Klausurenkurs im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht. Thomas Rauscher
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Art. 6 EGBGB ist eine Bestimmung, die in Praxis und Prüfung § 242 und § 138 BGB ähnelt. In der Praxis eine wichtige Generalklausel, mit der unerträgliche Ergebnisse, hier solche, die uns eine ausländische Rechtsordnung beschert, abgewehrt werden. In der Prüfung sind beide Normen nicht selten Anreiz, im Kandidaten die Sehnsucht nach individueller Gerechtigkeit zu wecken. Prüfungskandidaten sollten sich hier bremsen. Art. 6 EGBGB kann natürlich in einem Prüfungsfall vorkommen; dann liegt aber das Augenmerk darauf, ob sorgsam Inlandsbezug, Fallbezug und Verstoß gegen elementare Grundsätze deutschen Rechts geprüft werden. Wortreich lebenserfahrene Ausführungen zur Unerträglichkeit ausländischen Rechts sind nicht erwartet, kosten Zeit und schaden nicht selten der Arbeit in den Augen des Prüfers, zumal wenn es sich um wohlfeile Phrasen eines politisch korrekten Grundkonsenses handelt. So schwer es manchem Prüfling fällt: Art. 6 EGBGB ist nicht dazu da, andere Rechtsordnungen zu belehren, wie gerecht das deutsche Rechtssystem ist.
6. Völkervertragliche und europarechtliche Instrumente
a) Sachlicher Anwendungsbereich
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Völkervertragliche und europarechtliche Instrumente des IPR und IZPR haben einen definierten sachlichen Anwendungsbereich, den man behandeln muss, sobald man positiv zu dem jeweiligen Instrument greift. Das Haager KSÜ gilt im Zuständigkeitsbereich für Schutzmaßnahmen über Kinder, also sind zunächst beide Begriffe zu behandeln; die Brüssel IIa-VO erfasst Ehescheidungen, -trennungen etc, also wird man schon an dieser Stelle die Frage behandeln, ob die Scheidung der Ehe zweier niederländischer Frauen unter die Verordnung fällt. Greift das Instrument für die zu lösende Frage nicht ein, so kann man sich alle weiteren Überlegungen, auch hilfsweiser Natur, ersparen. Kein Prüfer möchte Ausführungen zu den Vertragsstaaten eines Abkommens lesen, das schon in der Sache nicht anwendbar ist.
b) Zeitlicher Anwendungsbereich
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Nicht ebenso eindeutig lässt sich der Standort der Behandlung des zeitlichen Anwendungsbereichs festlegen, da die zeitliche Geltung mit der Vertrags- oder Mitgliedstaatseigenschaft eines Staates zu tun haben kann. Ist ein Übereinkommen loi uniforme, gilt also unabhängig von Gegenseitigkeit, dann kommt es nur auf die intertemporale Geltung in Deutschland an. Andererseits kann die Anwendbarkeit von räumlich-persönlichen Voraussetzungen abhängen, die sich mit der intertemporalen Frage mischen: Wenn Art. 5 Abs. 1 Brüssel Ia-VO die Anwendung vom Wohnsitz des Beklagten in einem Mitgliedstaat abhängig macht, dann lässt sich bei Wohnsitz in einem Beitrittsstaat die zeitliche Anwendbarkeit erst beantworten, sobald man die Kriterien der räumlich-persönlichen Anwendbarkeit behandelt hat.
Geltung eines Rechtsinstruments, im Sinn der Anwendbarkeit im Fall, kann hierbei deutlich später eintreten als das Inkrafttreten. Vor allem EU-Instrumente des EuZPR und EuIPR treten meist erst einige Zeit nach der Veröffentlichung im ABl. EU in Geltung und verfügen in Schlussbestimmungen häufig über detaillierte intertemporale Regeln. Beim Übergang zu EU-Instrumenten wird es häufig sinnvoll sein, die intertemporale Anwendung vorab zu prüfen, wenn der sachliche Anwendungsbereich naheliegt, aber das neue EU-Instrument zeitlich noch nicht anwendbar ist (zB wird man derzeit nicht – auch nicht hilfsgutachtlich – in einem Erbfall die bereits existente, aber noch nicht anwendbare EU-ErbVO auf ihren potentiellen materiellen Anwendungsbereich hin untersuchen).
c) Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich
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Völker- und europarechtliche Rechtsinstrumente, die nicht loi uniforme sind, haben einen begrenzten räumlich-persönlichen Anwendungsbereich, der ebenfalls vor Anwendung des regelnden Teils des Instruments zu prüfen ist. Hier unterläuft nicht selten der Fehler, dass instinktive Ansichten zum Anwendungsbereich an die Stelle der entsprechenden Bestimmungen des Instruments gesetzt werden. Wenn im Fall ein deutscher und ein polnischer Staatsangehöriger vorkommen, dann bedeutet dies, auch wenn Polen Vertragsstaat ist, selbstverständlich nicht, dass der Fall den zB vom UN-Kaufrecht geforderten Bezug zu einem anderen Vertragsstaat hat.
d) Verhältnis zu anderen Instrumenten
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Die völkervertraglichen, vor allem aber die in den letzten zwei Jahrzehnten in großer Zahl geschaffenen europarechtlichen Instrumente bringen es mit sich, dass in vielen Fällen mit Auslandsbezug mehrere materiell einschlägige Rechtsinstrumente existieren. Ob ein deutsches Gericht seine internationale Zuständigkeit für eine Sorgerechtsregelung nach Art. 1 KSÜ, 1 MSA, 9 ff Brüssel IIa-VO oder § 99 FamFG bestimmt, ist in der Prüfung nicht zuletzt ein Aufbauproblem. Hierbei empfiehlt es sich in der Reihenfolge Europarecht – Völkerrecht – Deutsches Recht vorzugehen. Europarechtliche Instrumente zur Zuständigkeit regeln in ihren Schlussartikeln nämlich ihr Verhältnis zu Völkerverträgen. Völkerverträge verdrängen in ihrem Anwendungsbereich das nationale IZPR. Gelangt man im Beispiel tatsächlich zu deutschem Verfahrensrecht, dann stellt sich für einen in dritter Instanz (Revision bzw Rechtsbeschwerde) noch anhängigen Fall – knapp 10 Jahre nach Inkrafttreten des FamFG nur noch selten – die Abgrenzung zwischen §§ 43, 35b FGG aF und § 99 FamFG als intertemporales Problem, das aus Sicht der jüngeren Norm zu beantworten ist.[2]
Anmerkungen
Einführung in die Rechtsvergleichung (3. Aufl., 1996).
In diesem Fall Art. 111 FGG-RG.
2. Teil Klausuren
Inhaltsverzeichnis
V. Außervertragliches Schuldrecht