Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen. Alexander Grieger
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Der BGH scheint also das Kräftegleichgewicht als eines von mehreren Kriterien für das Vorliegen eines Aushandelns anzuerkennen, jedoch nicht als alleiniger Maßstab für das (Nicht-)Vorliegen einer kontrollfähigen Situation. Zu vermuten ist, dass die typischerweise im Geschäftsleben auftretenden ungleichen Machtverteilungen bewusst nicht als einziger Bewertungsmaßstab herangezogen werden275. Er stellt also auf den vermeintlich leichter nach außen hin belegbaren objektiven Verhandlungsverlauf ab, als auf ein in der individuellen Situation schwer quantifizierbares Machtgefälle.
Dies wird im Rahmen dieser Arbeit zwar hiermit festgestellt, darf aber nicht als Denkbarriere die Fortentwicklung des AGB-Rechts behindern. Als Vertragsparität wird im nachfolgend dargestellten Konzept der Zustand bezeichnet, bei welchem beide Vertragspartner die gleiche Verhandlungsmacht besitzen und hiernach bei einem erzielbaren Vertragsabschluss auch haftungsrechtlich ein für beide Seiten gleichermaßen ausgewogenes Haftungsregime vereinbaren. Die Vergleichbarkeit der beteiligten Unternehmen im Hinblick auf „Größe, Kapitalkraft und Finanzausstattung“276 kann ein Indiz für eine vertragsparitätische Verhandlungssituation sein, muss aber nicht277. Ob sich die Verhandlungsmacht im Fehlen von Transaktionskosten oder dem Informationsvorsprung durch die Verwendung selbst erstellter Vertragsbedingungen letztendlich äußert, ist hierbei nicht die entscheidende Fragestellung, fließen aber mit ein. Entscheidend ist der Grund, weshalb ein Vertragspartner bereit ist, die hier angeführte Informationsasymmetrie278 oder einen Vertragsabschluss ohne rechtliche Prüfung zu dulden. Auch aus Transaktionskostensicht macht es gerade keinen Sinn, auf mehr Zeit, eine rechtliche Prüfung oder zusätzliche Informationen zu bestehen, wenn ohnehin klar ist, dass die hieraus gewonnen Erkenntnisse nicht oder nicht in einer zu den entstehenden Transaktionskosten in angemessenem Verhältnis stehenden Relation mangels ausreichender Verhandlungsmacht in einen Verhandlungserfolg einfließen können.
Die nicht ausgewogene Verhandlungsmacht mit geringer Aussicht auf Erfolg führt im Bereich der individuellen Betrachtungsperspektive also erst zur Überwälzung unangemessener Transaktionskosten auf den Verwendungsgegner.
Dem Verwendungsgegner – wie Miethaner (vgl. hierzu später) – eine Ignoranz, egal ob legitim oder nicht, zu unterstellen, geht wohl in den meisten Fällen an den faktischen Verhandlungskonstellationen vorbei und führt bei einer Übertragung auf Verbrauchergeschäfte gerade zur Absprache jeglicher Schutzrechte. Entscheidend ist also vielmehr das Machtverhältnis zwischen Verwender und Verwendungsgegner, welches Ausfluss findet im Verhandlungsverlauf und -intensität279. Das Prinzip der Schutzbedürftigkeit einer strukturell unterlegenen Partei ist der Rechtsprechung nicht neu und findet sich auch in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts280.
Ein prägnantes Beispiel aus der Praxis hierfür wäre der Abschluss eines Lizenzvertrages durch eine Firma mit der Microsoft Corporation, dem Quasi-Monopolisten für Computer-Betriebssysteme281. Microsoft kann nicht nur wegen dieser Marktstellung, sondern auch wegen enormer juristischer Kapazitäten für jede Art von Interessenten standardisierte Lizenzverträge (sog. Volumenlizenzmodelle) vorgeben282. War man nicht gerade wie die Stadt München (zumindest vorübergehend) bereit283, auf einen der wenigen alternativen Anbieter umzusteigen und die damit verbundenen zusätzlichen Transaktionskosten zu tragen (insbes. Suchkosten, Sonderaufwand durch Prüfung individuell benötigter Programmierungen um behördliche Programme auch in alternativen Betriebssystemen laufen zu lassen, Schulung und Beratung von Mitarbeitern vor Einführung) so sieht man sich mit den Microsoft Lizenzmodellen konfrontiert. Während man als Weltkonzern vielleicht noch die Möglichkeit erhält, individuelle Anpassungen verhandeln zu können, ist es für andere entweder nicht möglich oder gar nicht sinnhaft, mit Microsoft Verhandlungen diesbezüglich anzustreben. Bereits die geringe Aussicht auf Erfolg, dass sich Microsoft überhaupt auf die Anpassung seiner Standardbedingungen einlässt, wird viele Firmen abschrecken, hierfür Rechts- und Beratungskosten zu veranlassen. Dies kann jedoch nicht als Ausdruck legitimer Ignoranz gesehen werden, sondern spiegelt schlicht eine realistische Einschätzung der eigenen Verhandlungsmacht und Erfolgswahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung erwarteter Transaktionskosten wider.
