Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann
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VI. BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG
Der Schritt vom obiter dictum zur ratio decidendi geschah mit Urteil vom 21.10.1982.226 In diesem Fall, der das öffentliche Eintreten eines katholischen Assistenzarztes gegen Grundsätze der katholischen Kirche zum Schwangerschaftsabbruch227 beinhaltete, ging der Kläger erfolgreich gegen seine aus diesem Grund ausgesprochene Kündigung vor. Obwohl die Beklagte als katholische Stiftung an der Kirchenautonomie teilnehme, finde in Übereinstimmung zur bisherigen Rechtsprechung das KSchG Anwendung. Die dem Arbeitnehmer auferlegten Loyalitätsobliegenheiten müssten jedoch der übertragenen Aufgabe entsprechen; daher könnten sie nur abgestuft vorliegen. Ansonsten wäre die sachliche Gebotenheit, die völliger arbeitsgerichtlicher Prüfungskompetenz unterliege, zu verneinen. Weiterhin beurteilte das BAG auch die Schwere des Verstoßes ebenfalls mit voller arbeitsgerichtlicher Prüfungskompetenz und kam letztlich zu dem Schluss, dass an der Interessenabwägung des Berufungsgerichts, das dem Kläger Recht gegeben hatte, keine Rechtsfehler erkennbar waren. Eine gegenteilige Annahme liefe auf die nicht akzeptable Schaffung absoluter Kündigungsgründe hinaus. Im Ergebnis verlangte das BAG damit gestufte Loyalitätsobliegenheiten und sprach sich eine umfassende Prüfungskompetenz zu.
In dieser Tradition folgten Urteile zum Kirchenaustritt eines Buchhälters, der nicht automatisch als Kündigungsgrund genügen sollte,228 zur ausgeübten homosexuellen Praxis eines Diplom-Psychologen,229 ein Urteil wiederum zur kirchenrechtlich unzulässigen Heirat230 und zuletzt ein weiteres Urteil zum Kirchenaustritt.231
B. Zusammenfassung
Die Rechtsprechung konnte zu diesem Zeitpunkt also als gefestigt bezeichnet werden. Das BAG beanspruchte Prüfungskompetenz in zweierlei Hinsicht: zunächst bezüglich der Frage, ob der Arbeitnehmer überhaupt gesteigerten Loyalitätsobliegenheiten unterläge; des Weiteren bezüglich der Schwere eines möglichen Verstoßes gegen dieselben.232
Auf zwei weitere Dinge sei der Vollständigkeit halber hier noch hingewiesen. Zum einen waren die damals einschlägigen Vorgaben der Kirchen bei weitem nicht so präzise wie die oben dargestellten.233 So lauteten beispielsweise die in diversen Fällen einschlägigen Vorschriften der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes („AVR“) folgendermaßen (Auszug):
§ 1 I […] Die Mitarbeiter haben den ihnen anvertrauten Dienst in Treue zu leisten. Ihr gesamtes Verhalten in und außer dem Dienst muss der Verantwortung entsprechen, die sie als Mitarbeiter im Dienste der Caritas übernommen haben. […]
§ 16 Beim Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S. des § 626 BGB kann das Dienstverhältnis von beiden Vertragsparteien ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor bei Vertrauensbrüchen oder groben Achtungsverletzungen gegenüber Angehörigen der Dienstgemeinschaft, leitenden Personen oder wesentl. Einrichtungen der kath. Kirche, bei schweren Vergehen gegen die Sittengesetze der Kirche oder die staatl. Rechtsordnung oder bei sonstigen groben Verletzungen der sich aus diesen Richtlinien ergebenen Dienstpflichten.
