Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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2 Abs. 1 S. 2; insoweit berechtigte Kritik bei Eisenberg NStZ 2013, 636-639 und Beulke NK 2019, 269.

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      Wenn das Tatunrecht (Erfolgs- und Handlungsunrecht) erst an zweiter Stelle von Bedeutung ist, ergibt sich eine erste Möglichkeit für eine restriktive Interpretation der Tatschuld. Hier sind entwicklungspsychologische und psychodynamische Aspekte zu berücksichtigen, die dazu führen, dass die persönliche Verantwortung junger Menschen im Vergleich zu Erwachsenen regelmäßig geringer ist (Albrecht S. 250 f.). Auch der BGH geht davon aus, dass nur bei einem vollverantwortlichen erwachsenen Täter aus der Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandes ohne weiteres auf eine dem Tatunrecht entsprechende Schwere der Schuld geschlossen werden dürfe, während „bei einem Jugendlichen unter Berücksichtigung seines Entwicklungsstandes und seines gesamten Persönlichkeitsbildes besonders zu prüfen ist, in welchem Ausmaß er sich bereits frei und selbstverantwortlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden hat“ (BGH GA 1982, 554; BGH StV 1994, 599; OLG Köln StV 2001, 178). Wenn das Gericht einen hohen erzieherischen Nachholbedarf feststellt und damit die Länge der Jugendstrafe begründet, muss es erkennen lassen, inwieweit die Strafe unter Berücksichtigung schulischer Belange im Hinblick auf die persönliche Entwicklung erforderlich ist und ob die im Jugendstrafvollzug vorhandenen Möglichkeiten die Erziehungsdefizite überhaupt und in welchem zeitlichen Rahmen beheben können, BGH NStZ-RR 2008, 258, 259; vgl. auch Eisenberg Anm. zum Urteil des BGH v. 12.3.2008, NStZ 2008, 698.

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      In dem vom OLG Zweibrücken aufgehobenen Urteil hat das Jugendschöffengericht die Schwere der Schuld mit dem Verbrechenscharakter des Betäubungsmitteldeliktes begründet. Damit hat es zu einseitig auf den Unrechtsgehalt der Tat abgestellt (JR 1990, 304 m. Anm. Brunner; dagegen OLG Hamm ZJJ 2005, 449). Brunner weist zu Recht darauf hin, dass das Verfahren nach § 47 hätte eingestellt werden können. Hier zeigt sich eindrucksvoll, wie wenig die Praxis bisher die Verschiebung des jugendstrafrechtlichen Sanktionensystems zur Kenntnis genommen hat und in welchem Umfang Möglichkeiten für Alternativen bestehen. Ein gutes Beispiel für den Vorrang des Erziehungsaspektes gegenüber der Schwere des Tatunrechts ist BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 1. Die Angeklagte ist erstinstanzlich wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Unter besonders ungünstigen Verhältnissen aufgewachsen, wird sie als tiefgreifend milieugeschädigt bezeichnet. Nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft hat mit Hilfe einer Lehrerin und der Unterstützung einer Stiftung erstmals eine positive Entwicklung begonnen. Eine längere, zu vollziehende Jugendstrafe wäre mit der Weggabe ihres Kindes, dem Verlust von Wohnung und Ausbildungsstelle verbunden, so dass die gerade erst geschaffenen Grundlagen wieder beseitigt würden. Bejaht worden ist die Schwere der Schuld bei einer Heranwachsenden, die sich in einer ausländerfeindlichen Gruppe an einem Brandanschlag beteiligt und anders als die meisten Mittäter die Tat nicht relativ spontan ausgeführt hat, sondern schon Tage vorher Brandflaschen mitgefertigt und eine Teilgruppe geleitet hat (BGH Beschl. v. 9.2.1994 – 3 StR 598/93 – NStZ 1994, 528 [Böhm]).

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      Inkonsequent ist dagegen die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung zu Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld im Fall BGHSt 24, 360 („Kritik- und haltschwache, undifferenzierte, kontaktarme Persönlichkeit mit einem an der Grenze zum Schwachsinn liegenden Intelligenzquotienten“). Überzeugender ist die Entscheidung BGH StV 1986, 305, nach der Schwere der Schuld ausscheidet, wenn § 3 gerade noch bejaht worden und das Ausmaß der Schuld „durch Wesenszüge des Täters verringert“ ist. Schwere der Schuld ist vor allem bei Kapitalverbrechen zu bejahen. Dagegen kann ein Vergehen mit geringem zurechenbaren Schaden, auch wenn es „bedenkenlos“ begangen wird, die Schwere der Schuld nicht begründen, da das Gewicht der Tat zu gering ist, BGH StV 1998, 332 = NK 98, 38 m. Anm. Sonnen; BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 3.