Unter Beachtung der Ansicht der Kritiker der AGB-Kontrolle könnte man eine typische Verhandlungssituation auf Basis der später im Detail dargestellten Haftungskriterien für den Bereich der Folgeschäden in einem deskriptiven Modell schematisch wie folgt darstellen:
Abbildung 1: Eigenes Vertragsparitätskonzept
Unterstellt man, dass Vertragsparität eine absolut gleichwertige Verhandlungsmacht zwischen Zulieferanten und Kunden beschreibt, so wird sich in dieser Situation weder der Zulieferant noch der Kunde mit seinen Forderungen nach vertraglichen Abweichungen vom gesetzlichen Leitbild der unbeschränkten, verschuldensabhängigen Haftung nach BGB durchsetzen können (1). Die Erzielung von darüber hinaus gehenden Garantieerklärungen, welche zu einer verschuldensunabhängigen Haftung des Zulieferanten auch für Folgeschäden führen würden, wären für den Kunden genauso wenig durchsetzbar wie Haftungsbeschränkungswünsche des Zulieferanten.
Unterliegt der Zulieferant der Verhandlungsmacht des Kunden, so wird er gezwungen sein, auf Forderungen des Kunden z.B. nach der Übernahme verschuldensunabhängiger Haftung einzugehen284, welche über den gesetzlichen Regelfall hinausgehen (2).
Besitzt der Zulieferant eine höhere Verhandlungsmacht, so lassen sich nicht nur Garantieerklärungen abwehren, sondern auch die unbeschränkte Haftung mit unterschiedlichem Umfang ausschließen: Beim Vorliegen einer Individualvereinbarung ließe sich die Haftung für Folgeschäden bei einfacher Fahrlässigkeit und gar die Haftung für grobe Fahrlässigkeit vollumfänglich ausschließen (3). Hat der Zulieferant jedoch eine dermaßen starke Verhandlungsmacht, dass er seine Bedingungen einseitig setzen kann und diese somit der AGB-Kontrolle unterfallen, so kann er bei einer AGB-konformen Ausgestaltung der Klausel das Folgeschädenrisiko auf vorhersehbare (Folge-) Schäden beschränken (4), was jedoch das Haftungsrisiko nur wenig verringert. Bei nicht AGB-konformer Ausgestaltung der Haftungsklausel besteht das Risiko des Rückfalls auf die unbeschränkte Haftung im Verschuldensfall, geltend für alle Schäden (5). Die Grenze der Sittenwidrigkeit hat wie dargestellt nur eine minimale rechtliche und praktische Relevanz in Extremfällen (6) und bringt bei bereits bestehender Unwirksamkeit einer Haftungsklausel im Rahmen der AGB-Kontrolle keinen zusätzlichen Schutz.
Kritisiert wird von den Kritikern der AGB-Kontrolle v.a., dass auf branchenübliche Gepflogenheiten – wie den Ausschluss von Folgeschäden oder die Begrenzung von Schadensersatzansprüchen im Maschinenbau285 – keine Rücksicht genommen wird. Dies könnte modellhaft so berücksichtigt werden, dass – zumindest im Falle einfacher Fahrlässigkeit – der Ausschluss von Folgeschäden in AGBs als wirksam angesehen wird (7).
Abbildung 2: Eigenes Vertragsparitätskonzept unter Berücksichtigung von Branchenstandards und Kritikern der bisherigen AGB-Kontrolle
Wenn entsprechend der Forderungen einzelner Kritiker darüber hinaus alle getroffenen Vereinbarungen als Individualvereinbarungen angesehen und der AGB-Kontrolle entzogen sein sollen, so ergäbe sich wegen Wegfalls der Unterscheidung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit – bis zur wenig relevanten Grenze der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB – keine Kontrollmöglichkeit getroffener Vereinbarungen. Bis an die Grenze der Haftung für Vorsatz könnte jegliche Haftung des Zulieferanten ausgeschlossen werden (8). Das oben geschilderte Konzept (unter vereinfachter Verwendung des Beispiels Microsoft) zeigt, dass die Befürworter der AGB-Kontrolle in unveränderter Form286, welche hauptsächlich aus atomistischen