Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention. Matthias Lodemann
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In der Sache führe dies letztlich zur Etablierung einer „staatlichen Kirchenhoheit“.250 Zumindest mittelbar über das Arbeitsrecht konnte der Staat den Kirchen also diktieren, was sie glauben und was sie nicht glauben durften. Schreibe man dies aber der Kirche vor, so sei dies nicht nur ein Angriff auf ihre Freiheit, sondern vielmehr sogar auch ein Angriff auf ihre Identität.251 Definiert das BAG also selbst, was Inhalt des Sendungsauftrags der Kirche sei, sowie was deren Glaubwürdigkeit beeinträchtigt, so übernimmt es damit ein ekklesiologisches Mandat.252 Diese Versuche gelten jedoch dem untauglichen Objekt: „Der Staat trennt dort, wo die kirchliche Sache Einheit erfordert.“253 Das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen könne folglich nur durch das Selbstverständnis der Kirchen rechtmäßig ausgefüllt werden. Mit anderen Worten: Die Frage, ob ein Loyalitätsverstoß vorliegt, ließe sich denklogisch nicht von der Frage nach seiner Bewertung, seiner Schwere trennen.
Die Gegenmeinung, die sich ja auch letztlich in der Rechtsprechung des BAG niedergeschlagen hatte,254 verkennt und bestreitet demgegenüber ebenfalls nicht, dass die grundlegende Kompetenz, Loyalitätsobliegenheiten festzuschreiben, den Kirchen innewohnt.255 Bestritten wird die weite Reichweite dieser Kompetenz. Obschon die religiöse Bindung „eine Bindung des ganzen Menschen“ sei und staatliche Gerichte nicht befugt sein könnten, theologische Streitfragen zu entscheiden, sei eine jede These, die auf Differenzierung bei den Adressatengruppen der Loyalitätserwartungen verzichtet, falsch; diese Notwendigkeit zur generellen Differenzierung folge daraus, dass im Einzelfall eben nicht differenziert, sondern nur nach dem Schema von entweder-oder geurteilt werden könne.256 Von den Gerichten sei also nach Einzelfallumständen zu entscheiden, entsprechende Beispiele wurden genannt.257 Dies resultiere daraus, dass dem kirchlichen Selbstverwaltungsrecht nicht automatisch der Vorrang gegenüber den Grundrechten der betroffenen Arbeitnehmer einzuräumen sei;258 vielmehr sei dies höchstens aus faktischen Erwägungen der Fall, etwa weil die Kirche durch eine Nichtkündigung in ihrer Glaubwürdigkeit betroffen wäre, während der Arbeitnehmer durch soziale Sicherungssysteme im Falle einer Kündigung abgesichert wäre.259
II. Die BAG-Rechtsprechung als Tendenzschutz in neuen Kleidern
Ein weiterer, eng verzahnter Kritikpunkt entzündete sich daran, dass trotz der ausdrücklichen Differenzierung durch das BAG260 der den Kirchen nun gewährte Schutz materiell deckungsgleich mit dem Schutz säkularer Tendenzunternehmen und -träger gestaltet wurde, denn auch hier sind die Loyalitätsobliegenheiten nur abgestuft zu befolgen.261 Dies verkenne jedoch das Anderssein des kirchlichen Dienstes, der sich, eben gerade anders als Tendenzschutz aus übrigen Grundrechtsgewährleistungen, auf sämtliche Lebensbereiche erstreckt.262 Eng verwandt zum vorgenannten Kritikpunkt bemängelt diese Ansicht also, dass die kirchliche Dienstgemeinschaft, die „Homogenität im christlichen Ethos“ nicht künstlich aufgespalten werden könne.263 Außen- und Innentätigkeit, Ordnung und Bekenntnis, Verkündigung und Unterstützung, all diese Tätigkeiten dürften nicht getrennt betrachtet werden.264
Die Gegenmeinung konterte mit einer ausdrücklichen und gewollten Gleichstellung von Kirchenautonomie und Tendenzschutz. So formulierte Ruland: „Insoweit nehmen die Kirchen gegenüber anderen Tendenzträgern jedoch keine Sonderstellung ein.“265 Beide verwirklichten grundrechtlich geschützte Freiheiten, die wiederum in Kollision auf Grundrechte ihrer Arbeitnehmer träfen.266 Beide seien also auch gleich zu behandeln.
