvergabe der technischen Anzeigenproduktion (Satzherstellung) eines Zeitungsverlags mit 10 von 390 Mitarbeitern hat das BAG nicht genügen lassen, da dies keine hinreichenden Auswirkungen auf den Betriebsablauf oder auf die Arbeitsweise und -bedingungen der nicht unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer hatte.107 Wären die Arbeitsabläufe enger miteinander verwoben gewesen, hätte das Ergebnis anders aussehen können. Genügen ließ das BAG die Aufgabe des mit eigenen Angestellten durchgeführten Anzeigendienstes zugunsten des Aufbaus eines Netzes selbstständiger Handelsvertreter.108 Auch die Ausgliederung der Zimmerreinigung in einem Hotelbetrieb ist eine Änderung der Betriebsorganisation im Sinne von § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG, da es sich, anders als etwa in einer Druckerei, im Hotel um eine Primärfunktion handelt.109
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Ein häufiger Anwendungsfall sind grundlegende Organisationsveränderungen, bei denen oftmals Hierarchieebenen hinzukommen oder entfallen und/oder Aufgaben und Zuständigkeiten anders verteilt werden. Bei Entfall der Ebene der Regionalleiter im Pharma-Außendienst mit einer Betroffenheit von 100 Außendienstmitarbeitern hat das BAG die grundlegende Änderung bejaht.110 Im Gegensatz dazu hat das LAG Hamm eine grundlegende Änderung in einem Fall verneint, in dem die abgeschaffte Ebene nur aus einer Person bestand.111 Es kann aber auch eine Mischung verschiedener organisatorischer Maßnahmen vorliegen, wie im bejahten Fall der Neu-/Umorganisation der Logistik in Hallen eines Bremsbelägeherstellers und der damit einhergehenden Fremdvergabe der Staplerfahrertätigkeiten.112 Die Einrichtung einer Internetfiliale bei einer bis dahin
klassisch agierenden Bank kann eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation sein,113 ebenso die Einrichtung von häuslichen Telearbeitsplätzen oder Satellitenbüros.114 Auch der Übergang zu einer Profitcenter-Organisation bzw. die Einführung von Profitcentern ändert die Betriebsorganisation.115 Unter welchen Tatbestand die Einführung von „Desk-Sharing“ (auch „Shared Desk“ oder „Flexible Office“ genannt) fällt, wird unterschiedlich diskutiert.116 Aber auch hier kommt es natürlich auf die Ausgestaltung an.
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Auch die Einführung von Matrixstrukturen wird in vielen Fällen mit einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation einhergehen.117 Kern der Einführung von Matrixstrukturen ist ja gerade die Veränderung von Entscheidungsabläufen und zumindest teilweise Aufhebung klassischer Strukturen der Betriebsorganisation. Auch wenn zwischenzeitlich höchstrichterlich bestätigt wurde, dass die Übernahme von Führungsaufgaben eines Matrixmanagers ohne physische Präsenz im Betrieb als Einstellung im Sinne von § 99 BetrVG zu werten ist,118 wird man andererseits die Frage zu stellen haben, in welchem Umfang dies geschieht und wie sich dadurch Führung und Arbeitsabläufe verändern. Da die Frage der Dimension der Veränderung oft strittig sein wird, ist hier ergänzend auf das Informationsrecht des Wirtschaftsausschusses hinzuweisen. § 106 Abs. 3 Ziff. 9 BetrVG kennt den Begriff der Änderung der Betriebsorganisation ebenfalls, jedoch ohne dass dort die Änderung grundlegend sein muss. Hierüber kann zumindest der Informationsfluss „gefördert“ werden. Ein weiteres Beispiel ist die Umstellung von einer Linienorganisation auf eine agile Netzwerkorganisation.119 Die zumindest teilweise Auflösung klassischer Hierarchiestrukturen zugunsten flexibler, sich der jeweiligen Aufgabe anpassender Strukturen führt zu einer Änderung der Betriebsorganisation, wobei Umfang, Intensität und die Frage der Dauer in der Gesamtschau dann die Frage beantworten müssen, ob das „grundlegend“ im Sinne des Gesetzes ist. Die Abgrenzung zur Einführung neuer Arbeitsmethoden ist unscharf, da z.B. Scrum als Arbeitsmethode begriffen wird, aber die vorgenannten Auswirkungen hat. Das gilt auch für sog. „ganzheitliche Produktionssysteme“ wie Kaizen, Kanban und SMED, deren Einführung in aller Regel eine wesentliche Änderung der Betriebsorganisation darstellt, aber auch Auswirkungen auf Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren hat,120 wie auch Maßnahmen im Zusammenhang mit Industrie 4.0.121
cc) Änderung des Betriebszwecks
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Betriebszweck i.S.d. § 111 Satz 3 Ziff. 4 BetrVG ist der mit dem Betrieb verfolgte arbeitstechnische Zweck.122 Es kommt darauf an, „wie“ die Einnahmen erzielt werden.123 Es kommt also auf die zu fertigenden Produkte oder angebotenen Dienstleistungen an. Eine Änderung kann darin bestehen, dass der bisherige Betriebszweck durch einen anderen ersetzt oder um einen weiteren Betriebszweck ergänzt oder einer von mehreren arbeitstechnischen Zwecken nicht mehr weiterverfolgt wird.124
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War z.B. neben dem Vertrieb und Verkauf von Telekommunikationsgeräten weiterer Betriebszweck die Forschung und Entwicklung in Bezug auf Geräte der drahtlosen Kommunikation, so ist der Entfall von Forschung und Entwicklung als einer von zwei Betriebszwecken grundlegend.125 Wenn der arbeitstechnische Zweck eines Schlachthofes stets die Schlachtung von Rindern, Kälbern und Schweinen war und dies auch noch von den gleichen Arbeitnehmern ausgeführt wurde, so liegt nach BAG keine grundlegende Änderung des Betriebszwecks vor, wenn künftig nur noch Schweine geschlachtet werden.126 Werden aus dem Bereich „Reparatur von Endoskopen“ die zeitintensiveren Großreparaturen von Standardendoskopen auf einen anderen Betrieb verlagert, soll dies nach dem Arbeitsgericht Hamburg nicht genügen.127 Es verkannte dabei aber, dass die verbleibende Tätigkeit viel kleinteiliger wurde und auch geringere fachliche Kompetenz forderte, also ein wertbildender Faktor der Dienstleistung entfallen war. Hat hingegen eine Spielbank bisher nur Spiele nach Art „Monte Carlo“ (durch Croupier geleitet) angeboten und erweitert sein Angebot um Glücksspielautomaten (nach Art „Las Vegas“), so tritt ein grundlegend neuer Betriebszweck hinzu.128 Ebenfalls war eine grundlegende Änderung des Betriebszwecks bei Aufgabe des eigenen Vertriebs durch ein Versicherungsunternehmen zu bejahen, weil sich die erbrachte Dienstleistung dadurch ändert.129 Ein weiteres Beispiel kann die Umstellung der Produktion von Automobilen hin zu Motorrädern oder umgekehrt sein.130 Das Hinzutreten eines zusätzlichen Betriebszweckes ist nach hiesigem Dafürhalten auch stets grundlegend, wenn sich das Unternehmen damit neuen aufsichtsrechtlichen Kontrollen unterwirft, wie z.B. der Versicherungsaufsicht