Kartellrecht und Ökonomie. Daniel Zimmer
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2. Gleichgewichte auf oligopolistischen Märkten
Das Konzept des Nash-Gleichgewichtes kann dazu verwendet werden, das Marktergebnis bei oligopolistischem Wettbewerb zu untersuchen.75 Ein wichtiger Aspekt oligopolistischen Wettbewerbs betrifft die von den Unternehmen eingesetzten Wettbewerbsparameter, d.h. ihre Strategien. Dabei wird in der Regel zwischen Preis- und Mengenwettbewerb unterschieden. Der Grund für eine solche Unterscheidung liegt vor allem darin, dass in bestimmten Industrien die Mengenentscheidung, z.B. aufgrund der gewählten Produktionskapazität, nur schwer revidiert werden kann, während der Preis ohne größere Probleme den Marktverhältnissen so angepasst werden kann, dass die produzierte Menge auch abgesetzt wird, wie das z.B. bei homogenen Massengütern wie Zement, Beton, oder Getreide der Fall ist. Diese Industrien sind also eher durch Mengenwettbewerb gekennzeichnet, der auch als Cournot-Wettbewerb bezeichnet wird.76 In anderen Branchen hingegen ist eine Preisanpassung kurzfristig nur schwer möglich oder sehr kostspielig, weil z.B. umfangreiche Kataloge gedruckt wurden. Hier kann allerdings die Menge häufig recht schnell variiert werden, indem man z.B. von anderen Herstellern bezieht. In solchen Industrien würde man also eher einen Preiswettbewerb, einen sogenannten Bertrand-Wettbewerb erwarten.77 Anders als beim Monopol spielt der Wettbewerbsparameter in einem Oligopol für das Marktergebnis eine wichtige Rolle. Die folgende Darstellung geht davon aus, dass zwischen den Oligopolisten keine Verhaltensabstimmung bzw. Kollusion stattfindet oder anderweitige Vereinbarungen etc. getroffen werden und es wird unterstellt, dass kein Marktzutritt in diesen Markt erfolgt. Die Oligopolisten verhalten sich, gegeben die Marktstruktur und die Wettbewerbsparameter, wettbewerblich, berücksichtigen bei ihren Entscheidungen jedoch die strategischen Interdependenzen. Die Bedingungen, unter denen eine Verhaltenskoordination auftreten kann, werden auf den Seiten 458–522 untersucht.
a) Bertrand-Wettbewerb: Preiswettbewerb mit homogenen Gütern
In einem Markt, in dem die Unternehmen ein homogenes Produkt herstellen, keinen Kapazitätsbeschränkungen unterliegen, mit konstanten und gleichen Stückkosten produzieren und der Wettbewerbsparameter der Preis ihres Produktes ist, führt das Nash-Gleichgewicht zur gleichen Menge und zum gleichen Preis wie im Fall des vollkommenen Wettbewerbs.78 Im Bertrand-Modell mit homogenen Gütern verlangt jedes Unternehmen im Nash-Gleichgewicht einen Preis, der den Grenzkosten bzw. den Stückkosten entspricht.79 Der Grund dafür kann am Beispiel mit zwei Unternehmen verdeutlicht werden. Würde ein Unternehmen seinen Preis unter denjenigen senken, der seinen Grenzkosten entspricht, also unter den Preis, der bei vollkommenem Wettbewerb herrschen würde, dann könnte es zwar die gesamte Nachfrage auf sich ziehen, würde aber einen Verlust erwirtschaften. Ein Abweichen mit dem Preis nach unten wäre also nicht lohnend. Würde es dagegen einen höheren Preis verlangen, dann könnte das Unternehmen nichts mehr absetzen, denn alle Konsumenten würden nun beim günstigeren Konkurrenten kaufen. Es besteht daher auch kein Anreiz, mit dem Preis nach oben abzuweichen. Da also kein Unternehmen einen Anreiz hat, einseitig seine Strategie zu ändern, handelt es sich bei diesen Preisen um ein Nash-Gleichgewicht. Man könnte sich auch vorstellen, dass sämtliche Unternehmen den gleichen Preis verlangen, der aber über den Grenzkosten liegt. In diesem Fall könnten die Unternehmen einen positiven Gewinn erwirtschaften. Aber ein solcher Preis wäre kein Nash-Gleichgewicht, denn würde ein Unternehmen seinen Preis geringfügig senken, dann könnte es die gesamte Nachfrage auf sich ziehen und dadurch einen deutlich höheren Gewinn erzielen – der Gewinn pro Stück wäre fast gleich geblieben, aber die abgesetzte Menge hätte drastisch zugenommen. Das andere Unternehmen würde „leer“ ausgehen und hätte seinerseits nun wieder einen Anreiz, seinen Preis unter den des Konkurrenten zu senken, um die gesamte Nachfrage an sich zu ziehen. Diese Überlegungen machen deutlich, dass sich im Nash-Gleichgewicht die gleichen Preise, Mengen und Gewinne ergeben wie bei vollkommenem Wettbewerb. Entscheidend für diesen starken Wettbewerbsdruck zwischen den Unternehmen ist die Reaktion der Nachfrage auf eine Preisänderung: Eine kleine Preissenkung unter den Preis des Konkurrenten führt zu einem sprunghaften Anstieg der Nachfrage, eine Preiserhöhung über den Preis des Konkurrenten führt zu einem völligen Verlust jeglicher Nachfrage.
