Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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zu vermeiden, die ausschließlich mit Schlechtpunkten arbeiten (zur Kritik u.a. Sonnen Kriminalität und Strafgewalt, 1978, S. 195 und JuS 1976, 364 sowie Walter 2005, Rn. 280 ff.). Positive Faktoren und Veränderungen erlangen ausschlaggebende Bedeutung (vgl. BGH ZJJ 2007, 217 ff.; StV 1996, 270; BGH StV 1986, 68 und BGH StV 1987, 306). In den sechs relevanten Bereichen (1. Sozialisationsentwicklung, 2. soziale Beziehungen, 3. Ausbildungs- und Arbeitsbereich, 4. Wohnung, 5. Freizeit, 6. Straffälligkeit) sind solche positiven Faktoren z.B. „Kein oder kein entscheidender Wechsel der Bezugspersonen; stabile, sozioökonomische Entwicklungsbedingungen in Familie und familienähnlichen Verhältnissen; ausgleichende konsequente Erziehungsmethode; keine Verhaltensauffälligkeiten in der Schule – tragfähige Beziehungen in der eigenen Familie, zu Freunden mit vorwiegend normkonformen Orientierungen – Lehre bzw. kontinuierliches Arbeitsverhältnis – eigenes Zimmer oder Wohnung, in dem/der man sich wohlfühlen kann – aktive Freizeitgestaltung, Kontrolle von Suchtgefahren, insb. von Alkohol und Drogen, ökonomischer Realismus – keine oder solche Straftaten, die strafrechtlich ohne prognostische Bedeutung sind“ (Ostendorf § 5 Rn. 16).

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      Da Jugendkriminalität überwiegend normal, ubiquitär und episodenhaft ist (Sessar in: Walter/Koop (Hrsg.), Die Einstellung des Strafverfahrens im Jugendrecht, 1984, S. 26), haben Jugendstraftaten – sogar in der Wiederholung – sehr selten eine negative prognostische Bedeutung. Außerdem können, wie in BGHSt 24, 363 hervorgehoben wird, „bestimmte Situationen aus der andersartigen Vorstellungswelt eines Jugendlichen heraus eher als Konfliktslagen empfunden werden und zu einer das Strafgesetz verletzenden Lösung drängen als bei (...) Erwachsenen“. Frühere Verurteilungen und sog. Bewährungsversagen hindern eine erneute Strafaussetzung nicht (BGH StV 1996, 270; BGH NStZ 1988, 451; BGH BewHi 1989, 382 [Horstkotte]). Es gibt weder bestimmte Täter- noch Straftatengruppen, bei denen eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht kommt (so jetzt auch Brunner seit 9. Aufl. § 21 Rn. 6 und 6a, der noch in der Vorauflage „echt“ Kriminelle und Verwahrloste für nicht geeignet hielt, sondern nur „Täter mit einem guten Kern, die vorwiegend durch ungünstige Umwelteinflüsse gefährdet sind“).

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      Bei der Prognose sind außer der Persönlichkeit, dem Vorleben und den Lebensverhältnissen auch die Umstände der Tat zu würdigen. Dazu zählen die Hintergründe und Entstehungszusammenhänge. Der BGH hat zu Recht ein Urteil aufgehoben, in dem einem bisher nicht bestraften Angeklagten Strafaussetzung zur Bewährung verweigert worden ist unter Hinweis auf Reifeverzögerungen, niedrigen Intelligenzquotienten, infantile Vertrauensseligkeit, Verspieltheit, mangelnden Ernst gegenüber Lebensproblemen und Leistungsunsicherheit. Der Hintergrund der Betäubungsmitteldelikte war, dass der Angeklagte nach dem Rauchen von Haschisch seine Sprachschwierigkeiten überwinden konnte und erstmals in einem geschlossenen Kreis akzeptiert wurde (BGH NStE Nr. 1 zu § 21 JGG). Bei Versagung der Aussetzung der Strafe zur Bewährung muss ausdrücklich begründet werden, warum keine günstige Prognose gestellt werden konnte, anderenfalls ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar und hält insoweit rechtlicher Nachprüfung nicht stand (BGHR JGG § 21 Abs. 2 Gesamtwürdigung 2). Wenn ein Angekl. die Tat bestreitet und ein früheres Geständnis als von Polizeibeamten „aufgenötigt“ bezeichnet, darf dieses Verteidigungsverhalten nicht als fehlende Schuldeinsicht und mangelnde Reue gegen eine günstige Sozialprognose herangezogen werden, BGH StV 1993, 530 = BewHi 1994, 214; vgl. auch BGH StV 2009, 80. Weichen die Urteilsgründe („erschreckender Mangel an Unrechtsbewusstsein“, deswegen keine Bewährung) von einer verlesenen Urkunde ab („ich bedauere sehr, dass all das passiert ist“), kann die Verfahrensrüge auf Verletzung des § 261 StPO gestützt werden, BGH StV 1993, 459.

