Ius Publicum Europaeum. Martin Loughlin
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Nach Kriegsende wurde es durch das Beamtenstatut (statut général des fonctionnaires) ersetzt, das Teil des Gesetzes vom 19. Oktober 1946 und weitgehend das Werk des damaligen Ministers für den öffentlichen Dienst (ministre de la Fonction publique), des Kommunistenführers Maurice Thorez, war. Dieses Statut erkannte den Bediensteten des Staates das Recht zu, Gewerkschaften zu gründen, die sich sogar an der Personalverwaltung, der Organisation und den Arbeitsabläufen der Verwaltung beteiligen sollten. Das Statut traf jedoch keine Aussage in Bezug auf das Streikrecht, obgleich die Präambel der Verfassung von 1946 als Grundsatz formuliert hatte, dass dieses „im Rahmen der Gesetze, die es reglementieren“, ausgeübt werde. Es scheint, als ob Thorez davon ausgegangen ist, dass dieses Recht aus dem gewerkschaftlichen Recht folgt. Der Conseil d’État sah sich deshalb zu der Äußerung veranlasst: Während der Zeit des Wartens auf die Gesetze, welche die Ausübung des Streikrechts regeln, kann die Regierung, die für das „gute Funktionieren der services publics verantwortlich ist“, selbst die Grenzen dieser Ausübung festlegen (Dehaene-Urteil vom 7. Juli 1950).[62] Diese Entscheidung, deren Reichweite auf das Personal der kommunalen Gebietskörperschaften und der services publics industriels et commerciaux erstreckt wurde, bildete die Grundlage einer sehr nuancierten Rechtsprechung.[63]
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Das Inkrafttreten der Verfassung der Fünften Republik von 1958 führte dazu, dass durch Verordnung vom 4. Februar 1959 ein neues Statut für den öffentlichen Dienst des Staates erlassen wurde. Der Wahl Mitterrands zum Präsidenten der Republik im Jahre 1981 folgte die Ausarbeitung eines vorteilhafteren und komplexeren Generalstatuts, verabschiedet mit Gesetz vom 13. Juli 1983 (loi portant droits et obligations des fonctionnaires). Die nachfolgenden Gesetze formulierten die Rechte und Pflichten sämtlicher Beamten und bauten die Regeln aus, die zunächst für die Bediensteten des Staates und der kommunalen Gebietskörperschaften, deren Bedeutung und Anzahl seit 1982 aufgrund der Dezentralisierungsgesetze zugenommen haben, und später auch für die Beschäftigten der Krankenhäuser Geltung erlangten.[64]
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V. Fazit: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit als Fundament des Verwaltungsrechts
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Nach dem Zweiten Weltkrieg ist es zu einer erheblichen Zunahme der verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten gekommen. Dies hat zwei wesentliche Reformen ausgelöst, durch welche die Verwaltungsgerichtsbarkeit umgebildet wurde, die sich aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage sah, die Verfahren zu bewältigen (zu Beginn des Jahres 1953 war der Rückstand bei den Rechtssachen vor dem Conseil d’État beträchtlich, weil die geringe Anzahl an Mitgliedern, die mit streitigen Verfahren betraut waren, kaum mehr als 4 000 Streitfälle im Jahr entscheiden konnte; ein Vierteljahrhundert später war die Anzahl der Rechtssachen, die in einem einzigen Jahr vor die Verwaltungsgerichtsbarkeit gebracht wurden, bereits auf mehr als 71 000 gestiegen). Die erste Reform führte zur Schaffung der Verwaltungsgerichte (Tribunaux administratifs), denen im Gegensatz zu den Conseils de préfecture die Rolle von Richtern für Verwaltungsstreitigkeiten (juges de droit commun du contentieux administratif) zugewiesen wurde (Verordnungen vom 30. Juli und 28. November 1953). Mit der zweiten Reform wurden die Appellationsverwaltungsgerichtshöfe (Cours administratives d’appel) eingerichtet, wobei dem Conseil d’État im Hinblick auf deren Entscheidungen die Funktion eines Kassationsgerichts zukommt (Gesetz vom 31. Dezember 1987). Diese Reorganisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit hatte positive Auswirkungen auf die Behandlung der Verwaltungsstreitigkeiten: Allein im Jahre 2008 hat der Conseil d’État etwa 12 000 Rechtssachen entschieden; bei den Cours administratives d’appel waren es 27 500 und bei den Tribunaux administratifs 192 000.
