Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften. Ulrich Wackerbarth
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c) Komplexität schafft Machtspielräume
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Der seinerzeitige Vorsitzende des für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Senats des Bundesgerichtshofs, Volker Röhricht, hat das Hauptproblem des heutigen Gesellschaftsrechts festgehalten.[1] Es sei zu kompliziert und müsse einfacher werden. Und damit meinte er nicht nur die oben beschriebene Tatsache, dass unterschiedliche Rechtsgebiete auf ein- und denselben Sachverhalt einwirken, sondern allein die Regeln des Gesellschaftsrechts selbst, die nicht nur im AktG und GmbHG stehen (sog. „black letter law“), sondern durch Richterrecht fortgebildet und durch tausende Details selbst unübersichtlich geworden sind.
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Durch komplexe, detaillierte Regeln entsteht – angesichts der unüberschaubaren Vielfalt des Lebens – neben den von den Regeln erfassten Sachverhalten fast automatisch eine noch größere Vielzahl von Lebenssachverhalten, die von den detaillierten Regeln gerade nicht unmittelbar erfasst werden. Gerade im Gesellschaftsrecht ist das aber besonders gefährlich: Denn die Lebenssachverhalte, die von einer Regelung nicht erfasst sind, lassen den handelnden Personen dann automatisch Freiräume. Die Behandlung derartiger Lebenssachverhalte außerhalb des Tatbestands einer Norm ist dann ja ungeklärt. Zwar besteht u.U. die Möglichkeit, die jeweilige Regel analog anzuwenden, aber ob das tatsächlich geschieht, ist jedenfalls bis zu einer Richterentscheidung unsicher.
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Hinter ungeklärten Rechtsfragen verbirgt sich im Gesellschaftsrecht meist seine schon aktuelle Ausfüllung durch bloße Macht. Geklärte Rechtsfragen kann man auch als Machteinschränkung begreifen, so dass Recht und Macht ein Gegensatzpaar bilden.
Beispiel:
Vorstands-Doppelmandate im Konzern (siehe Rn. 125). Nach Hüffer/Koch[2] sind diese rechtlich zulässig, aber „nicht problemfrei“. Sie sind aber weder im dogmatischen Ansatz noch im Ergebnis bewältigt. § 88 Abs. 1 S. 2 AktG schreibt vor, dass ohne Einwilligung des Aufsichtsrates ein Mitglied des Vorstand nicht zugleich Mitglied des Vorstands einer anderen Gesellschaft sein darf. Man stelle sich folgende Situation vor. Eine AG (X-AG) hat 60 % der Anteile an einer anderen (Tochter-)T-AG: Der Vorstand der X-AG bestellt den Aufsichtsrat der T-AG, dieser bestellt den Vorstand der T-AG. Kann als Vorstand der Tochter ein Mitglied des Vorstands der X-AG bestellt werden? Der Aufsichtsrat der Mutter sagt „Ja, das würde der Mutter nur nützen.“ Der Aufsichtsrat der Tochter sagt ebenfalls „Ja“, denn sonst droht ihm der Vorstand der Mutter mit seiner Abberufung. Also scheint die Doppelmitgliedschaft rechtlich möglich.
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Dahinter steht eine zunächst nicht offensichtliche Problematik. Unterstellt, der Doppel-Vorstand erfährt von einem guten Geschäft für die Tochter, das aber auch ein gutes Geschäft für die Mutter wäre. Er kann dieses Geschäft nun für die Mutter abschließen (dann erhält sie 100 % des Gewinns aus diesem Geschäft) oder für die Tochter (dann erhält sie nur 60 % des Gewinns). Was wird er wohl tatsächlich tun?