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      Trotz fast 100 %iger Rückfallwahrscheinlichkeit ist eine Strafaussetzung zur Bewährung gegenüber sog. Gewissenstätern nicht ausgeschlossen, wenn sie nach dem Grundsatz „ne bis in idem“ nicht erneut bestraft werden dürfen (für Totalverweigerer: OLG Stuttgart MDR 1988, 1080; für Zeugen Jehovas: OLG Zweibrücken StV 1989, 397).

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      Auch wenn eine günstige Legalbewährungsprognose nicht gestellt werden kann und damit eine Bewährung versagt werden müsste, eröffnet der (neue) § 21 Abs. 1 S. 3 über einen Jugendarrest eine solche Bewährungschance. Der Koppelungsarrestvollzug muss dazu die Voraussetzung schaffen, dass der Jugendliche sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und ohne Strafvollzug unter der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit ein Leben ohne Straftaten führen wird. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es solche Fälle gibt, in denen eine günstige Prognose erst durch die zusätzliche Verhängung des Jugendarrestes möglich wird (Kritik bei Eisenberg Rn 14 „Spekualtionen über eine angebliche legalbewährungsbezogene Wirkung eines Kopplungsarrests): Unter dem ultima-ratio-Aspekt von Jugendstrafe und Jugendstrafvollzug dagegen letztmögliche Bewährungschance. Die Formulierung „erst dadurch“ verhindert einen unnötigen Kopplungsarrest i.S. eines net-widening Effektes (Verrel NK 2013, 67, 74 sieht die Bedeutung des § 21 Abs. 1 S. 3 in dem Umkehrschluss, dass der Kopplungsarrest in den Fällen nicht angeordnet werden darf, in denen es ohne die Arrestoption zu einer günstigen Beurteilung gekommen ist – keine „unnötige Koppelungsarrestdraufgabe“).

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      Wie sich aus dem Umkehrschluss zu § 56 Abs. 3 StGB ergibt, scheiden bei § 21 generalpräventive Gesichtspunkte aus, so dass die Frage nach der Warnung durch die Verurteilung sowie nach der erzieherischen Einwirkung in der Bewährungszeit allein unter spezialpräventiven Aspekten zu beantworten ist (BGH NStZ 1994, 530 [Böhm]). Bei Erstbestraften genügt regelmäßig der Warneffekt der Verurteilung. Die Wirkungen von Bewährungsmaßnahmen sind insgesamt günstiger als die des Strafvollzugs, auch wenn bei einem direkten Vergleich Unterschiede in der Probandengruppe zu beachten sind. Nach einer jüngeren Rückfallstatistik betrug die Rückfallquote bei Verurteilungen zu Jugendstrafen ohne Bewährung 77,8 % und bei Jugendstrafe mit Bewährung 59,6 % (Jehle/Heinz/Sutterer 2003, S. 123). Eine Urteilsbegründung, dass die Strafaussetzung eine günstigere erzieherische Beeinflussung des Angeklagten als der Vollzug der Jugendstrafe verspreche, genügt aber allein noch nicht (BGHR JGG § 21 Abs. 2 fehlerhafte Aussetzung 1). Notwendig ist eine begründete Beurteilung im Einzelfall. Auch bei Betäubungsmittelabhängigkeit kommt eine Strafaussetzung zur Bewährung nach § 21 trotz der Sonderregelung des § 35 BtMG in Betracht (Brunner/Dölling § 21 Rn. 16 und 17). Zur Strafaussetzung wegen fehlender Drogenberatung im Vollzug und zur „Vorbewährung“ gem. § 57, um einen Therapieplatz zu finden: AG Halle-Saale-Kreis NK 2000, 38 m. Anm. Sonnen; vgl. allg.: Schwerpunkt Drogen und Alkohol ZJJ 4/2009.

III. Strafaussetzung bei höherer Jugendstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt

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      Die Höchstgrenze der Strafaussetzung zur Bewährung beträgt zwei Jahre. Eine zweijährige Jugendstrafe ist noch aussetzungsfähig. Maßgebend ist die Höhe im Strafausspruch. Durch die Anrechnung einer sechsmonatigen Untersuchungshaft wird also eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten nicht aussetzungsfähig.

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