Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen. Alexander Grieger
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Rechtliche Grenzen vertraglicher Haftungsausschlüsse und -begrenzungen in B2B-Exportverträgen - Alexander Grieger страница 6
III. Vermögensschäden, insbes. Folgeschäden
Liegt hingegen ein Vermögensschaden vor, so liegt der Wert des Vermögens des Geschädigten messbar unter dem Wert, wie er ohne schadensbegründendes Ereignis liegen würde57. Voraussetzung ist also eine Messbarkeit einer Einbuße in Geld58.
Im unternehmerischen Geschäftsverkehr kommt im Bereich der Vermögensschäden den sog. „Folgeschäden“, welche auch als „mittelbare Schäden“ oder „indirekte Schäden“ bezeichnet werden, eine besondere Bedeutung zu59. Auch wenn eine justiziable Definition dieser Schadensart fehlt und selbst in umfangreichen Klauselwerken eine vertragliche Definition als kaum verwirklichbar angesehen wird60, wird dieser Begriff im Allgemeinen dazu verwendet, die Gruppe von Schäden zusammen zu fassen, welche nicht am Liefergegenstand selbst entstanden sind, wie z.B. entgangener Gewinn (§ 252 BGB), Produktions- und Nutzungsausfall61. Die Vorhersehbarkeit einer Gewinnchance spielt hierbei keine Rolle62. Nur die direkt am verletzten Rechtsgut entstandenen Schäden (auch Objektschäden63 genannt) werden hiernach als unmittelbare Schäden bezeichnet64. Da weitere Abgrenzungskriterien eher vage sind und z.B. auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts abstellen65, wird nachfolgend die am Liefergegenstand orientierte Definition beibehalten. Nur am Rande sei angemerkt, dass die vor der Schuldrechtsreform gewichtige Unterscheidung nach Mangel- und Mangelfolgeschäden mittlerweile stark an Relevanz verloren hat66.
Für die Wirtschaftspraxis ist aus Risikogesichtspunkten jedoch noch eine weitergehende Unterteilung notwendig: Und zwar in diejenigen Folgeschäden, welche ohne Weiteres versichert werden können, und solchen, für die üblicherweise kein oder nur ein stark begrenzter Versicherungsschutz möglich ist. Zu Ersterem zählen z.B. Schäden an einem Gebäude, nachdem der Liefergegenstand einen Brand verursacht hat, oder auch Schäden, welche basierend auf einer Fehlfunktion des Liefergegenstandes durch die Verletzung von Personen entstanden sind. Diese versicherbaren Folgeschäden sind in aller Regel bereits durch die üblichen Betriebshaftpflichtversicherungen gedeckt67, und werden deshalb – sofern ein Versicherungsschutz in ausreichender Höhe vorgehalten wird – vielfach als relativ unproblematisch angesehen.
Zu den üblicherweise nicht oder nur begrenzt versicherbaren Folgeschäden68 zählen hingegen die „klassischen“ Folgeschäden wie z.B. entgangener Gewinn (§ 252 BGB) und Produktionsausfall. So sah zum Beispiel die bis 2007 geltende Fassung von § 53 VVG mangels anderweitiger Versicherungsvereinbarungen einen expliziten Ausschluss der Deckung für entgangenen Gewinn vor69. Mittlerweile wird die Deckungsübernahme jedoch mittels Allgemeiner Versicherungsbedingungen (AVB) definiert, welche unterschiedlichen Inhalts sein können70. Die Allgemeinen Haftpflichtbedingungen (AHB), welche im Dezember 2016 in die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung (AVB BHV) überführt wurden, schließen in Ziffer A1-3.2 die Deckung für Nutzungsausfallschäden, Schäden infolge ausbleibenden Vertragserfolges oder nutzloser Aufwendungen explizit aus71. Auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) schließen in Ziffer 7.7/7.8 mittelbare Vermögensfolgeschäden bewusst aus72. Solche Versicherungsausschlüsse betreffen wirtschaftlich sehr sensible Risiken: Im Automobilzulieferbereich können sich zum Beispiel die aus einem Bandstillstand herrührenden Folgeschäden ohne Weiteres im sechsstelligen Bereich bewegen – und das pro Stunde73. Auf Grund kaum kalkulierbarer Risiken und demnach unwirtschaftlich hohen Versicherungsprämien schrecken Versicherungen davor zurück, einen umfassenden Schutz vor Folgeschäden anzubieten74. Es existieren zwar einzelne Modelle (wie z.B. die „Erweiterte Maschinenklausel“ oder die sehr selten anzutreffende „Nutzungsausfallversicherung“), die in Teilbereichen einen Schutz für Folgeschäden anbieten, jedoch nicht das volle Risiko innerhalb wertschöpfungsintensiven Lieferketten abdecken75. Wenn bereits Versicherungsunternehmen das Angebot einer effektiven Risikoabsicherung für Folgeschäden ablehnen, stellt sich die Frage, wieso die alleinige und unbeschränkte Tragung dieses Risikos dem einzelnen Zulieferanten zumutbar sein soll – falls vertragliche Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten ausscheiden.
