Neue Theorien des Rechts. Группа авторов

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in der theoretischen Philosophie wie Anfang der siebziger Jahre ›A Theory of Justice‹ in der praktischen«[377].

      I. Die Kompetenz zur Inferenz

      BrandomBrandom, Robert fragt, was uns als Menschen eigentümlich ist und geht dabei in pragmatischer Manier davon aus, dass es dabei um Kompetenzen handelt, die unserem praktischen Handeln implizit sind. Was zeichnet unser Handeln als Menschen aus[378]? Als Antwort könnte man vorbringen, dass wir ganz zentral als »geistige Wesen« dazu fähig sind, unsere Umwelt zu klassifizieren. Doch, so wird schnell klar, verfügen selbst Gegenstände über diese Fähigkeit zur Klassifikation: etwa Eisen, das bei Feuchtigkeit rostet oder ein Thermometer, das eine Temperatur anzeigt. Auch die Fähigkeit, verbal zu klassifizieren, kommt uns nicht exklusiv zu: man kann sich einen Papagei vorstellen, der dazu abgerichtet ist, jedes Mal »rot« zu rufen, wenn er einen roten Gegenstand wahrnimmt.

      Was uns hingegen wirklich auszeichnet ist BrandomBrandom, Robert zufolge die Fähigkeit zu begrifflicher Klassifikation, das heißt die Kompetenz, Verhaltensakte sinnvoll in ein Netz von anderen Verhaltensakten einordnen zu können. Dies ist eng mit der Vorstellung vom Verstehen verwandt. Denn wir verstehen einen Begriff oder Satz, wenn wir wissen, welche Rolle er im Geflecht weiterer Begriffe/Sätze einnimmt, welche Konsequenzen also aus ihm für weitere Begriffe/Sätze folgen. Die Bedeutung eines Begriffs oder Satzes ergibt sich also aus seiner Rolle, die er in |96|einer Kette von Schlussfolgerungen einnimmt. BrandomBrandom, Robert spricht daher von einer schlussfolgerungsbezogenen Theorie der Bedeutung, von inferentieller Semantik[379].

      II. Die Rückführung von Semantik auf Praxis

      Die inferentielle Semantik als formales Gerüst fußt, so BrandomBrandom, Robert, auf praktischer Betätigung, an der wir alle teilnehmen, nämlich der sozialen Praxis, die im Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen besteht. Der grundlegende Zug dieses Spiels liegt darin, etwas zu behaupten – es ist nämlich prinzipiell möglich, jeden Verhaltensakt als Behauptung zu rekonstruieren. Und durch das Aufstellen einer Behauptung legt sich die Sprecherin auf das Behauptete fest und berechtigt zugleich die Hörenden dazu, sie auf diese Behauptung festzulegen. Die Behauptung entfaltet somit zwei Wirkungen, sie generiert nämlich Autorisierung und Verantwortung[380]. Sie autorisiert, indem sie über die Angemessenheit bestimmter weiterer Behauptungen bestimmt. BrandomBrandom, Robert bezeichnet dies als inferentielle Rolle einer Behauptung, wobei er verschiedene Ausprägungen dieser Rolle nennt: Unterscheiden lassen sich Behauptungen, die auf weitere Behauptungen festlegen, Behauptungen, die zu weiteren Behauptungen berechtigen und Behauptungen, die bestimmte weitere Behauptungen ausschließen. Ein klassischer Anwendungsfall für die erste, festlegende Wirkung ist die Deduktion: wer sich auf s festlegt, ist, wenn aus s logisch t folgt, auch auf t festgelegt.

      Neben dieser autorisierenden, vorwärts gerichteten Folge, führt eine Behauptung rückwärts gerichtet zugleich zu Verantwortung, und zwar zur Verantwortung gegebenenfalls nachzuweisen, dass man dazu berechtigt ist, die fragliche Behauptung aufzustellen[381]. Der Nachweis der Berechtigung lässt sich wiederum auf verschiedenen Arten erbringen: durch die Berufung auf die Autorität anderer, durch die Berufung auf eine (nicht weiter inferentiell-ableitbare) eigene Wahrnehmung[382] oder aber durch das Anführen weiterer – insofern berechtigender – Behauptungen.

      Man mag nun argwöhnen, dass diese inferentielle Struktur offensichtlich in einen infiniten Regress mündet, sich also immer weiter begründende Behauptungen fordern ließen. BrandomBrandom, Robert reagiert hier – im Sinne des antiskeptischen |97|Arguments – mit einem Vorschuss- und Anfechtungskonzept[383] der Berechtigung: Grundsätzlich ist, sofern keine substantiierten Zweifel bestehen, von der Berechtigung auszugehen; und es kann zudem der Fall sein, dass eine Behauptung gar nicht weiter begründungsbedürftig ist – wann diese hinreichende Begründungstiefe erreicht ist, soll von den praktischen Einstellungen der Akteure abhängen.

