Handbuch Betreuungsrecht. Sybille M. Meier
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Die Vorführung zur Anhörung bedarf zwingend der vorherigen Androhung.[5] Sofern der Betreuungsbehörde nicht bereits im Beschluss die Befugnis zur Wohnungsöffnung und zum Betreten und Durchsuchen der Wohnung des Betroffenen erteilt wurde, kann diese selbst die Entscheidung seit 1.1.2013 nur bei Gefahr im Verzug treffen (§ 278 Abs. 7 FamFG). Die Gefahr im Verzug muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind. Reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder lediglich auf Alltagserfahrung gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus.[6]
Anmerkungen
BT-Drs. 11/4528, 173.
BayOblG Rpfleger 1999, 445; BtPrax 2001, 251; FamRZ 2002, 348; LG Frankfurt/Main BtPrax 1994, 216; FamRZ 1996, 375; a.A., die allerdings überholt sein dürfte: LG Berlin FamRZ 1996, 821; KG BtPrax 1996, 195; FamRZ 1997, 442.
Deinert/Walther S. 146.
Deinert/Walther S. 147.
BayObLG FamRZ 1997, 1568.
BVerfGE 103, 142 = NJW 2001, 1121 = NStZ 2001, 382 = Rpfleger 2001, 264.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › IX. Die Anhörung des Betroffenen › 5. Rechtliches Gehör
5. Rechtliches Gehör
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Aus Art. 103 GG ergibt sich die Verpflichtung des Gerichts, seiner Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil des Betroffenen zu Grunde zu legen, zu denen er zuvor Gelegenheit hatte, sich zu äußern.
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Beispiel
Jürgen R., der Nachbar von Herbert G., ruft bei dem zuständigen Betreuungsrichter an und erzählt diesem, dass Herbert G. nahezu täglich mit anderen „Saufkumpanen“ erhebliche Mengen Alkohol zu sich nehme und manchmal als hilflose Person im Treppenhaus aufgefunden werde. Im Übrigen rieche es streng aus der Wohnung.
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Will der Richter dieses Telefonat in irgendeiner Form seiner Entscheidungsfindung zu Grunde legen, so hat er entweder den dementsprechenden Vermerk dem Betroffenen zuzuleiten oder aber diesen im Rahmen des Schlussgesprächs hierüber in Kenntnis zu setzen. Es handelt sich hierbei um ein Verfahrensprinzip, mit dem es teilweise in der betreuungsgerichtlichen Praxis nicht so genau genommen wird.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › X. Die Anhörung der Betreuungsbehörde, Angehöriger und Vertrauenspersonen
X. Die Anhörung der Betreuungsbehörde, Angehöriger und Vertrauenspersonen
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Nach § 279 Abs. 2 FamFG ist das Betreuungsgericht verpflichtet, vor Bestellung eines Betreuers oder Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes der zuständigen Behörde Gelegenheit zur Äußerung zu geben.[1]
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Seit 1.7.2014 betrifft diese Pflicht jedes Betreuungsverfahren im engeren Sinne (Bestellung eines Betreuers bzw. Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes), zuvor erfolgte dieses nur auf Antrag des Betroffenen oder wenn der Richter es im Einzelfall für notwendig hielt. Mit der obligatorischen Gelegenheit zur Stellungnahme durch die Betreuungsbehörde ist die bisherige Regelung durch neue Gesetzesverweise nur noch in den §§ 294 Abs. 1 und 295 Abs. 1 FamFG enthalten und somit bei Aufhebungen von Betreuungen oder Einwilligungsvorbehalten, Einschränkungen von Aufgabenkreisen und Betreuungsverlängerungen gegeben.
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Im Hinblick auf die besondere Sachkunde der Betreuungsbehörde wird deren Anhörung auch in diesen Fällen stets sachdienlich sein. In die Fachkompetenz der Behörde fällt primär die Feststellung der tatsächlichen Lebensumstände des Betroffenen und seines sozialen Umfeldes. Die Vorschrift des § 8 BtBG, der seit 1.7.2014 auch ausdrücklich auf die Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 279 Abs. 2 FamFG verweist, legt die allgemeine Verpflichtung der Betreuungsbehörde zur Unterstützung des Gerichts in einem anhängigen Betreuungsverfahren nieder. Durch den Bericht oder entsprechende Hinweise der Betreuungsbehörde erfährt das Gericht beispielsweise, ob es Vertrauenspersonen des Betroffenen gibt, die dieser eventuell mit Vollmachten zur Regelung seiner Angelegenheiten ausgestattet hat usw. Sofern das Gericht nicht nach § 280 FamFG ein Gutachten einholt, das über die „sozialen Gerichtspunkte“[2] Auskunft erteilt, ist in jedem Fall von der Betreuungsbehörde ein so genannter Sozialbericht nach § 8 Abs. 1 S. 2 BtBG abzufordern. Jede andere Vorgehensweise wäre als Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz, § 26 FamFG, und damit als Gesetzesverletzung, zu qualifizieren. Die gerichtliche Verpflichtung zur Einholung eines Sozialberichtes resultiert im Übrigen auch aus den Anforderungen an eine umfassende Sachverhaltsermittlung, die nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in allen Verfahren, die freiheitsentziehenden Charakter besitzen, anzuwenden ist. Das BVerfG statuierte:
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Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhaltes und damit für eine hinreichende tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht. (. . .)[3]
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Die Form der Äußerung der Behörde ist nicht vorgegeben. Binnen einer angemessenen Frist, die nicht unter zwei Wochen liegen sollte, kann die Behörde entweder in schriftlicher oder mündlicher Form Stellung beziehen.[4]
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