Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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Beschl. v. 11.5.2006 – 3 StR 136/06, HRRS 2006 Nr. 597: Taten lagen mehr als sechs Jahre zurück. In Ausnahmefällen kann ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis der überlangen Dauer gegeben sein: EGMR StV 2001, 489 m. Anm. Roxin; BGH NJW 2001, 1146 = StV 2001, 89; allerdings keine Kompensation bei rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung, wenn die Jugendstrafe erzieherisch geboten war, BGH NStZ 2007, 61; so auch Detter 2007, S. 207; anders BGH ZJJ 2003, 302 f. und ZJJ 2009, 57 = NStZ 2010, 94: Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (von 6 Monaten während des Revisionsverfahrens) ist bei einer wegen Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe dadurch zu kompensieren, dass ein geringer Teil (hier 1 Monat) der verhängten Jugendstrafe als vollstreckt anzuordnen ist (Festhaltung BGHSt 52, 124).

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      Unzulässig und mit dem Wesen der Jugendstrafe unvereinbar ist es, ihre Höhe von der voraussichtlichen Heilungsdauer einer krankhaften seelischen Störung abhängig zu machen. Bei einer solchen Krankheit käme eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht. Strafe und Maßregel dürfen nicht zu einer einheitlichen Sanktion mit einer entsprechenden Bestimmung der Dauer dieser Sanktion vermischt werden (BGH NStZ 1998, 86; NStZ 1987, 506 = StV 1988, 307). Rechtswidrig ist es, die Strafe mit dem Ziel zu erhöhen, eine Aussetzung zur Bewährung von vornherein auszuschließen, BGH ZJJ 2008, 296 = NStZ 2008, 693. Strafhöhe und Bewährung sind unabhängig voneinander in zwei (selbstständigen) Strafzumessungsschritten festzusetzen.

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      Trotz der Unsicherheit bei der Sozialprognose ist es nicht gerechtfertigt, bei der Bemessung der Dauer der Jugendstrafe einen Sicherheitszuschlag einzukalkulieren (a.A. Brunner 9. Aufl., § 18 Rn. 7, der darauf hinweist, dass eine zu kurz bemessene Zeit nachträglich nicht verlängert, eine zu lang bemessene dagegen nach § 88 verkürzt werden kann).

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      Während die Bemessung der Dauer der Jugendstrafe sich in einem ersten Schritt nach der speziell erzieherischen Erforderlichkeit richtet, wobei generell von einem erzieherischen Optimum knapp über einem Jahr auszugehen ist, geht es in dem zweiten Schritt um Korrekturen unter dem nachrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt des Schuldausgleichs. Mögliche Spannungen zwischen den beiden Zumessungsprinzipien Erziehung und Schuld können nicht dadurch überwunden werden, dass man – wie es mitunter in der Praxis geschieht – als erzieherisch erforderlich die schuldangemessene Jugendstrafe ansieht (und umgekehrt). Böhm versucht, diese Spannung abzumildern, indem er eine altersspezifisch gleitende Skala von Zumessungsregeln empfiehlt, die von einem eindeutigen Vorrang des Erziehungsgedankens bei 14-Jährigen bis zu einer fast vollständigen Ablösung und Ersetzung durch Zumessungskriterien des allgemeinen Strafrechts bei Heranwachsenden reicht (Böhm/Feuerhelm S. 9). Das Problem ist aktuell geworden bei der Verurteilung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechern, die erst Jahrzehnte später vor Gericht standen und auf die Jugendstrafrecht auf Grund ihres damaligen Alters anzuwenden war.

