Handbuch Betreuungsrecht. Sybille M. Meier
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Zur Feststellung der Gesundheitsgefährdung ist ein ärztliches Gutachten erforderlich. Dieses ist von dem Sachverständigen nach vorheriger Untersuchung des Betroffenen schriftlich zu erstellen. In dem Gutachten soll der Sachverständige für das Gericht nachvollziehbar darlegen, welcher Gesundheitsschaden genau und aus welchem Grund bei dem Betroffenen zu erwarten ist. Die pauschale ärztliche Behauptung, die Anhörung wirke sich für den Betroffenen gesundheitsgefährdend aus, reicht nicht aus. Im Übrigen ist es Sache des Gerichts zu entscheiden, ob es die dargestellten Gründe für stichhaltig erachtet oder nicht.
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Sieht das Gericht wegen des vorliegenden ärztlichen Gutachtens von der Anhörung des Betroffenen ab, so ist zwingend ein Verfahrenspfleger zu bestellen.[2] Das Gericht hat in seinem abschließenden Beschluss über die Betreuerbestellung die Gründe für die nicht erfolgte persönliche Anhörung des Betroffenen darzulegen.[3]
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Beispiel
Beate K., die Tochter des vermögenden Siegfried D., der gerne Geld für Frauen ausgibt, hält ihren Vater für verschwendungssüchtig und beantragt eine Betreuung. Das von dem Gericht eingeholte Sachverständigengutachten kommt zu dem Schluss, dass Siegfried D. krankheitsbedingt den Überblick über seine finanziellen Verhältnisse verloren hat. Beate K. will selbst Betreuerin werden, diesen Umstand allerdings ihrem Vater verschweigen. Um eine persönliche Anhörung zu vereiteln, legt sie ein dezidiertes Gutachten des mit ihr befreundeten Neurologen Dr. Bruno N. vor, aus dem sich ergibt, dass hierdurch erhebliche gesundheitliche Gefahren für Herrn D. entstünden. Richter Ole E. erlässt daraufhin ohne weitere Anhörung von Siegfried D. eine Endentscheidung. Als er den Beschluss über die Betreuerbestellung von seiner Haushälterin vorgelesen bekommt, legt der Betroffene über Rechtsanwalt Klaus P. hiergegen das Rechtsmittel der einfachen Beschwerde ein.
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Im vorliegenden Fall wird das Beschwerdegericht prüfen, ob die Gründe, die das erstinstanzliche Gericht bewogen, von einer Anhörung abzusehen, tragfähig sind. Das Beschwerdegericht wird die Anhörung des B selbst nachholen. Sollte das Beschwerdegericht wider Erwarten nicht dementsprechend verfahren und sich sogar dazu versteigen, die erstinstanzliche Entscheidung zu bestätigen, wird der von Rechtsanwalt P. im Wege der Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG, § 133 GVG) mit Hilfe eines dort zugelassenen Anwaltes (§ 10 Abs. 4 FamFG) eingeschaltete BGH in dem Unterbleiben der Anhörung einen Gesetzesverstoß nach § 26 FamFG sehen und die Angelegenheit zur Entscheidung an das Landgericht zurückverweisen. Das Unterbleiben der persönlichen Anhörung ist ein schwerwiegender Verfahrensmangel, der zu einer Bemakelung des Betreuungsverfahrens führt.[4] Ferner kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre, unterstellt, es hätte den Betroffenen angehört.[5] Diese Kausalitätsvermutung führt zu einer Umkehr der Beweislast in einem etwaigen späteren Amtshaftungsprozess nach § 839 BGB, Art. 34 GG.