Nachdem somit die nicht oder nur begrenzt versicherbaren Folgeschäden im Fokus des Risikomanagements von Unternehmen stehen dürften, beschränkt sich diese Arbeit im Folgenden darauf, diese Art der Schäden als typischen Folgeschaden zu betrachten und näher zu beleuchten.
52 PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 9; auf die Beeinträchtigung vermögenswerter oder ideeller Interessen abstellend: MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 16; ähnlich: NK-Magnus, Vor 249–255 Rn. 17. 53 PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 9; krit. STAUDINGER-249ff.-Schiemann, Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 35–42. 54 PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 10ff.; MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 24ff.; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 17ff.. 55 PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 9; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 19. 56 MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 24; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 19. 57 PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 10; MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 28. 58 MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 28; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 19. 59 Kollmann, NJOZ 2011, S. 625ff. (625); MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 99; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 21. 60 OLG Stuttgart, Urt. v. 22.04.1988 – 2 U 219/87, Ziffer 2.c; MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 102; Podehl, DB 2005, S. 2453ff. (2453/2458); in der Praxis des Industrieanlagengeschäfts wird eine exemplarische Aufzählung der gängigsten und größten nicht versicherbaren Risiken wie loss of profit, lost interest, loss of production und overheads befürwortet, vgl. OSTENDORF/KLUTH-Klaft, § 20 Rn. 223; darüber hinaus eine rechtssichere vertragliche Abgrenzung als „unmöglich“ erscheinend bezeichnend: MÜNCHNER VERTRAGSHANDBUCH Bd. 2/I-Kratzsch, S. 384 (Rn. 65). 61 Die grundsätzliche Ersatzpflicht für entgangenen Gewinn konkret für den Fall der Lieferung einer Industrieanlage mit unzureichender Erfüllung technischer Toleranzen nicht beanstandend: BGH, Urt. v. 06.04.2016 – VIII ZR 261/14; allgemein: MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 101; PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 15; Podehl, DB 2005, S. 2453ff. (2453); STAUDINGER-249ff.-Schiemann, Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 43. 62 MüKo/BGB-Oetker, § 252 Rn. 6; NK-Spallino, § 252 Rn. 3, 14. 63 NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 21. 64 MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 100; NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 21; PALANDT-Grüneberg, Vorb v § 249 Rn. 15. 65 Podehl, DB 2005, S. 2453ff. (2453); MüKo/BGB-Oetker, § 249 Rn. 102. Dies überzeugt jedoch nicht, da sich auf Grund eng verknüpfter Lieferketten und Prozessintegration (nahezu) gleichzeitig mit dem unmittelbaren Schaden auch mittelbare Schäden ergeben können (vgl. z.B. just-in-time-Fertigung, Großanlagenbau mit mehreren Komponenten, Arbeitsgemeinschaften/Konsortien). Zum gleichen Ergebnis kommend: STAUDINGER-249ff.-Schiemann, Vorbem zu §§ 249ff. Rn. 43. 66 NK-Magnus, Vor §§ 249–255 Rn. 21. Unter einem Mangelschaden versteht man die durch einen Mangel verursachten Nachteile, die trotz einer Nacherfüllung beim Geschädigten weiter bestehen (z.B. reparaturbedingter Minderwert), während ein Mangelfolgeschaden einen durch Nacherfüllung nicht beseitigbaren Schaden