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Zugleich stärkte der Conseil constitutionnel die Position der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Unter Fortentwicklung seiner Rechtsprechung identifizierte er grundlegende Prinzipien, die durch die Gesetze der Republik anerkannt werden (principes fondamentaux reconnus par les lois de la République). Er ließ sich insofern von der Rechtsprechung des Conseil d’État inspirieren, der vor allem seit 1945 auf allgemeine Rechtsgrundsätze rekurrierte, die jeder acte administratif wahren muss.[65] Der Conseil constitutionnel stellte in seiner Entscheidung vom 23. Januar 1987 „in Übereinstimmung mit der französischen Konzeption der Gewaltenteilung“ ein principe fondamental reconnu par les lois de la République auf, wonach die Verwaltungsgerichtsbarkeit die mit Verfassungsrang ausgestattete Kompetenz besitzt, Verwaltungsentscheidungen, die in Ausübung der Kompetenzen (prérogatives) der öffentlichen Gewalt getroffen wurden, aufzuheben oder abzuändern.[66] Diese Entscheidung spiegelt die in diesem Beitrag aufgezeigte Entwicklungslinie wider. Seit vielen Jahrhunderten gibt es in Frankreich Rechtsprechungsinstanzen, die zur Entscheidung von Verwaltungsstreitigkeiten berufen sind, genauso wie ein Recht existiert, das sich von demjenigen unterscheidet, das auf die Beziehungen zwischen Privatpersonen Anwendung findet, und das seit dem Ersten Kaiserreich als „administrativ“ bezeichnet wird.
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Die Organisation der Verwaltungsgerichtsbarkeit und das Verwaltungsrecht zeigten sich viele Jahre hindurch wenig empfänglich für ausländische Einflüsse, auch wenn die Kenntnis über ausländische Verwaltungsinstitutionen im 19. Jahrhundert besser war, als gemeinhin vermutet.[67] Die französischen Verwaltungsrechtler vertraten aber die Auffassung, dass vor allem das französische System dem Ausland als Modell dienen solle. In der Tat hatte es eine beachtliche Ausstrahlung auf die Verwaltungsrechtsordnungen anderer Staaten.[68] Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges scheint die Entwicklung der französischen Verwaltungsrechtsordnung allerdings in Richtung einer Öffnung zu weisen. Der Wunsch nach Reformen trägt dazu bei, nach Vorbildern in den Ländern zu suchen, die mit denselben Veränderungen und Problemen konfrontiert sind wie Frankreich. Der Conseil d’État schenkt dem ausländischen Recht nicht nur in seinen öffentlichen Berichten, sondern auch im Rahmen seiner Entscheidungen zu Verwaltungsrechtsstreitigkeiten immer mehr Bedeutung. Auch die commissaires du Gouvernement greifen in ihren Schriftsätzen an den Conseil d’État zur Untermauerung ihrer Schlussfolgerungen zunehmend auf die Rechtsvergleichung zurück.[69] Die Rolle, die der Conseil d’État für die Ausarbeitung und Anwendung des Rechts spielt, ist nach wie vor sehr bedeutsam, ungeachtet gewaltiger Normmassen aus nationalen Gesetzen und Verordnungen, aus Akten der Europäischen Union und aus völkerrechtlichen Quellen. Die Verfassungsrevision vom 23. Juli 2008 hat ihn sogar in die Lage versetzt, in einem gewissen Umfang eine Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen auszuüben, die neben diejenige der Vereinbarkeit mit völkerrechtlichen Abkommen getreten ist, die er bereits zuvor ausübte.
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