Die fehlende Genauigkeit dieser Vorgaben mag die staatlichen Gerichte dazu verleitet haben, ihre eigenen Wertungen an Stelle der Kirche zu setzen, anstatt bei diesen rückzufragen. Weiterhin ist den Urteilen eine dogmatische Ungenauigkeit gemein, selbst wenn sie stellenweise nicht entscheidungserheblich sein sollte. So bleibt unklar, ob das BAG entsprechende Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten als personen- oder verhaltensbedingte Kündigungsgründe einordnen wollte.234 Dies gilt auch für inhaltsgleiche oder zumindest doch vergleichbare Loyalitätsverstöße. Ein wenig mehr dogmatische Genauigkeit wäre schon deshalb wünschenswert gewesen, weil u.a. eine Kündigung auf das Nichtvorliegen einer Abmahnung gestützt wurde,235 die aber bei einer personenbedingten Kündigung gar nicht236 oder zumindest doch nur bei steuerbarem Verhalten237 in Frage kommt. In neuerer Rechtsprechung ist das BAG letztgenannter Ansicht gefolgt.238 Letztlich kann diese Frage aber hier ebenso wie die Frage nach einer möglichen Steuerbarkeit homosexueller Neigungen bzw. dem Ausleben derselben dahinstehen, da sie nur im Einzelfall relevant war. Dogmatische Genauigkeit wäre gleichwohl lobenswert gewesen.
C. Fallgruppen
Aus diesen Fällen sowie den bereits zuvor dargestellten Loyalitätsrichtlinien der Großkirchen lassen sich nun einzelne Fallgruppen ableiten. Eine Kategorisierung ist nicht nur aufgrund der verbesserten Übersichtlichkeit vonnöten; vielmehr wird beispielsweise argumentiert, dass einige Fallgruppen etwa vom neuen AGG gerade nicht umfasst sind.239 Die Differenzierung ist somit unerlässlich. Nach dem Gesagten bieten sich hier drei Fallgruppen an:240
der Verstoß gegen Sakramente, hier ist schon aufgrund der zahlenmäßigen Häufigkeit insbesondere die kirchenrechtlich unzulässige Eheschließung zu nennen (katholische Kirche),241
der Kirchenaustritt,242
der Verstoß gegen tragende Grundsätze der Kirche als Generalklausel, hierzu können insbesondere die Abtreibung243 oder auch die praktizierte Homosexualität244 gezählt werden.
Weitere mögliche Differenzierungen, etwa nach Tendenzfreundlichkeit bzw. -feindlichkeit245 oder -nähe bzw. Sendungsrelevanz des Arbeitnehmers,246 sind dagegen bestenfalls geeignet, die Schwere des Verstoßes zu bewerten, bieten aber keinen materiellen Mehrwert. Selbstverständlich ist dabei, dass die Kategorien durchaus miteinander verwoben sein können. So kann beispielsweise ein Kirchenaustritt immer auch ein öffentliches Eintreten gegen Positionen der Kirche beinhalten.
D. Kritik: Die Rechtsprechung des BAG als Angriff auf die Identität der Kirchen
Die Kritik, wie virulent sie auch gewesen sein mag, soll hier nur angedeutet werden, da als Grundlage für ihre Bewertung die Reichweite der verfassungsrechtlichen Selbstverwaltungsgarantie der Kirchen Voraussetzung ist. Gleichwohl kann auf eine Darstellung in der gebotenen Kürze nicht verzichtet werden, weil es ebendiese Kritik war, die letztlich zur Grundsatzentscheidung des BVerfG führte.247
I. Die ekklesiologische Kompetenz
Stärkster Kritikpunkt war sicherlich die Annahme der Gerichte, dass die ekklesiologische Kompetenz der Kirchen durch die staatlichen Gerichte zu kontrollieren sei.248 In der oben dargestellten Rechtsprechung gingen die Gerichte davon aus, dass die Kirchen zwar erhöhte Loyalitätserwartungen haben dürften. Diese seien jedoch – wenn auch zunächst von den Kirchen festzuschreiben – von den Fachgerichten voll überprüfbar. Ebenso sei auch von den Gerichten zu überprüfen, ob und in welchem Maße kirchliche Arbeitnehmer diesen Loyalitätsobliegenheiten