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Beispiel
Die vermögende Betroffene erteilt im Jahre 2012 im geschäftsfähigen Zustand eine Vorsorgevollmacht an ihren jüngeren Bruder M. Im August 2014 nutzt R den mittlerweile geschäftsunfähigen Zustand der dementen Betroffenen aus und veranlasst eine notarielle Beurkundung einer zweiten Vorsorgevollmacht zu seinen Gunsten. R widerruft die Vollmacht des M und initiiert vor dem zuständigen Betreuungsgericht ein Vollmachtsklärungsverfahren[6]. Gibt es zwei Vorsorgevollmachten und besteht Streit darüber, welche wirksam ist, besteht die Möglichkeit, das Betreuungsgerichts zur Klärung anzurufen. Amtsrichterin A geht aufgrund des Gutachtens einer Ärztin, die keine Fachärztin für Psychiatrie ist, von Geschäftsfähigkeit der Betroffenen zum Zeitpunkt der Niederschrift der Vorsorgevollmacht zugunsten des R aus. Die Amtsrichterin verzichtet auf eine Anhörung der Betroffenen. R verkauft mittels der Vollmacht ein Mietshaus der Betroffenen, vereinnahmt den Kaufpreis in Höhe von 3,4 Mio € und taucht im Weiteren unter. Vorliegend bestehen zugunsten der Betroffenen Amtshaftungsansprüche wegen unterbliebener Anhörung. Hätte vorliegend die Amtsrichterin eine Anhörung durchgeführt, so wäre es ihr möglich gewesen, die Aussagen der Ärztin in dem Sachverständigengutachten anhand des persönlichen Eindrucks zu überprüfen. Das Gericht wäre dann zu einer anderen Entscheidung gekommen (Kausalitätsvermutung). Die Wirksamkeit der Vollmacht des R wäre nicht bestätigt worden und dieser hätte nicht bei der Betroffenen einen Vermögensschaden herbeiführen können.
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Eine Anhörung wegen Verständigungsunfähigkeit des Betroffenen scheidet aus, wenn das Gericht auf Grund eines eigenen Eindrucks feststellt, dass der Betroffene nicht mehr artikulationsfähig ist.
293
Beispiel
Im Rahmen der richterlichen Anhörung beantwortet die 96-jährige Gertrud G. die an sie gerichtete Frage, ob ihr das Essen im Pflegeheim schmecke, mit einem stereotypen Knurren, der einzigen Äußerung, zu der sie fähig ist.
294
Nicht ausreichend ist demgegenüber, dass der Betroffene außer Stande ist, zusammenhängende Sätze zu bilden, adäquat auf Fragen zu antworten oder aber geschäftsunfähig ist.[7] Steht der Betroffene unter starkem medikamentösen Einfluss, der dazu führt, dass mit ihm ein sinnvolles Gespräch nicht möglich ist, so muss der Richter darauf hinwirken, dass die Medikamente temporär abgesetzt werden, damit die Anhörung stattfinden kann.
295
Es handelt sich im Übrigen um einen Numerus clausus der Ausnahmetatbestände, d.h. andere, möglicherweise ebenso schwer wiegende Hindernisse sind nicht ausreichend. Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, kann ausschließlich auf die Anhörung verzichtet werden.[8]
Sieht das Gericht auf Grund des einen oder anderen Ausnahmetatbestandes von der persönlichen Anhörung des Betroffenen ab, so muss es sich zuvor zwingend einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen verschaffen. Nur so ist das Gericht in der Lage, seiner Kontrollfunktion gegenüber Gutachtern und Zeugen nachzukommen.[9]
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Beispiel
Das S.-Pflegeheim beantragt für Benno B., einen Schlaganfallpatienten, der sich nicht mehr artikulieren kann, eine Betreuung bei dem zuständigen Amtsgericht. Richter Nikolai A. hält es in Ansehung des Krankheitsbildes von Herrn B. für überflüssig, eine persönliche Anhörung durchzuführen. Das Vorgehen von Richter A. ist in jedem Falle verfahrensfehlerhaft.
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Das Gericht darf unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 S. 1 FamFG ausnahmsweise dann von der Anhörung des Betroffenen bzw. von der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks absehen, wenn eine Vorführung des Betroffenen (§ 278 Abs. 5 FamFG) unverhältnismäßig ist und das Gericht zuvor sämtliche nicht mit Zwang verbundenen Versuche einschließlich des Versuchs einer Anhörung in der gewöhnlichen Umgebung – unternommen hat, um den Betroffenen zu befragen oder sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Eine Betreuung kann in diesen Fällen nur dann angeordnet werden, wenn das Gericht nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten auch ohne Anhörung und ohne persönlichen Eindruck von dem Betroffenen vom Vorliegen der Betreuungsvoraussetzungen überzeugt ist.[10] Wird von einer Anhörung des Betroffenen aus einem der genannten Gründe abgesehen, so ist zur Wahrnehmung seiner Interessen die Bestellung eines Verfahrenspflegers obligat.
Anmerkungen