Der Pflichtwidrigkeitsvorsatz der Untreue. Lasse Dinter
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![Der Pflichtwidrigkeitsvorsatz der Untreue - Lasse Dinter Der Pflichtwidrigkeitsvorsatz der Untreue - Lasse Dinter Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht](/cover_pre1171338.jpg)
Teil 1 Einführung in die Problematik › C › II. Begriffsbestimmung
II. Begriffsbestimmung
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Dass der Rechtsnatur eines Tatbestandsmerkmals im vorsatzrechtlichen Sachzusammenhang eine derart wichtige Bedeutung zukommt, ist auf die Entwicklung der Irrtumslehre seit Beginn des 20. Jahrhunderts zurückzuführen. Die Strafrechtswissenschaft wandte sich seinerzeit von der Dichotomie der Irrtumslehre (Rechts- und Tatirrtum) des Reichsgerichts ab und begann die Verschiedenartigkeit der in den Strafgesetzen vorgefundenen Tatbestandsmerkmale zu typisieren.[68] Heute sind vier Gruppen von Tatbestandsmerkmalen anerkannt, die in deskriptive und normative Merkmale einteilbar sind.[69] Das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit des § 266 kann nur unter die Sammelkategorie der normativ geprägten Merkmale eingeordnet werden.[70] Darunter fallen normative Tatbestandsmerkmale, Blankett- und gesamttatbewertende Merkmale.
1. Blankettmerkmale
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Der Begriff „Blankettstrafgesetz“ geht auf Binding zurück, der darunter ein Gesetz verstand, das durch ein Verbot „der Landes- oder Ortspolizeibehörde oder einer sonstigen Behörde oder von der Partikulargesetzgebung“ ausgefüllt werde.[71] Der Begriff wurde vom Reichsgericht[72], später auch vom BGH[73] übernommen und hat sich mittlerweile etabliert[74], nicht aber seine Bedeutung. Der Begriff des Blanketts ist ursprünglich im verfassungsrechtlichen Zusammenhang geprägt worden, mittlerweile ist er jedoch auch eine vorsatzrechtliche Kategorie. Der Sprachgebrauch des Blankettbegriffs ist bereits aus diesem Grund nicht einheitlich. Einigkeit besteht jedenfalls insoweit, als dem Blankettstrafgesetz der Verweis auf andere (traditionell verstanden als Rechts-) Vorschriften zu eigen ist. Dabei werden echte von unechten Blankettstrafgesetzen unterschieden.[75] Zu ersteren gehören die Sanktionsnormen, die auf Ausfüllungsvorschriften einer anderen Instanz Bezug nehmen, zu letzteren solche, die auf Ausfüllungsvorschriften desselben Gesetzgebers verweisen.[76]
2. Normative Tatbestandsmerkmale
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Seit der „Entdeckung“ der normativen Tatbestandsmerkmale Anfang des 20. Jahrhunderts durch Max Ernst Mayer[77] hat man versucht, ihre wesensbestimmende Eigenart herauszuarbeiten.[78] Heute wird überwiegend der normative Bezug bzw. die normative Ergänzungsbedürftigkeit der normativen Tatbestandsmerkmale als Charakteristikum hervorgehoben.[79] Engisch versteht unter normativen Tatbestandsmerkmalen solche Merkmale des Tatbestandes, die „überhaupt nur unter logischer Voraussetzung einer Norm vorgestellt und gedacht werden können.“[80] Normative Tatbestandsmerkmale lassen sich erst unter Heranziehen einer außerhalb ihrer Sanktionsnorm liegenden, von Menschen gesetzten rechtlichen oder außerrechtlichen „Norm“ interpretieren.[81] Die Bezugnahme auf außerhalb des Tatbestandsmerkmals liegende Wertungen wird folglich zum wesensbestimmenden Attribut von normativen Tatbestandsmerkmalen erhoben.
