Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren. Peter Oestmann
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Nur der Vollständigkeit halber sei ein weiteres Buch kurz erwähnt, das ein wenig aus dem Rahmen fällt. Es handelt sich um den bekannten und weit verbreiteten Katalog des Kriminalmuseums Rothenburg ob der Tauber mit dem sehr vielversprechenden Titel „Justiz in alter Zeit“. Doch geht es dort gerade nicht um eine Geschichte der Gerichtsbarkeit. Zahlreiche einzelne Beiträge stammen zwar aus der Feder von Rechtshistorikern. Der Schwerpunkt liegt aber auf der älteren Strafrechtsgeschichte mit Ausgriffen auf das frühneuzeitliche Policeyrecht. Die Zeit ab etwa 1800 fehlt vollständig. Im Vordergrund stehen die zahlreichen Abbildungen frühneuzeitlicher Gerichtsszenen, Exekutionen und Schandstrafen. Trotz des sehr günstigen Verkaufspreises wird das Werk wohl kaum als Lehrbuch genutzt.
Rechtshistorische Lehrwerke zur Prozessrechtsgeschichte, zu Gericht und Verfahren sind auch im Ausland eher rar gesät. Wichtige Überblicke stammen von Raoul C. van Caenegem zur Rolle des Richters, aber auch zum Zivil- und Strafprozess. Aus Frankreich gibt es die umfangreiche Übersicht einer Autorengruppe um Jean-Pierre Royer sowie die Bücher von Benoît Garnot und Jean-Marie Carbasse (Lit. zu 1.3.1).
1.3.2 Forschungsliteratur
Im Gegensatz zur Lehrbuchliteratur ist die Spezialforschung zu wichtigen Bereichen der Prozessrechtsgeschichte in den letzten Jahrzehnten geradezu aufgeblüht. Diese Arbeiten betreffen zumeist einzelne Aspekte und sind nur selten epochenübergreifend angelegt. Die Literaturübersichten am Ende des Buches geben darüber Auskunft. Hier [<<21] genügen wenige Schlaglichter. In den 1950er und 1960er Jahren standen Untersuchungen zur mittelalterlichen Laiengerichtsbarkeit im Vordergrund des Interesses. Begleitet durch wichtige Quelleneditionen haben Wilhelm Ebel und Adalbert Erler mit ihren Schülerkreisen den Lübecker Rat sowie den Ingelheimer Oberhof als mittelalterliche Gerichte erforscht. Sowohl die Gerichtsverfassung innerhalb einzelner Rechtskreise mit ihren Oberhofzügen als auch das jeweilige Prozessrecht sind seitdem gut bekannt. Einen sehr hilfreichen Überblick stellte 1981 Jürgen Weitzel zusammen, doch blieb die Forschung seitdem nicht stehen. Für die frühmittelalterliche Zeit legte Weitzel selbst mit einer umfassenden Arbeit zur dinggenossenschaftlichen Rechtsfindung 1985 ein monumentales Werk vor, das sowohl die Gerichtsverfassung als auch das Prozessrecht beleuchtete. Die seitdem intensiv ausgefochtenen Meinungsverschiedenheiten über das mittelalterliche Verständnis von Recht, Norm und Spielregel haben immer auch den Blick auf die Gerichte gelenkt. Daran lässt sich anknüpfen.
Zeittypisch mit der allgemeineren Verlagerung des rechtshistorischen Forschungsschwerpunkts vom Mittelalter in die Neuzeit nahmen seit den 1960er und vor allem 1970er Jahren die Arbeiten zur frühneuzeitlichen Gerichtsbarkeit sprunghaft zu. Hier waren es vor allem die obersten Gerichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, denen sich viele Rechtshistoriker widmeten. Begleitet von einer umfassenden Erschließung des riesigen Aktenbestandes entstanden zunächst zahlreiche Untersuchungen zum Reichskammergericht. Zeitverzögert schloss sich die noch lange nicht abgeschlossene Inventarisierung der Reichshofratsakten an, die ihrerseits die Reichshofratsforschung bis heute beflügelt. Die einst als Schwäche verpönte Urteilsarmut der beiden Reichsgerichte und die bekannten Schwierigkeiten, Entscheidungen durchzusetzen, haben hier zu neuen Sichtweisen geführt. Möglicherweise ging es den Parteien gar nicht immer darum, ein Urteil zu erlangen. Vielleicht bot die gerichtsförmliche Austragung von Konflikten nur die Möglichkeit, sich leichter friedlich zu einigen. Jedenfalls verlangen solche Ansätze danach, auch in einer Geschichte der Gerichtsbarkeit die außergerichtliche Beilegung von Rechtsstreitigkeiten immer mit im Blick zu behalten. Seit etwa 2010 sind die Untersuchungen zur außer-, vor- oder nebengerichtlichen Streitbeilegung nahezu explosionsartig angestiegen. Beeinflusst von der heutigen Überlagerung der staatlichen Justiz durch Schiedsverfahren, Mediation, Vergleichsschlüsse und andere Formen alternativer Konfliktregulierung haben viele Historiker und Rechtshistoriker hier ein weites Forschungsfeld gefunden. Doch bleibt es daneben weiterhin zulässig und auch notwendig, die spezifisch gerichtliche Form der Entscheidungsfindung gesondert in den Blick zu nehmen. Ausgehend von den obersten Reichsgerichten ist es nur ein kurzer Schritt, auch territoriale Obergerichte näher zu beleuchten. Hier bleibt noch viel zu tun, aber vor allem mit dem [<<22] schwedisch-deutschen Wismarer Tribunal ist inzwischen ein Anfang gemacht. Seine Akten aus der Mitte des 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein werden erschlossen, die Arbeit des Gerichts nach und nach untersucht. Arbeitskreise auf europäischer und internationaler Ebene bemühen sich darum, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der höchsten Gerichte verschiedener Staaten und Territorien herauszuarbeiten und auf diese Weise eine Typologie der vormodernen Justiz zu entwickeln.