Wie oben dargelegt wurde, ist das BAG im Ergebnis der letztgenannten Ansicht gefolgt – zwar mit vorsichtigerer Formulierung und ausdrücklicher Differenzierung zwischen Kirche und säkularen Tendenzbetrieben, aber inhaltlich dann eben doch.
207 BVerfGE 70, 138.
208 So etwa Hammer, AuR 2011, 278, 281.
209 BAGE 2, 279 = AP Nr. 15 zu § 1 KSchG = NJW 1956, 646.
210 Can. 1055 § 1 CIC sowie Can. 1055 § 2 CIC, Can. 1085 CIC.
211 BAG NJW 1956, 646, 647.
212 LAG Saarbrücken NJW 1976, 645.
213 LAG Saarbrücken NJW 1976, 645.
214 LAG Saarbrücken NJW 1976, 645, 646.
215 So fehlte es z.B. an katholischem Bibelunterricht, tägliche Gebete waren nicht üblich und in großem Umfang wurden auch Kinder anderer Konfessionen aufgenommen.
216 Als Grund für die lange Pause vermuten Geck/Schimmel, AuR 1995, 177, 179, Fn. 17 die allgemeine Arbeitsmarktlage.
217 BAG AP Nr. 2 zu Art. 140 GG = NJW 1978, 2116. Zwar lässt das Gericht ausdrücklich offen, ob am Anstreicher-Urteil festzuhalten ist, inhaltlich bewegt es sich jedoch von diesem fort.
218 Vgl. dazu auch BVerfG NJW 1978, 581.
219 BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG sowie BAG NJW 1980, 2211.
220 BAG AP Nr. 4 zu Art. 140 GG.
221 BAG NJW 1980, 2211. Zur kirchenrechtlichen Würdigung eines solchen Sachverhalts vgl. Can. 277 § 1, 599, 1073, 1087, 1378, 1329 § 2 CIC.
222 LAG Mainz NJW 1980, 2213: Die ordentliche Kündigung eines geschiedenen Arbeitnehmers, der in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, aber nicht an der kirchlichen Verkündigung teilhat, ist „offensichtlich“ rechtswidrig.
223 BAGE 34, 195 = AP Nr. 7 zu Art. 140 GG = NJW 1981, 1228.
224 Eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin wurde mangels Erfolgsaussichten nicht angenommen, BVerfG NJW 1983, 2570.
225 BAG, Urteil vom 03.11.1981, 1 AZR 38/81 (nv, juris).
226 BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG.
227 Can. 1398 CIC: „Wer eine Abtreibung vornimmt, zieht sich mit erfolgter Ausführung die Tatstrafe der Exkommunikation zu.” Vgl. auch Can. 1041 § 4 CIC.
228 BAG AP Nr. 16 zu Art. 140 GG; beachtenswert ist der Hinweis, dass der Kirchenaustritt ja schließlich nur aus „Verärgerung“ über die Kirche in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber geschehen wäre, was nicht etwa die Abwendung von katholischen Glaubenssätzen zu bedeuten habe.
229 BAG AP Nr. 15 zu Art. 140 GG; die Kündigung war aufgrund einer fehlenden Abmahnung als rechtswidrig anzusehen.
230 BAG AP Nr. 20 zu Art. 140 GG; die Kündigung hatte Bestand, da die Klägerin, eine Lehrerin, hinreichend am Sendungsauftrag teilhatte. Wiederum ist es bemerkenswert, dass das Gericht postuliert, dass die Eignungsvoraussetzungen durch das katholische Kirchenrecht in verbindlicher Weise für die staatlichen Gerichte festgelegt würden, um diese dann doch selbst zu prüfen.
231 BAG AP Nr. 21 zu Art. 140 GG.
232 Vgl. Stein, Anm. zu BAG AP Nr. 14 zu Art. 140 GG.
233 Vgl. § 2 C. IV. Inhalt der