Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften. Ulrich Wackerbarth
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Fall 1:
A (50 %), B und C (je 25 %) sind Gesellschafter der X-GmbH. A ist zum alleinigen Geschäftsführer bestellt worden, dafür erhält er ein jährliches Gehalt von 100.000 €. Wegen außerordentlicher Leistungen des A erwirtschaftet die X-GmbH im Jahr 2010 einen um 100 % höheren Gewinn als in den Vorjahren (300.000 € statt 150.000 €). Daraufhin vereinbart A mit seinem Freund F, dass dieser der GmbH, vertreten durch A, einen neuen Dienstwagen (Marktpreis 20.000 €) für 30.000 € verkauft und dem A persönlich 10.000 € in bar aushändigt. Als B und C von dem Geschäft erfahren sind sie empört. Sie verlangen von A Zahlung von 10.000 € an die Gesellschaft. A macht geltend, seine Anstrengungen im Jahr 2010 rechtfertigten durchaus einen Sonderbonus in dieser Höhe für ihn. Er dürfe das Geld daher behalten. Stimmt das? Rn. 27
Literatur:
Röhricht, Von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung, ZGR 1999, 445 ff.
Teil 1 Einleitung › § 1 Unternehmens- und Gesellschaftsrecht im System des Rechts › I. Unternehmen und Macht
a) Die Vielzahl von Gesetzen und anderen Regeln
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Im Kapitalgesellschaftsrecht geht es in erster Linie um den Gewinn aus der gemeinsamen Verfolgung eines unternehmerischen Zwecks. Zwar können auch Kapitalgesellschaften zu beliebigen Zwecken gegründet werden, doch steht in der Praxis das Betreiben eines Unternehmens im Vordergrund. Dieses Lehrbuch beschränkt sich entsprechend dem Sinn der Schwerpunkte-Reihe auf unternehmenstragende Gesellschaften.
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Wer sich dazu entschließt, allein oder mit anderen ein Unternehmen zu betreiben, muss sich von Anfang an darüber im Klaren sein, dass das Rechtssystem ihm sein Vorhaben nicht allzu einfach machen wird: Der Staat will seinen Anteil, wenn das Unternehmen gut läuft (Steuerrecht), die Geschäftspartner, Arbeitnehmer und die Öffentlichkeit wollen geschützt werden (Gläubigerschutz) und zwar vor allem dann, wenn der oder die Unternehmer nicht persönlich für den Erfolg des Unternehmens haften wollen (Haftungsbeschränkung). Der Staat schreibt zusätzlich vor, dass der Unternehmer all seine Geschäfte aufschreibt und ihre wirtschaftlichen Folgen bewertet (Rechnungslegungspflicht, Bilanzrecht). Ferner genießt eine besondere Gläubigergruppe, nämlich die der Arbeitnehmer, einen noch darüber hinausgehenden Schutz über das Arbeitsrecht. Bei der unternehmerischen Tätigkeit, vor allem beim Abschluss von Rechtsgeschäften sind die allgemeinen zivilrechtlichen Regeln des BGB und die Spezialregeln für Kaufleute im HGB einzuhalten. Darüber hinaus wollen Konkurrenten vor unlauterem Wettbewerb geschützt werden (UWG), die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs selbst wird durch das Kartellrecht geschützt (GWB) usw. usf. Es besteht in Deutschland wahrlich kein Mangel an Gesetzen und rechtsfortbildendem und lückenschließendem Richterrecht, was die Regulierung unternehmerischer Tätigkeit angeht.
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Das Problem dabei ist, dass einzelne Entscheidungen und Handlungen des Unternehmers Rechtsfragen in unterschiedlichen Gebieten aufwerfen und die verschiedenen Rechtsgebiete untereinander nicht selten schlecht abgestimmt sind.
Beispiel:
Wer einen Alleinvertriebsvertrag mit einem Zulieferer abschließt, unterliegt sowohl den zivilrechtlichen Regeln über den Vertragsschluss, muss gleichzeitig überlegen, ob der Vertrag nicht gegen das Kartellrecht verstößt, und die aus dem Vertrag resultierenden Folgen müssen ordentlich bilanziert werden.