Stehen bei solchen Unternehmungen die Gerichtsverfassung und die Ziviljustiz stark im Mittelpunkt, so ist der vormoderne Strafprozess seit etwa 1990 nicht nur von Rechtshistorikern, sondern aus sozial- und kulturgeschichtlicher Perspektive auch von den Vertretern der historischen Kriminalitätsforschung beleuchtet worden. Hier ging es vornehmlich um die Rechtspraxis, wenn auch das Interesse für das zeitgenössische Recht unterschiedlich stark ausgeprägt war. Die wichtigsten rechtshistorischen Erkenntnisse zum frühneuzeitlichen Strafprozess bis hin zu den Reformen in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat Alexander Ignor zusammengestellt.
Die kirchliche Rechtsgeschichte kann für die Gerichtsverfassung und das Prozessrecht herausragende Bedeutung beanspruchen. Deswegen ist es besonders erfreulich, wenn mit den quellengesättigten Untersuchungen von Wiesław Litewski und Knut Wolfgang Nörr zwei handbuchartige Zugriffe zum gelehrten mittelalterlichen Prozessrecht vorliegen, an die sich das Lehrbuch anlehnen kann. Zur frühen Neuzeit hin fehlt es an vergleichbaren Zusammenfassungen. Doch sind die Rota Romana und auch einige Archidiakonal- und Offizialatsgerichte im deutschen Raum gut erforscht. Hinzu treten umfassende Quellenerschließungen und Studien zur Tätigkeit der päpstlichen Nuntiatur in Deutschland und damit auch zur Arbeit der Nuntiaturgerichtsbarkeit.
Beim Blick in die neuere Zeit fallen zunächst Arbeiten zum Reichsgericht und zur nationalsozialistischen Justiz ins Auge. Neben vielen anderen hat sich hier Werner Schubert durch zahlreiche Quelleneditionen und Studien Verdienste erworben. Erstaunlicherweise kommt in der Forschungsliteratur die Mitte des 19. Jahrhunderts etwas zu kurz. Dagegen ist die Zeit zwischen dem Ende des Alten Reiches und der Gerichtseinheit von 1877/79 in der Privatrechts- und Wissenschaftsgeschichte gut untersucht. Über die großen Rechtsdenker und ihre Lehren gibt es tiefgehende Untersuchungen. Zu den territorialen Gerichten und ihren Prozessen sucht man vergleichbare Studien aber weitgehend vergeblich. Ein Arbeitskreis zur Justizgeschichte widmet sich gezielt dem 19. Jahrhundert, besonders im deutsch-spanischen Vergleich. Doch bleibt hier noch viel zu tun.
Für die Zeitgeschichte nach 1945 ist das Eis ebenfalls brüchig. Zwar liegen zum Bundesgerichtshof und zum Bundesverfassungsgericht mehrere Arbeiten vor, wenn auch oft aus Jubiläumsanlässen verfasst. Dasselbe gilt für zahlreiche Oberlandesgerichte. [<<23] Rechtshistorische Studien zur Veränderung des Prozessrechts und der Gerichtspraxis sind aber für die Bundesrepublik nur spärlich vorhanden. Für die Geschichte der Prozessmaximen hat Jürgen Damrau bereits 1975 eine wichtige Einzeluntersuchung vorgelegt. Und für den Bereich der Deutschen Demokratischen Republik steuerte Inga Markovits eine feinmaschige Quellenstudie zur alltäglichen Gerichtspraxis in Wismar bei. In den Einzelheiten zuverlässig, aber zugleich verschleiert und als Sachbuch bemäntelt, eröffnen sich hier zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten.
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