b) Bertrand-Modell mit Kapazitätsbeschränkungen – Edgeworth-Zyklen
Das Standard-Bertrand-Modell setzt jedoch voraus, dass die Unternehmen keinerlei Kapazitätsbeschränkungen unterliegen, d.h. jedes Unternehmen ist in der Lage, immer die gesamte Nachfrage zu befriedigen. Wenn diese Bedingung jedoch nicht erfüllt ist, dann ist ein Preis in Höhe der Grenzkosten kein Nash-Gleichgewicht mehr.80 Dies kann anhand eines einfachen Beispiels illustriert werden. Angenommen, die Nachfragefunktion sei gegeben durch x(p) = 1000 – p und die Unternehmen 1 und 2 produzieren mit Grenzkosten in Höhe von 280 bis zu einer maximalen Kapazität von 360 Einheiten. Würden beide Unternehmen einen Preis in Höhe der Grenzkosten, d.h. von 280 verlangen, dann würde die Menge von 1000 – 280 = 720 Einheiten nachgefragt werden. Diese Menge könnte mit den Kapazitäten der beiden Unternehmen hergestellt werden. Allerdings sind nun Preise in Höhe der Grenzkosten kein Gleichgewicht mehr, denn jedes Unternehmen hat einen Anreiz, einseitig von diesem Preis abzuweichen und einen höheren Preis zu verlangen. Ohne Kapazitätsbeschränkungen würde nun die gesamte Nachfrage vom Unternehmen mit dem geringeren Preis gedeckt werden. Dies ist nun aber aufgrund der Kapazitätsbeschränkung nicht möglich. Würde z.B. Unternehmen 1 einen höheren Preis verlangen, verbliebe ihm eine Restnachfrage in Höhe von xr(p) = 640 – p. Gegenüber dieser Restnachfrage ist Unternehmen 1 Monopolist und würde den gewinnmaximierenden Preis in Höhe von 460 verlangen. Bei diesem Preis würde es die Menge von 180 Einheiten verkaufen und einen Stückgewinn von 180 erzielen. In der Regel wird angenommen, dass die Konsumenten mit der höchsten Zahlungsbereitschaft das Gut zum günstigeren Preis erwerben können, d.h. dass eine effiziente Rationierung vorliegt.81
In der beschriebenen Situation könnte Unternehmen 1 also profitabel von einem Preis in Höhe der Grenzkosten abweichen. Allerdings würde nun Unternehmen 2 diesen Preis unterbieten können und bei einem etwas geringeren Preis, z.B. 459,99, seine gesamte Kapazität in Höhe von 360 Einheiten absetzen und einen (fast) doppelt so hohen Gewinn realisieren wie Firma 1.82 Dieser Preis würde wiederum von Unternehmen 1 unterboten werden, sodass auch dies kein Gleichgewicht ist. Würde ein Unternehmen jedoch einen Preis in Höhe von 370 oder weniger verlangen, dann könnte sich das andere Unternehmen besser stellen, wenn es einen Preis von 460 fordern würde. Bei einem Preis von 370 und einer abgesetzten Menge von 360 wäre der Gewinn der gleiche wie bei einem Preis von 460 und 180 verkauften Einheiten: 370 * 360 – 280 * 360 = 460 * 180 – 280 * 180 = 32400. Dieses Beispiel zeigt, dass wegen der Kapazitätsbeschränkungen kein Gleichgewicht existiert.83 Auf diese Tatsache hat bereits Edgeworth (1897) aufmerksam gemacht. Er ging bei seiner Überlegung von einem Prozess des gegenseitigen Unterbietens aus, der beim Monopolpreis beginnt und sich dann bis zu einem Preis fortsetzt, bei dem es für ein Unternehmen wieder profitabel wird, den hohen Preis zu setzen. Man spricht bei solchen Prozessen daher von Edgeworth-Zyklen.84 Im Zusammenhang mit der Sektoruntersuchung des Kraftstoffmarktes, die das Bundeskartellamt im Jahr 2011 durchgeführt hat und die ein zyklisches Preissetzungsverhalten der Mineralölkonzerne festgestellt hat, sind Edgeworth-Zyklen intensiv diskutiert worden.85
c) Mengenwettbewerb mit homogenen Gütern
In ähnlicher Weise wie das Bertrand-Modell kann auch die Situation des Mengenwettbewerbs bei einem homogenen Gut, d.h. das Cournot-Modell, analysiert werden. Exemplarisch wird ein Duopol betrachtet, in dem die Unternehmen mit gleichen und konstanten Grenzkosten produzieren. Hier müssen sie darüber entscheiden, welche Menge des Produktes sie jeweils herstellen und am Markt anbieten sollen. Der Preis wird sich dort so bilden, dass die insgesamt hergestellte Menge auch abgesetzt werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine größere Angebotsmenge mit einem geringeren Marktpreis verbunden ist, d.h., die Duopolisten sehen sich einer