Auch wenn sich der Unternehmer Geld aus dem Unternehmensvermögen herausnimmt und anschließend das Unternehmen seine Schulden nicht mehr bezahlen kann, fragen die Gläubiger nach ihrem Schutz. Dieser Schutz findet sich – leider – auf unterschiedlichen, nicht ausreichend miteinander verzahnten Rechtsgebieten. Einmal sind die Gläubiger durch das Bilanzrecht und kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungspflichten, d. h. durch Information geschützt. Wenn der Unternehmer die beschriebene Entnahme veröffentlichen musste und dies auch getan hat, so kann das Recht möglicherweise den Gläubigern sagen: Ihr hättet ja mit dem Unternehmer keine Geschäfte machen müssen, weil ihr sehen konntet, dass er seinen Verpflichtungen nicht würde nachkommen können (das wäre Gläubigerschutz über Information).
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Weiter kann das Gesetz aber auch anordnen, dass der Unternehmer das Geld, das er kurz vor der Insolvenz beiseite geschafft hat, wieder zurückgeben muss (das ist die sog. paulianische Anfechtung im Insolvenzrecht, davon wird noch die Rede sein). Kapitalgesellschaftsrechtlich hat der Gesetzgeber noch darüber hinaus einen Rückerstattungsanspruch (Recht der Kapitalerhaltung) vorgesehen, wenn durch die Geldentnahme das Unternehmen zwar noch nicht insolvent war, aber bereits weniger Vermögen hatte als vom Unternehmer versprochen (sog. Unterbilanz, auch davon wird noch näher gehandelt). Das Recht der Kapitalerhaltung ist im Kapitalgesellschaftsrecht, d. h. im AktG und im GmbHG geregelt.
Und um festzustellen, wie denn die vermögensrechtliche Lage des Unternehmens im fraglichen Zeitpunkt der Entnahme war, braucht man wieder die Vermögensaufstellung, d. h. die Bilanz, also das Bilanzrecht. Wie man sieht, sind aus Sicht der Kapitalgesellschaft ganz unterschiedliche Gesetze und sogar Rechtsgebiete „zuständig“ für die Problemlösung. Angesichts dieser „Vielfachzuständigkeiten“ fehlt es den Unternehmern wie den Juristen häufig vor allem am Überblick. Diesen will das vorliegende Werk erleichtern.
b) Warum so kompliziert?
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Gesellschaftsrecht ist im Ausgangspunkt nicht schwierig. Seine oberste Regel, zugleich genereller Leitsatz, steht in § 705 BGB. Die Gesellschafter verpflichten sich dazu, den gemeinsamen Zweck zu verfolgen und dazu ihre Beiträge zu erbringen. Betreiben die Gesellschafter ein Unternehmen, besteht der gemeinsame Zweck in aller Regel in der Gewinnerzielung. Im Kapitalgesellschaftsrecht kommt zur Verpflichtung aller auf den Zweck der Gewinnerzielung die Haftungsbeschränkung hinzu und die Möglichkeit ihres Missbrauchs. Die Beiträge werden nicht nur im Interesse der anderen Gesellschafter, sondern auch und vor allem im Interesse der Gläubiger erbracht. Aus den beiden Grundpflichten folgen letztlich auch die Details. Im Grundsatz aber geht es eigentlich nur darum, die Gesellschafter an ihre Zusagen (Zweckverfolgung, Beiträge) zu erinnern.
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Es liegt in der menschlichen Natur, dass zumindest einige ihren Verpflichtungen nicht nachkommen wollen. Dann versucht das Recht, sie zu zwingen. Das wissen die Verpflichteten. Sie stellen sich darauf ein. Kautelarjuristen helfen ihnen dabei. Die Einhaltung der Regeln wird nicht offen verweigert. Vielmehr versuchen die Verpflichteten, durch geschickte Vertragsgestaltung an ihnen vorbeizukommen. Wenn die Rechtsprechung einen solchen Versuch erkennt, sinnt sie – oft erfolgreich – auf Gegenmittel. Die einfachen Grundregeln des Gesellschaftsrechts werden detaillierter. Zu den Formulierungen des Gesetzgebers kommen neue hinzu, alles wird komplizierter.
In diesem „Spiel“ oder auch „Wettrüsten“ nimmt die Rechtsprechung eine besonders bedeutende Rolle