Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann

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Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention - Matthias Lodemann Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

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      § 3 DIE RECHTSPRECHUNG BIS 1985: VOM UMFASSENDEN TENDENZSCHUTZ ZU GESTUFTEN LOYALITÄTSOBLIEGENHEITEN

      Bereits mehrfach ist auf die Grundsatzentscheidung des BVerfG im 70. Band207 hingewiesen worden. Die Historie vor den Arbeitsgerichten ist jedoch eine andere. Auf eine ausführlichere Darstellung kann hier nicht verzichtet werden, da es möglich erscheint, dass der EGMR mit seiner im Zentrum dieser Arbeit stehenden Judikatur auf die in Deutschland überkommene Rechtsprechung der Arbeitsgerichte rekurrieren wollte, indem wieder eine Stufung verlangt würde.208

      A. Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte

      I. BAG AP Nr. 15 zu § 1 KSchG

      Den Startpunkt der bundesdeutschen Rechtsprechung in Sachen Kündigung durch kirchliche Arbeitgeber setzt die oft zitierte Anstreicher-Entscheidung vom 31.01.1956.209 Zu beurteilen war die Kündigung eines Handwerkers („Anstreicher“) durch ein zu einer katholischen Kirchengemeinde gehörendes Hospital. Gegen diese Kündigung wandte sich besagter Handwerker. Der Kläger hatte fünf Jahre nach der Scheidung, die durch Alleinschuld seiner Ehefrau verursacht war, sexuelle Beziehungen zu einer 18jährigen Haushaltsgehilfin aufgenommen, die daraufhin schwanger wurde. Der Kläger ehelichte sie sodann, woraufhin die Kirchengemeinde die Kündigung aussprach. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem Arbeitsgericht und LAG Erfolg; in der Revision vor dem BAG obsiegte die Kirchengemeinde. Damit der religiös-kirchliche Charakter der Anstalt gewahrt bliebe, seien strengere Anforderungen vonnöten als in einem rein wirtschaftlichen Unternehmen. Schon der außereheliche Geschlechtsverkehr könne also gegebenenfalls einen triftigen Grund i.S.d. § 1 II KSchG bilden und so die Kündigung rechtfertigen. Schwerer wiege aber noch die erneute Eheschließung, die dem katholischen Eheverständnis, das dieselbe als unauflösliches Sakrament betrachtet,210 widerspreche. Auch wenn die erneute Eheschließung zivilrechtlich erlaubt und gebilligt sei, so könne es doch nicht Aufgabe der Gerichte sein, „über die beiden gegensätzlichen Auffassungen moralisch zu urteilen und einer von ihnen den Vorzug zu geben“211, denn kirchenrechtlich bedeutet diese, dass der Gläubige sich selbst aus der aktiven katholischen Kirche ausschließe. Vielmehr sei der Kläger durch seinen katholischen Glauben und seine langjährige Betriebszugehörigkeit an die Tendenz der Anstalt gebunden. Die Kündigung war damit zur Bewahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche, die sich selbst treu bleiben müsse, gerechtfertigt. Im Ergebnis postulierte das BAG also einen – allerdings sehr weit reichenden – Tendenzschutz für kirchliche Arbeitgeber, analog zu den bekannten Tendenzbetrieben.

      II. LAG Saarbrücken NJW 1976, 645

      Dieser weit reichende Schutz wurde allerdings von den niederen Instanzen in den folgenden Jahrzehnten nicht immer aufgegriffen, im Gegenteil: Ein hervorstechendes Beispiel ist das Urteil des LAG Saarbrücken vom 29.10.1975.212 Die Leiterin eines katholischen Kindergartens hatte, wiederum entgegen den katholischen Kirchengesetzen, einen geschiedenen Mann geheiratet. Das LAG urteilte in der Berufung, dass die Kündigung rechtswidrig gewesen sei. Zwar nannte es richtigerweise die Bedeutung der Ehe in der katholischen Kirche als Sakrament. Gleichwohl bemühte das LAG in der Folge dann eigene kirchenrechtliche Mutmaßungen und untersuchte „ob die Eheschließung der Klägerin mit einem geschiedenen Partner heute noch auch aus kirchlicher Sicht eine schwere Verfehlung darstellt.“213 Mit Hinweis auf ablehnende Einzelstimmen verneinte das LAG dieses, was umso erstaunlicher erscheint, als doch eine Klärung nur „auf der Ebene der Gesamtkirche“ zu erreichen sein solle.214 Diese Frage letztlich offen lassend sah das Gericht die Kündigung sodann bereits deswegen als rechtswidrig an, weil sie dem privaten, nicht aber dem dienstlichen Bereich entsprang, was in einer Prüfung ausschließlich nach arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zur Rechtfertigung einer Kündigung genügen könne. Das LAG kam nämlich aufgrund einer eigenen Bewertung zu dem Schluss, dass der Kindergarten nicht den Anforderungen eines Tendenzschutzes genüge.215

