Juristische Methodenlehre. Mike Wienbracke
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• | EU-Recht Rechtsquellen des europäischen Unionsrechts sind zum einen das sog. EU-Primärrecht, d.h. der EUV und der AEUV (gem. Art. 48 f. EUV einschließlich nachfolgender Änderungen und Beitrittsverträge sowie inkl. Protokolle und Anhänge, siehe Art. 51 EUV), die EU-Grundrechtecharta (vgl. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 EUV) und die (ungeschriebenen) „allgemeinen Rechtsgrundsätze[…], die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“, Art. 340 Abs. 2 AEUV. Zum anderen sind nach Art. 288 Abs. 2 bis 4 AEUV die von den EU-Organen erlassenen Verordnungen[42] (engl.: regulations), Richtlinien (engl.: directives) und Beschlüsse (vormals: Entscheidungen), das sog. EU-Sekundärrecht[43], jeweils rechtlich verbindlich (nicht dagegen: Empfehlungen und Stellungnahmen, siehe Art. 288 Abs. 5 AEUV) – ebenso wie ferner noch die von der EU abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge, vgl. Art. 216 Abs. 2 AEUV. Allerdings sind nicht alle dieser europarechtlichen Vorschriften auch im Einzelfall unmittelbar anwendbar (so z.B. müssen Richtlinien – im Gegensatz etwa zu den nach Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV unmittelbar verbindlichen Verordnungen – erst noch von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden, vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV[44]); |
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Neben dem positivierten Recht zählt auch das ungeschriebene – und damit stets nur im materiellen Sinn als „Gesetz“ zu qualifizierende – abstrakt-generelle[45] Gewohnheitsrecht zu den anerkannten Rechtsquellen (z.B. die Regeln betreffend das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben, vgl. § 346 HGB und allgemein § 293 ZPO).[46]
„Gewohnheitsrecht entsteht durch längere[47] tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist [sog. longa consuetudo] und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird [sog. opinio iuris].“[48]
Beispiel[49]
A ist Eigentümer von drei nebeneinander an einer öffentlichen Straße liegender und mit drei aneinandergrenzenden Häusern bebauter Grundstücke in NRW. In deren rückwärtigem Teil befinden sich Garagen. B ist Eigentümerin von Grundstücken, auf denen ein Weg verläuft, über den A die Garagen erreicht. Während diese Wegenutzung seit Jahrzehnten durch frühere Eigentümer und zunächst auch durch B geduldet wurde, hat dieser nunmehr gegenüber A die „Kündigung des Leihvertrages über das zu dessen Gunsten vor über 30 Jahren bestellte, schuldrechtliche Wegerecht“ erklärt. Zudem kündigte B an, den Weg alsbald zu sperren. Unter Berufung auf ein zu seinen Gunsten bestehendes, gewohnheitsrechtliches Wegerecht verlangt A von B, die Sperrung des Weges zu unterlassen. Mit Erfolg?
Nein. Im Verhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn kann ein gewohnheitsrechtliches Wegerecht durch eine jahrelange Übung in der Annahme einer entsprechenden rechtlichen Berechtigung bzw. Verpflichtung nicht entstehen. Denn als ungeschriebenes Recht enthält auch das Gewohnheitsrecht eine abstrakt-generelle Regelung, die über den Einzelfall hinausweisen muss. Zwar ist dies nicht nur bei einem sog. „Jedermann-Recht“ der Fall. Vielmehr kann dies im Unterfall der Observanz auch nur im Verhältnis einer begrenzten Zahl von Eigentümern und Pächtern zueinander entstehen – beispielsweise nur für eine Gemeinde oder für die Mitglieder einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Voraussetzung ist aber stets, dass die ungeschriebene Rechtsnorm, die die Beteiligten als verbindlich anerkennen, sämtliche Rechtsverhältnisse einer bestimmten Art beherrscht. Als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art kann Gewohnheitsrecht nämlich nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht jedoch beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn.
Bestraft[50] werden kann eine Tat nach § 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG freilich nur auf Grundlage eines Gesetzes, d.h. einer geschriebenen Rechtsnorm (Rn. 238). Doch auch im Übrigen ist die Bedeutung des Gewohnheitsrechts im deutschen Recht heute praktisch sehr gering.[51] Zunächst entstandenes Gewohnheitsrecht (z.B. Züchtigungsrecht des Schullehrers) tritt später wieder außer Kraft, wenn zumindest eine der beiden vorgenannten Voraussetzungen wegfällt oder aber entgegenstehendes Gewohnheits- oder Gesetzesrecht sich bildet bzw. erlassen wird (vgl. Rn. 71; z.B. Art. 86 Abs. 3 Nr. 1 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen: „Unzulässig sind: körperliche Züchtigung“).[52]
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Mangels Allgemeinverbindlichkeit jeweils nicht um eine Rechtsquelle (im engen juristischen Sinn[53]) handelt es sich dagegen bei den folgenden Einzelfallregelungen:[54]
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• | Gerichtsentscheidungen (v.a. Urteile), vgl. § 121 VwGO, § 325 Abs. 1 ZPO.[55] Denn der Richter „erzeugt kein Recht, sondern [er] wendet Recht an“,[56] vgl. Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG (Gewaltenteilungsgrundsatz) und Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG (Gesetzesbindung). Abweichendes gilt nach § 31 Abs. 2 S. 1, 2 BVerfGG nur für die dort genannten Entscheidungen des BVerfG, die Gesetzeskraft haben, sowie im Umfang des § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO für Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe (§ 184 VwGO; Rn. 54 f.); ferner siehe auf EU-Ebene Art. 264 Abs. 1 und Art. 267 Abs. 1 lit. b) Alt. 1 AEUV.[57] Zur richterlichen Rechtsfortbildung im Bereich planwidriger Gesetzeslücken namentlich mittels Analogie („Richterrecht“[58]) siehe Rn. 226 ff. sowie zu weiteren Funktionen der Rechtsprechung in methodischer Hinsicht Rn. 124; |
Hinweis
Höchstrichterlichen Entscheidungen (des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts etc.) kommt freilich auch im deutschen Recht nicht nur tatsächlich ein hoher Stellenwert zu (Rn. 135 a.E.), sondern entfalten diese im Verhältnis zu untergeordneten Gerichten (z.B. § 121 Abs. 2 GVG, § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), Staatsanwälten (vgl. § 152 Abs. 2 StPO; str.) und Rechtsanwälten (vgl. § 276 Abs. 2 BGB) ebenfalls rechtlich (mittelbar) eine Bindungswirkung.[59]
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• | Verwaltungsentscheidungen (Verwaltungsakte, vgl. § 35 S. 1 VwVfG) und Verwaltungsvorschriften (z.B. Einkommensteuerrichtlinien, vgl. Art. 108 Abs. 7 GG; allgemein siehe Art. 84 Abs. 2, Art. 85 Abs. 2 S. 1 GG), „durch die eine vorgesetzte Behörde verwaltungsintern auf ein einheitliches Verfahren oder eine bestimmte Ermessensausübung, aber auch auf eine bestimmte Gesetzesauslegung und -anwendung durch die ihr nachgeordneten Behörden hinwirkt.“[60] Ihnen kommt regelmäßig keine unmittelbare Außenwirkung gegenüber dem Bürger und damit keine Rechtsnormqualität zu.[61] Ob eine Regelung als Rechts- oder aber als Verwaltungsvorschrift zu qualifizieren ist, beurteilt sich dem VGH München zufolge „zum einen nach ihrer Form [Bezeichnung, Publikationsort], zum anderen nach ihrem Inhalt [Adressatenkreis]“[62]; |
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