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      Umstritten ist, ob auch bei Fahrlässigkeiten eine Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld verhängt werden darf. Bei einem tödlichen Verkehrsunfall begründen allein das Ausmaß der Folgen und der äußere Tathergang noch keine Schwere der Schuld (BayObLG StV 1985, 155 m. Anm. Böhm; ebenso wenig bei schwerem Verkehrsunfall auf Grund „hirnloser Raserei“, OLG Karlsruhe NStZ 1997, 241 m. zust. Anm. Böhm). Das wäre eine unzulässige Überbetonung des Tatunrechts. In erster Linie ist dagegen die subjektive Seite entscheidend. In extremen Ausnahmefällen bejaht die Rechtsprechung auch bei Fahrlässigkeitstaten die Möglichkeit der Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld: OLG Hamm NJW 1968, 462; OLG Celle NdsRpfl 1969, 95 und AG Dillenburg NStZ 1987, 409 m. Anm. Böhm und Eisenberg – der Angeklagte hatte Alkohol getrunken, seinen Kleinwagen mit insgesamt sieben Personen besetzt, es war dunkel, er kannte die Fahrtstrecke nicht, fuhr zu schnell eine steil abschüssige Straße hinunter, kam in einer Kurve ins Schleudern und verursachte einen Unfall, der zum Tod von fünf Mitfahrern führte; OLG Braunschweig NZV 2002, 194 f. aufgrund grober Leichtfertigkeit – der Angeklagte fuhr nüchtern, bei einer zulässigen Geschwindigkeit von 30 km/h in einer kurvenreichen, bergauf durch Waldgebiete führenden Straße mit 60 bis zu 120 km/h und kam hierdurch von der Straße ab, wobei ein Mitfahrer verstarb und ein zweiter schwere Verletzungen erlitt (bedenklich erscheint hier, dass das erkennende Gericht selbst in der Verhaltensweise des Angekl. ein gewisses jugendtypisches Imponiergehabe sieht). Demgegenüber will Ostendorf § 17 Rn. 6 die Schwere der Schuld auf vorsätzliches Handeln begrenzt wissen, weil hinter der Schuldbestrafung die positive Generalprävention (Normvertrauen) stehe. Durch Fahrlässigkeitstaten werde aber das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung nicht beeinträchtigt. Diese Position führt zwar zu einer restriktiven Interpretation, bedarf jedoch hinsichtlich der Grundannahme noch einer empirischen Absicherung.

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      Die Verhängung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld muss erforderlich sein. Bei Gruppendelikten kann z.B. die Erforderlichkeit der Jugendstrafe nach Auflösung der Gruppe entfallen (BGH StV 1990, 505; BGH NStZ-RR 2008, 259). Erforderlichkeit ist ein Teil des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Art. 20 Abs. 3 GG), so dass vor der Verhängung der eingriffsintensivsten Sanktion weniger eingriffsintensive Möglichkeiten geprüft werden müssen. Maßstab sind die aktuellen, empirisch gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Giehring hat überzeugend herausgearbeitet, dass eine härtere Sanktion nur zulässig sein kann, wenn „mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zusätzliche positive sozialpsychologische Wirkungen zu erwarten“ sind. Ist das nicht der Fall, kann also das angestrebte Ziel in gleicher Weise erreicht werden, so ist die mit geringeren Eingriffen verbundene Reaktionsform zu wählen (Giehring in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, 1989, S. 110). Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld wird zukünftig seltener verhängt werden dürfen (vgl. zur Bedeutung empirischer Erkenntnisse für die Rechtsprechung BVerfG ZJJ 2006, 197 [hier spez. im Jugendstrafvollzug]; BVerfGE 1998, 201; BayObLG StV 1988, 434 u. Pfeiffer DVJJ-J 1991, 126).

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      Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO setzt die Erwartung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr voraus, die auf eine einschlägige rechtskräftige Verurteilung zu Freiheitsstrafe gestützt wird. Im Hinblick auf die unterschiedliche Zielrichtung und den unterschiedlichen Vollzug erfüllt eine Jugendstrafe (ebenso wenig wie Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel) diese Voraussetzung nach Ansicht

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