      Damit sind wir beim pragmatischen Kern von BrandomBrandom, Roberts Vorstellung, nämlich der Vermittlung und dem Zusammenspiel der praktischen Einststellungen der Praxisteilnehmer: »Kompetente sprachliche Akteure bleiben ihren eigenen Festlegungen und Berechtigungen und denen der anderen auf den Fersen«[384]. Diese auf David Lewis’ Assoziation des Sprachspiels mit dem Baseballspiels[385] zurückgehende Praxis des wechselseitig beurteilenden Handelns bezeichnet BrandomBrandom, Robert als Praxis des deontischen Kontoführensdeontische Kontoführung: die Akteure führen Buch über ihre eigenen Festlegungen und Berechtigungen und diejenigen der anderen. Eine Behauptung hat dabei nicht nur die oben beschriebenen autorisierenden und verpflichtenden Konsequenzen für das Konto des Sprechers, sondern führt auch zu entsprechenden Zuschreibungen in den Konten der Zuweisenden. Behandeln die Hörer eine Behauptung als zutreffend, so können sie noch dazu diese Behauptung »erben«[386], sind also nun selbst auf die Aussage festgelegt und unterliegen denselben Autorisierungs- und Verantwortungsfolgen.

      Entscheidend dabei ist, dass die Akteure diese Zuschreibungen nicht nur gemäß vorgefundener Inferenzbeziehungen vornehmen, also das Verhalten vor dem Hintergrund existierender Normen bewerten, sondern durch ihre praktischen Einstellungen die Inferenzbeziehungen selbst als zutreffende oder unzutreffende behandeln. Akzeptieren sie nämlich eine vorgebrachte Rechtfertigung für eine Behauptung, so schreiben sie nicht nur dem Sprecher diese Behauptung als berechtigte zu, sondern billigen damit implizit die angewendete Inferenzbeziehung. Durch diesen das Geflecht der Behauptungen ordnenden Prozess übertragen sie bestimmten Begriffen/Sätzen Bedeutungsgehalt[387].

      Für die Rechtstheorie lässt sich BrandomBrandom, Roberts Ansatz fruchtbar machen, indem man das Modell der deontischen Kontoführungdeontische Kontoführung mit der Vorstellung vom Recht als einer sich selbst produzierenden Praxis in Verbindung bringt (i). Daneben eröffnen sich, begreift man die deontischedeontische Kontoführung Kontoführung als Analyse unserer Lebensform, attraktive Assoziationen zu Leistung und Grenzen des Rechts sowie zum Ursprung von Normativität (ii).

      |98|III. Der Praxischarakter des Rechts

      Forciert man das pragmatistisch-produktive Moment der Konzeption (i)[388], so tritt die aktive Rolle der Akteure bei der Entstehung von Recht zu Tage: es sind die Akteure, die durch wechselseitige Bewertungen die Normen der Gemeinschaft schöpfen. BrandomBrandom, Roberts Idee der Praxisvorgängigkeit wirkt sich insbesondere auf die Rechtsanwendung aus: die Aussage einer Norm lässt sich – gegenläufig zur Neigung der Juristen – nicht als ein vorpraktischer Maßstab fixieren, die Annäherung an eine Norm liegt vielmehr in der von den Akteuren wechselseitig unterstellten »perspektivische[n] Form«[389]. Insofern vermag auch nicht ein Versuch des Auffindens, sondern nur der praktische Streit diejenige Kluft zu überbrücken, die zwischen der Existenz der Norm und ihrem Inhalt klafft. Dadurch bringt BrandomsBrandom, Robert Modell der deontischen Kontoführungdeontische Kontoführung nach Ralph Christensen und Michael Sokolowski die »Grundparadoxie« der Rechtstheorie zum Vorschein, indem es die Frage aufwirft, wie es möglich ist, dass wir an Normen gebunden sind, die wir im selben Akt erst instituieren. Das ParadoxParadoxie lasse sich auflösen, indem man den Praxischarakter des Rechts herausstellt, also Rechtsfindung als einen Vorgang der Suche nach der Lesart mit den besten Argumenten[390]Auslegung begreift, wobei die Maßstäbe der Suche aus einer »fortlaufende[n] Präzisierung der Selbstbeschreibung der Praxis« herrühren[391].

      Besonders virulent wird diese Spannung zwischen Gebundenheit und gleichzeitiger Schöpfungskompetenz in der Tätigkeit des Rechtsprechens. Die Richterin begibt sich mit den bisher entschiedenen Fällen in eine »normative Unterhandlung«[392]. Sieht man sie ausschließlich verantwortlich gegenüber der entstandenen Tradition, die durch faktische Anwendung den Gehalt der anzuwendenden Begriffe konstituiert hat[393], so scheint die Entscheidungsgewalt – aufgrund der |99|Vielstimmigkeit der Tradition – wesentlich bei der gegenwärtig Richtenden zu liegen. Doch verkürzt diese Sicht: Denn berücksichtigt man den Fortgang,

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