Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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Sanktionen des Jugendstrafrechts ergibt sich zwischen dem Dauerarrest von höchstens vier Wochen und der Jugendstrafe von mindestens sechs Monaten eine Lücke, die signalisieren soll, wie hoch die Hürde zur Jugendstrafe als ultima ratio ist. Eine „Hochstufung“ der kurzfristigen Freiheitsstrafe ist im JGG gerade zu vermeiden (Schaffstein/Beulke/Swoboda S. 177). Die erhöhte Mindeststrafe des § 18 Abs. 1 führt zu einer weit höheren Durchschnittsdauer bei Jugendlichen und Heranwachsenden als bei Erwachsenen. Mit wachsender Zahl früherer Verurteilungen steigt sie zudem überproportional an (Pfeiffer DVJJ-J 1991, 117). Bei Mord ist durch das Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten die bisherige Höchststrafe (bei Heranwachsenden) von bisher 10 Jahren auf 15 Jahre angehoben worden (kritisch hierzu Dünkel NK 2010, 2; Pfeiffer ZRP 2012, 157).

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      Bei Heranwachsenden führt die Höchststrafe von fünfzehn Jahren ebenfalls zu einem durchschnittlich längeren Freiheitsentzug und damit bei Anwendung des JGG zu einer Schlechterstellung (Dünkel 1990, S. 625), obwohl der Gesetzgeber, wie u.a. § 106 Abs. 1 beweist, das Gegenteil erreichen wollte. Sowohl bei Jugendlichen, bei denen sich nach § 18 Abs. 1 S. 2 nach abstrakter Betrachtungsweise (BGHSt 8, 79) der Rahmen der Jugendstrafe nach oben hin verschärft, als auch bei Heranwachsenden mit der ausnahmsweise bis zu fünfzehn Jahren möglichen Jugendstrafe ergeben sich Spannungen zu der zwingenden Strafzumessungsregel des § 18 Abs. 2. Eine Jugendstrafe zwischen fünf und zehn Jahren lässt sich allein erzieherisch nicht begründen (BGH NStZ-RR 2020, 32; BGH StV 1996, 269 = NStZ 1996, 232 = NK 3/96, 55 m. Anm. Sonnen; Böhm StV 1986, 71; Mollenhauer MSchrKrim 1961, 162 ff.; Schaffstein/Beulke/Swoboda S. 178; Stenger in: DVJJ (Hrsg.), 1984, S. 463 ff.). Maßgebend sind hier Aspekte des Schuldausgleichs (Vergeltung und Sühne und allgemeine Sicherungsinteressen). Zutreffend merkt Albrecht 2000, S. 254 an, dass haftbedingte Entwicklungsschäden junger Menschen für die Allgemeinheit wesentlich gefährlicher sein können als die vorübergehende Sicherheit in der Zeit der Inhaftierung. Inzwischen begründet der 4. Senat auch Jugendstrafen von 6 Jahren und 6 Monaten (BGH NStZ-RR 1998, 285), von 8 Jahren (BGH StV 1998, 333) und von 10 Jahren (BGH StV 1998, 336) mit Argumenten erforderlicher Erziehung. Diese Rechtsprechung widerspricht der Entstehungsgeschichte (BT-Drucks. I/3264, S. 41), der Gesetzessystematik (enge Anbindung des erhöhten Strafrahmens an besonders schwere Taten, § 18 Abs. 1 S. 2) und der Zielsetzung des JGG. Streng StV 1998, 336, 339 wendet sich zu Recht gegen den „Versuchsballon“, über den Erziehungsaspekt Vergeltungsbedürfnisse der Allgemeinheit sowie Sicherheitsinteressen zu transportieren und auf diesem Weg zur getarnten Einführung einer Jugendsicherungsverwahrung zu gelangen.

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      Kriminalpolitische Forderungen gehen dahin, das Mindestmaß der Jugendstrafe auf einen Monat herabzusetzen und damit dem allgemeinen Strafrecht anzugleichen, Jugendstrafen zwischen einem Monat und sechs Monaten auf besonders gelagerte Ausnahmefälle zu begrenzen und die bisherigen Höchstgrenzen der Jugendstrafe von fünf auf zwei bzw. von zehn auf fünf Jahre zu reduzieren (Dünkel 1990, S. 625 und Pfeiffer DVJJ-J 1991, 127). In einem so veränderten Sanktionsspektrum bliebe dann für den Jugendarrest kein Raum mehr. Auf dem Regensburger Jugendgerichtstag 1992 wurde dagegen für die Beibehaltung des Dauerarrestes und der Strafrahmenuntergrenze von 6 Monaten plädiert, während die Strafrahmenobergrenze bei Jugendlichen auf 4 bzw. 8 Jahre und bei Heranwachsenden auf 5 bzw. 10 Jahre abgesenkt werden soll (DVJJ-J 1992, 290). Genau in die entgegengesetzte Richtung zielt das Gesetz zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten vom 4.9.2012, das für Mord durch Heranwachsende bei besonders schwerer Schuld die Höchststrafe auf 15 Jahre festgesetzt hat.