      III. BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG

      Zwar wurde dieses Urteil im Ergebnis vom BAG korrigiert, doch schränkte auch dieses Urteil – als erstes höchstrichterliches Urteil seit 1956216 – ebenfalls die Rechtsprechung des Anstreicher-Falles ein.217 Zunächst wurde festgestellt, dass das Betreiben eines Kindergartens sehr wohl dem missionarisch-diakonischen Auftrag der Kirche zuzuordnen sei und damit eine Angelegenheit der Kirche darstelle.218 Weiterhin betonte das BAG die Geltung des staatlichen Arbeitsrechts, das durch die besonderen kirchlichen Belange beeinflusst würde, indem diese notwendig in die Interessenabwägung einflössen. Das vorgenannte Urteil des LAG konnte daher keinen Bestand haben. Das Selbstordnungsrecht der Kirchen sei nämlich zumindest bei den Arbeitnehmern, die kirchliche Aufgaben wahrnehmen und somit, wenn auch abgestuft, an der Verkündigung teilhaben, bei der Konkretisierung und Spezifizierung von Kündigungsvoraussetzungen zu berücksichtigen. Könnten die Kirchen keine Loyalitätserwartungen voraussetzen, so wären sie gezwungen, ihr Selbstverständnis preiszugeben. Außerdem differenziert das BAG erstmals zwischen übrigen Tendenzträgern und der Kirche, bei der die Loyalitätsobliegenheit aus der zur Vermeidung der Unglaubwürdigkeit der Kirche gebotenen Untrennbarkeit von Dienst und Verkündigung resultiere. Das außerdienstliche Verhalten könne somit eine Kündigung rechtfertigen. Die Formulierung der kirchlichen Erwartungen müsse dabei den Kirchen vorbehalten bleiben. Schließlich seien auch Grundrechte der Klägerin nicht verletzt. Art. 4 GG könne keine „innerkirchliche Glaubensfreiheit“ statuieren, so dass der Vorrang der kirchlichen Selbstverwaltungsgarantie folgerichtig sei. Art. 6 I GG sei ebenfalls nicht verletzt. Als weltliches Institut sei die Ehe nicht berührt, zudem stärke die kirchliche Betrachtungsweise die Ehe durch ihre Unauflöslichkeitsforderung sogar noch. Aufgrund der Schwere des Verstoßes sei die Kündigung schließlich sozial gerechtfertigt. Im Ergebnis stärkte das BAG also im Verhältnis zur Vorinstanz die Rechte der Kirchen, ihre Loyalitätserwartungen selbst festzulegen, deutete jedoch bereits an, dass dies wohl nur in gestufter Form abhängig von der Nähe des Arbeitnehmers zum Verkündigungsauftrag zu akzeptieren wäre.

      IV. BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG; BAG NJW 1980, 2211

      Bestätigt wurde dieses Urteil durch zwei weitere Urteile des BAG aus dem Jahr 1980.219 Zunächst hatte das Gericht über die ordentliche Kündigung einer katholischen Privatschule gegenüber einer Lehrerin aufgrund ihres verschwiegenen Kirchenaustritts zu entscheiden.220 Das BAG betonte nochmals die Anwendbarkeit des KSchG sowie – lediglich – die Beeinflussung der immanenten Interessenabwägung durch die kirchliche Selbstverwaltungsgarantie. Nachdem festgestellt wurde, dass die Lehrerin am Verkündigungsauftrag teilhat, würdigte das Gericht den Kirchenaustritt als hinreichend schwere Verfehlung, die die Kündigung rechtfertigte. Zum selben Ergebnis kam das BAG im Urteil selben Datums bezüglich einer Kündigung aufgrund der Eheschließung einer Arbeitnehmerin mit einem (noch) nicht laisierten Priester.221 Das BAG bestätigte also die beschriebene Rechtsprechung und betonte nochmals, dass eine Stufung notwendig sein könne.

      V. BAG AP Nr. 7 zu Art. 140 GG

      Konkretisiert wurde diese Judikatur zunächst durch das LAG Mainz222 und sodann in der Folge auch durch das BAG.223 In diesem Urteil vom 14.10.1980 hatte das BAG wiederum die Rechtmäßigkeit einer durch die Kirche ausgesprochenen Kündigung aufgrund des Eingehens einer kirchenrechtlich unzulässigen Ehe zu entscheiden. Hierzu rekurrierte das Gericht auf die bereits dargestellte Rechtsprechung, um dann in einem obiter dictum hinzuzufügen, dass derartige Loyalitätsobliegenheiten nicht automatisch jedem Arbeitsvertrag kirchlicher Arbeitnehmer innewohnen könnten.

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