Wenn also gesagt wird, die Rechtsfrage der „Doppelmandate im Konzern“ sei „nicht problemfrei“, dann hat sich möglicherweise ein bestimmtes Interesse (nämlich das der Muttergesellschaft) bereits tatsächlich durchgesetzt. Das Geschäft wird im Beispiel tatsächlich mit der Mutter zustande kommen, auch wenn es der Vorstand nach den konkreten Umständen eher für die Tochter hätte abschließen müssen (vgl. zur sog. Geschäftschancenlehre Rn. 72 ff.). Hätte er letzteres getan, hätte auch die 40 %ige Minderheit in der Tochter von diesem Geschäft profitiert. Stattdessen geht sie leer aus.
d) Ebenso das juristische Spezialistentum
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Die Vielzahl von Gesetzen führt auch dazu, dass sich zu jedem Rechtsgebiet Spezialisten herausbilden, Menschen also, die Experten nur für ihren eigenen Rechtsbereich sind und oft über den Tellerrand nicht hinausblicken. Jeder hält sich selbst für den wichtigsten Experten und sein Spezial-Rechtsgebiet für das allein selig machende.
Es gibt also Bilanzrechtler, Insolvenzrechtler, Gesellschaftsrechtler, nicht zu vergessen die Kapitalmarktrechtler: keiner weiß noch genau, was der jeweils andere tut. Insbesondere die Bilanzrechtler haben den Zweck des Bilanzrechts für sich umdefiniert, so dass es seine Hilfsfunktion für den Gläubigerschutz im Gesellschaftsrecht nicht mehr erfüllen kann.
Beispiel:
Wenn eine neu entwickelte Horizontalbohrmaschine aus Sicht des Kaufmanns bilanziert wird, liegt ihr Wert, da die Maschine für das Unternehmen wichtig ist, vielleicht bei 100.000 €. Wenn sie dagegen aus Sicht der Gläubiger bewertet wird, hat sie, da sie auf dem Gütermarkt nicht veräußerbar ist, vielleicht allenfalls Schrottwert.
In wessen Interesse muss der Kaufmann nun aufschreiben, welchen Wert die Maschine hat? Im Gläubigerinteresse, damit nicht Vermögen beiseite geschafft werden kann? Das könnte man vielleicht annehmen – die Realität sieht anders aus (vgl. unten Rn. 243 ff.).
2. Die Rolle der Wissenschaft
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Wissenschaftler und Studierende mit begrenztem Aufnahmevermögen dürfen an der unüberschaubaren Vielzahl von Details und an den Spezialisten nicht verzweifeln. Zwar können diese sich die anfallende Arbeit teilen, der Studierende und der Wissenschaftler sind dagegen fast immer allein und auf sich gestellt. Ein Vorteil der Wissenschaft aber ist es, sich nicht fortlaufend mit alltäglichen, intensive Detailarbeit erfordernden Problemen beschäftigen zu müssen, sondern den Blick auf dahinter liegende Strukturfragen, d. h. auf sich wiederholende Abläufe und Prinzipien richten zu können und eine gewisse Übersicht über die Zusammenhänge erreichen zu können. Diese Übersicht befähigt dann auch später zur Analyse von Detailfragen, während sich die arbeitsteiligen Organisationen in solchen Detailfragen durchaus verlieren können.
3. Schlussfolgerungen
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Wegen der eben genannten Tatsachen richtet dieses Werk den Blick nur auf ausgewählte Detailfragen. Denn dieses Buch ist nicht als Kommentar zum Kapitalgesellschaftsrecht gedacht, sondern will ein Verständnis für die Probleme vermitteln. Daher wird der Schwerpunkt auf die Funktion des Kapitalgesellschaftsrechts in seiner Einbindung in andere Rechtsgebiete gelegt. Es wird namentlich versucht darzustellen, wie unternehmerische Macht im deutschen Recht ausbalanciert wird oder werden kann. Im Vordergrund stehen deshalb die tatsächlichen und wirtschaftlichen Folgen einzelner rechtlicher Institutionen des Kapitalgesellschaftsrechts. Das Weglassen vieler Details heißt allerdings nicht, dass die Themen rein abstrakt behandelt werden. Eine Vorstellung der rechtlichen und ökonomischen Probleme des Kapitalgesellschaftsrechts kann man sich im Gegenteil nur dann bilden, wenn man die handelnden Akteure und den konkreten Sachverhalt „vor dem