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      Den unterschiedlichen Strafzumessungsgesichtspunkten würde durch eine „umgekehrte Spielraumtheorie“ Rechnung getragen werden können, wie sie Schaffstein vorgeschlagen hatte: Die schon und die noch erzieherisch sinnvolle Strafdauer würde den Spielraum für die Strafhöhenmessung abgeben, innerhalb dessen dann die Strafe nach der konkreten Tatschuldschwere festgesetzt werden sollte (Schaffstein 1977, S. 449). Auf Grund der zu geringen Berücksichtigung der Tatschuldschwere und der bei Anwendung der umgekehrten Spielraumtheorie häufig recht kurzen Jugendstrafen hat Schaffstein sein Zumessungsmodell später wieder aufgegeben. Fest steht, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen (Verfassungsrang des Schuldprinzips, Benachteiligungsverbot von Jugendlichen und Heranwachsenden gegenüber Erwachsenen) der Gesichtspunkt des Schuldausgleichs die Dauer der Jugendstrafe nach oben begrenzt. Der BGH hält zwar ein besonderes Erziehungsbedürfnis als strafschärfende Erwägung für zulässig, betont aber ausdrücklich, dass diese Strafschärfung nicht zu einer Überschreitung der oberen Grenze schuldangemessenen Strafens führen dürfe (BGH StV 1998, 334; NStZ 1990, 389 = DVJJ-J 1991, 167). Nach unten setzt das Schuldausgleichsprinzip bei der Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen keine Grenze. Die schon schuldangemessene Strafe darf also aus erzieherischen Gründen unterschritten werden. Diese Konsequenz erklärt sich aus dem eindeutigen erzieherischen Vorrang, der dem Schuldausgleich keine positive, sondern nur eine negative (= begrenzende) Funktion belässt (vgl. auch Miehe 1964, S. 60 ff.).

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      Im dritten Strafzumessungsschritt übernimmt das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine abschließende Kontrolle, indem gefragt wird, ob die Strafdauer nicht außer jedem Verhältnis, also in einem extremen Missverhältnis zur Tatschuld steht oder die Höchstgrenze des gemilderten Strafrahmens des allgemeinen Strafrechts überschreitet, Meier/Bannenberg/Höffler § 11 Rn. 24.

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      Auf Grund der Unterschiede der Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen und wegen Schwere der Schuld wollte Schaffstein die Spielraumtheorie des allgemeinen Strafrechts und damit praktisch § 46 StGB unmittelbar und § 18 Abs. 2 nur mittelbar anwenden (Schaffstein 1977, S. 461). Es müsste dann zunächst der Schuldrahmen mit der schon und der noch schuldangemessenen Strafdauer festgesetzt werden und erst innerhalb dieses Rahmens würden erzieherische Aspekte berücksichtigt werden können. Die Begrenzung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld nach oben ist insoweit folgerichtig. Eine Unterschreitung der Schulduntergrenze muss dagegen zulässig bleiben, um eine erzieherisch sinnlose Strafdauer zu vermeiden. Dogmatisch folgt dieses Ergebnis daraus, dass der Gesetzgeber zwar bei der Verhängung der Jugendstrafe differenziert, jedoch bei der Bemessung der Dauer in § 18 Abs. 2 einen einheitlichen Maßstab (erzieherische Erforderlichkeit) zu Grunde legt. Schwere der Schuld ist im Übrigen nicht mit der Schwere des Tatunrechts gleichzusetzen. Maßgeblich ist die persönliche Vorwerfbarkeit des verschuldeten Tatunrechts (§ 17 Rn. 23). Es geht also auch um Rückschlüsse aus den äußeren Tatumständen auf Haltung und Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten, so dass z.B. beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln die Rolle des Mitangeklagten sowie das nachhaltige Betreiben von CID Agenten den Grad der Vorwerfbarkeit erheblich einschränken können (BGHR JGG § 18 Abs. 2 Tatumstände 2; aktuell BGH NStZ-RR 2020, 30: Durch eine polizeiliche Vertrauensperson veranlasst, „härtere“ Betäubungsmittel einzuführen). Wenn auf Grund von Entwicklungen nach der Tat inzwischen nur noch geringe Erziehungsdefizite vorliegen und allenfalls nur noch eine kurze Restjugendstrafe zur Vollstreckung anstehen könnte, muss auch bei der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld geprüft werden, inwieweit von der festgesetzten Sanktion noch eine erzieherische Wirkung ausgeht (BGH NStZ 1989, 522 [Böhm]). Auch bei der Schwere der Schuld gilt der Vorrang des Erziehungsgedankens, so dass eine Unterschreitung der Schulduntergrenze zulässig ist. In extremen Ausnahmefällen, wenn die Strafe „unerträglich gering“ ist (Miehe 1964, S. 61) oder gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert würde, bleibt eine Korrekturmöglichkeit unter dem Verhältnismäßigkeitsaspekt. Jugendstrafen dürfen jedenfalls nicht so gering bemessen sein, dass das Maß der Schuld „verniedlicht“ wird, BGH NStZ-RR 1996, 120 (Mordversuch gegenüber einem Asylbewerber). Die drei Zumessungsschritte (erzieherische Erforderlichkeit, Schuldobergrenze, Verhältnismäßigkeitsaspekt) sind auch bei der Verhängung von Jugendstrafe

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