3. Gesamttatbewertende Merkmale
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Auch gesamttatbewertende Merkmale verweisen auf außertatbestandliche Wertungen. Im Unterschied zu Blankettmerkmalen folgen sie jedoch aus ungeschriebenen „Normen“.[82] Von den normativen Tatbestandsmerkmalen sollen sich die gesamttatbewertenden Merkmale dadurch unterscheiden, dass sie die ganze Tat bewerteten, während normative Tatbestandsmerkmale lediglich ein Teilstück des Sachverhalts beschrieben.[83] Gesamttatbewertende Merkmale bezeichneten nicht nur das typische, sondern bereits das im konkreten Einzelfall bestehende Unrecht der Tat.[84] Wessen Verhalten den Tatbestand verwirklicht, der handelt folglich zugleich rechtswidrig und wem ein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht, handelt schon nicht tatbestandsmäßig.[85]
Dem heutigen Begriffverständnis entspricht es allerdings, auch solche Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes als „gesamttatbewertend“ einzuordnen, die nur einen Ausschnitt des Unrechtsgeschehens betreffen (z. B. „grob verkehrswidrig“ gem. § 315c Abs. 1 Nr. 2[86]). Die formale Begriffsanforderung erfüllen diese Tatbestandsmerkmale eigentlich nicht. Die Grenze zwischen der Beschreibung eines „Teilstücks des Sachverhalts“ und der „Bewertung der ganzen Tat“ wird aber ohnedies nicht immer trennscharf zu ziehen sein,[87] sodass der Regelungsumfang des Merkmals angesichts des eigentlichen Anliegens, nämlich einen bestimmten Vorsatzgegenstand begrifflich zu erfassen, als Spezifikum gesamttatbewertender Merkmale ausscheiden sollte.[88] Treffender ist es, unter „gesamttatbewertenden Merkmalen“ diejenigen (Tatbestands-) Merkmale zu verstehen, die durch ungeschriebene gesellschaftliche Wertung ausgefüllt werden.[89] Die verbleibende sprachliche Ungenauigkeit, durch die auch eindeutig nicht die gesamte Tat bewertende Merkmale (z. B. „pornographisch“ gem. § 184)[90] als „gesamttatbewertend“ bezeichnet werden, kann durch den Verzicht auf den Zusatz „gesamt“ behoben werden.[91]
Teil 1 Einführung in die Problematik › D. Verlauf der Untersuchung
D. Verlauf der Untersuchung
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Im zweiten Teil wird untersucht, nach welchen Kriterien die Unterscheidung von Tatbestands- und Verbotsirrtums im Fall des verweisenden Tatbestandsmerkmals der Pflichtwidrigkeit vorzunehmen ist. Es soll gezeigt werden, dass die Kategorisierungsbemühungen des Pflichtwidrigkeitsmerkmals als normatives Tatbestandsmerkmal, Blankettmerkmal oder gesamttatbewertendes Merkmal im vorsatzrechtlichen Problemzusammenhang nicht weiterführend sind. Nach Analyse und Kritik der in der Rechtsprechung und Literatur vorgeschlagenen formalen und materiellen Kriterien zur Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtum wird sich zeigen, dass sich die Unterscheidung nach schuldtheoretischem Irrtumskonzept an dem sog. Postulat der Appellfunktion des Tatbestandsvorsatzes zu orientieren hat. Dabei wird es erheblich sein, welche Funktion dem Pflichtwidrigkeitsmerkmal in § 266 zukommt. Eingehend wird der Frage nachgegangen und im Ergebnis bejaht, ob § 266 über das Pflichtwidrigkeitsmerkmal verschiedene Verhaltensnormen teilweise in Bezug nimmt. Hierbei wird insbesondere untersucht, ob das in der Rechtsprechung und Literatur befürwortete allgemeine Schädigungsverbot als Kernbestandteil jedweder ungetreuen Handlung dieser Sichtweise entgegensteht.
Im dritten Teil wird die Frage behandelt, welche Umstände gem. § 16 erkannt sein müssen, damit den Täter ein Unrechtsimpuls erreicht, der ihm die Pflichtwidrigkeit seines Handelns verdeutlicht. Dabei wird im Besonderen zu problematisieren sein, welcher Maßstab bei der Beurteilung der Appellwirkung des jeweiligen Lebenssachverhalts anzulegen ist („Expertenstrafrecht“). Im Anschluss wird der Gegenstand des Pflichtwidrigkeitsvorsatzes gesondert für die verschiedenen Pflichtenquellen des § 266 untersucht. Im Ergebnis soll gezeigt werden, dass der Gegenstand des Pflichtwidrigkeitsvorsatzes im Verhältnis zur Pflichtenquelle steht und insoweit nicht einheitlich zu bestimmen ist.
Die Frage, ob diese Betrachtung auch dann sachgerecht ist, wenn über das Pflichtwidrigkeitsmerkmal ungenaue Pflichten Eingang in § 266 finden, steht im Mittelpunkt der Untersuchung des vierten Teils. Die allgemein gehaltenen Pflichtenprogramme werden dabei als Problem des Bestimmtheitsgrundsatzes gem. Art. 103 Abs. 2 GG aufgefasst. Um die erforderliche Bestimmtheit ungenauer Pflichten sicherzustellen, wird das objektive Restriktionsmodell einer näheren Untersuchung unterzogen. Der von weiten Teilen der Literatur und Rechtsprechung befürworteten Begrenzung der Pflichtwidrigkeit auf „evidente“ resp. „gravierende“ Pflichtverstöße wird ein subjektiver Restriktionsansatz gegenüber gestellt, dem zufolge der Mangel an Bestimmtheit des objektiven Handlungsgebots über den Vorsatz behoben werden kann. Zur Untermauerung des subjektiven Restriktionsansatzes wird insbesondere die Risikoverteilung zwischen Treugeber und Treunehmer