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      Geht das Gericht fälschlicherweise vom Strafrahmen des § 18 Abs. 1 S. 1 (sechs Monate bis fünf Jahre) statt von § 18 Abs. 1 S. 2 (sechs Monate bis zehn Jahre) aus, so soll die Bemessung der Jugendstrafe regelmäßig fehlerhaft sein (BGH NStZ 1984, 446 [Böhm], bei Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG statt von § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG). Im Hinblick darauf, dass die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts nicht gelten, und bei konsequenter Anwendung des Erziehungsgedankens zur Bemessung der Jugendstrafe ist diese Entscheidung nicht zwingend. Sie belegt nur, dass die Praxis außer dem Erziehungsaspekt weitere Zumessungskriterien berücksichtigt. Im umgekehrten Fall (höherer Strafrahmen) ist die Bemessung der Jugendstrafe fehlerhaft, BGH Beschl. v. 24.7.1997 – 4 StR 259/97 – NStZ-RR 1998, 290 [Böhm].

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      Nach § 18 Abs. 2 ist die Dauer der Jugendstrafe nach der erforderlichen erzieherischen Einwirkung zu bemessen. Empirische Untersuchungen bestätigen, dass dieses Kriterium zu deutlich längeren Jugendstrafen als bei einer Orientierung am Schuldprinzip führt (Pfeiffer DVJJ-J 1991, 117; Kurzberg 2009; Streng Rn. 455). Der Gesetzgeber möchte das Spannungsfeld zwischen Erziehung und Verhältnismäßigkeit aber erst in einem späteren JGGÄndG im Zusammenhang mit dem Problembereich des Straftaxendenkens und der Aufschaukelungstendenzen in der Sanktionspraxis der Jugendgerichtsbarkeit behandeln (BT-Drucks. 11/5829, S. 14).

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      § 18 Abs. 2 steht im Kontrast zum Zumessungsprogramm des allgemeinen Strafrechts in § 46 StGB und bildet die Grundlage für eine eigenständige jugendstrafrechtliche Zumessungslehre. Die Orientierung an der erforderlichen erzieherischen Einwirkung ist bei der Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen zwingend und gilt grundsätzlich auch bei der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld (BGH NStZ-RR 2019, 159; BGHSt 10, 233; 15, 224; 16, 261; BGH NStZ-RR 2017, 231 = StV 2017, 713; BGH NStZ 2016, 683 und auch BGH NStZ 2018, 728 m. Anm. Eisenberg = JR 2019, 38 m. Anm. Kölbel und dazu Beulke NK 2019, 269-281 mit dem Hinweis auf das wegweisende Urteil des AG Rudolstadt ZJJ 2018, 67: Das Jugendstrafrecht als normativer Schonraum zur Vermeidung von Entwicklungsschädigungen steht mit den Mechanismen prinzipieller Strafverschärfung im deutlichen Widerspruch). Der BGH NStZ 2018, 662, misst dem Erziehungsgedanken mit zunehmenden Alter des Täters ein geringeres Gewicht bei („mit jedem Lebensalter sinkt das Gewicht der Berücksichtigungsfähigkeit von erzieherischen Belangen“). Da Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld aber keine Erziehungsdefizite voraussetzt, können sich erhebliche Diskrepanzen zwischen dem Erziehungs- und Schuldprinzip ergeben. Um diese deutlich zu verringern, vertreten sowohl die Rechtsprechung als auch die Lehre die Auffassung, dass neben dem vorrangigen Erziehungsgedanken auch der Schuldgehalt der Tat von Bedeutung bleibt (BGH NStZ-RR 2018, 358; BGH StV 1994, 599; OLG Zweibrücken StV 1994, 600; NStZ-RR 2005, 291 [Böhm]; Böhm/Feuerhelm 228 f.; Schaffstein/Beulke/Swoboda S. 178 f.; Walter/Wilms fordern, einen „realistischen und spezifisch kriminalrechtlichen Erziehungsgedanken“ zugrunde zu legen, NStZ 2007, 150; kritisch: Albrecht S. 258, der das Erziehungsprinzip als „wenig rationales Kriterium“ und als „verschleiernde Legitimationskategorie“ bezeichnet, ohnehin weitgehend als „Synonym für Repression und Generalprävention“

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