Jugendgerichtsgesetz. Herbert Diemer

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Jugendgerichtsgesetz - Herbert Diemer Heidelberger Kommentar

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Kritik am BGH zwar berechtigt, obwohl sie andererseits nicht zutrifft: Das Bemühen um eine restriktive Interpretation der Schwere der Schuld kann nur nachdrücklich unterstützt werden. Zukünftig sollte von einem Dreiecksverhältnis zwischen Erziehung, Schuld und Verhältnismäßigkeit i.S. gegenseitiger Kontrolle und Begrenzung ausgegangen werden.

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      Die Urteilsgründe müssen in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken Rechnung getragen worden ist (BGH StV 1982, 336; die Begründung „(...) hielt das Gericht eine Jugendstrafe von einem Jahr für tat-, schuld- und erziehungsangemessen“ reicht nicht, OLG Hamm StV 2001, 177; BGH Urteil v. 19.2.2014 – 2 StR 413/13 = BeckRS 2014, 07855). Eine lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens ist grundsätzlich unzureichend (BGH Urteil v. 19.2.2014 – 2 StR 413/13 = BeckRS 2014, 07855; BGH Beschl. v. 17.7.2012 – 3 StR 238/12; BGH NStZ 2010, 281). Auch muss das Urteil Ausführungen dazu enthalten, welche konkreten erzieherischen Wirkungen von der Strafe ausgehen sollen; die lediglich allgemein gehaltene floskelhafte Wendung „(...) die Verhängung der Jugendstrafe sei geboten, weil die Verhängung einer anderen Sanktion im Sinne einer Bagatellisierung der Taten als falsches Signal verstanden werden würde“ genügt nicht, KG StV 2009, 91. Wegen der unterschiedlichen Akzentsetzung darf insoweit nicht auf die Prüfung schädlicher Neigungen verzichtet werden (BGH StV 1986, 305). Stets sind also sowohl schädliche Neigungen als auch Schwere der Schuld zu prüfen (zur erforderlichen Begründung BGH Beschl. v. 7.7.2015 – 3 StR 195/15; vgl. auch OLG Zweibrücken JR 1990, 304 m. Anm. Brunner = DVJJ-J 1990, 56 m. Anm. Sonnen). Wird eine Jugendstrafe sowohl mit schädlichen Neigungen als auch mit Schwere der Schuld begründet und hält die Annahme der ersten Voraussetzung rechtlicher Überprüfung nicht stand, muss der Strafausspruch nicht aufgehoben werden, BGH Urt. v. 25.11.1998 – 3 StR 456/98 –; anders, wenn es sich nicht mit Sicherheit ausschließen lässt, dass die fehlerhafte Annahme schädlicher Neigungen die Strafe nachteilig beeinflusst hat, BGH StV 1998, 331. Schädliche Neigungen können in der Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel, aus denen sich eine Neigung zur Begehung von Straftaten ergibt, schon vor der Tat angelegt waren und müssen auch noch zum Urteilszeitpunkt bestehen (BGH NStZ-RR 2019, 159; BGH StraFo 2016, 261; BGH Beschl. v. 13.11.2013 – 2 StR 455/13 = BeckRS 2014, 00752; BGH NStZ 2013, 287); AG Rudolstadt StV 2013, 36: Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit genügen fortgesetzte kleinere Ladendiebstähle nicht zur Verhängung einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen.

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      Schwere der Schuld meint ein besonders gravierendes Ausmaß von Strafzumessungsschuld (im Gegensatz zur Strafbegründungsschuld). Es geht um Tatschuld und nicht um Lebensführungsschuld. Schuld lässt sich definieren als persönliche Vorwerfbarkeit des verschuldeten Tatunrechts. Aus dieser Definition ergeben sich zwei Einschränkungen. Aspekte der negativen (Abschreckungs-)Generalprävention dürfen wie allgemein im Jugendstrafrecht auch hier nicht berücksichtigt werden (BGHSt 15, 226 & 16, 263; StV 1982, 335; NStZ 1994, 124 = NK 3/94, 41; a.A. Hinz, der in ZRP 2005, 194 behauptet, dass eine abschreckende Wirkung staatlichen Strafens einwandfrei durch neuere empirische Studien belegt sei und verweist hierzu auf Curti (1999), S. 29, 39, 78, 175, Hinz verkennt aber, dass Curti seine Hypothesen zur negativen Generalprävention lediglich auf Rechenmodelle bzw. auf „empirisch zu testende Hypothesen“ (Curti 1999, S. 78) stützt, die nur unter ceteris paribus stimmen, und zudem übersieht er, dass Curti selber die Aussagekraft seiner Befunde vorsichtig bewertet, da sie auf einer zu geringen Stichprobe beruhen (S. 175). Von einem einwandfreien empirischen Beleg der negativen Generalprävention kann also nicht gesprochen werden. Eine positiv-generalpräventive Begründung wird für zulässig gehalten von Ostendorf § 17 Rn. 5; Jäger 2003, 477 ff.; Laubenthal/Baier/Nestler Rn. 758; Maier/Bannenberg/Höffler § 11 Rn. 14, Streng Rn. 451; Tenckhoff 1977, 491; dagegen Eisenberg ZJJ 2018, 144 (Angleichung an das allgemeine Strafrecht im Kontrast zur spezialpräventiven zukunftsorientierten Leitnorm des § 2, empirisch ungeeignet). Die Schwere des verwirklichten Tatunrechts allein kann keine Verhängung der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld begründen, BGH NStZ-RR 1996, 120; BGH NStZ-RR 2001, 216; OLG Hamm ZJJ 2005, 448; BGH NStZ 2009, 450; nur ausnahmsweise bei Kapitaldelikten und besonders schweren Taten, BGH NStZ 2017, 648; BGH NStZ 2016, 102; OLG Hamm ZJJ 2017, 282f; AG Rudolstadt ZJJ 2019, 292; BGH StV 2005, 66; OLG Hamm NStZ-RR 2005, 58 f.; KG StV 2009, 91. Die Begrenzung auf allerschwerste sonstige Straftaten jenseits von Kapitaldelikten ist inzwischen preisgegeben worden, als der BGH NStZ 2013, 658 ein „gewisses Schuldausmaß“ für die Annahme einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld in einem obiter dictum für ausreichend erachtete – „totale Verflachung der Ausnahmekonstellation“, Beulke NK 2019, 269, 277; der Umfang des zurechenbaren Unrechts wird vielmehr „gebrochen“ durch die persönliche Vorwerfbarkeit (vgl. Giehring in: Pfeiffer/Oswald (Hrsg.), Strafzumessung, 1989, S. 77 ff.). Der BGH betont, dass das äußere Tatgeschehen nur insoweit Bedeutung hat, „als es Schlüsse auf das Maß der persönlichen Schuld und die charakterliche Haltung des Täters zulässt“ (BGH StV 1982, 335; StV 1994, 602 u. NStZ-RR 1997, 21 – wesentlich ist das aus dem „objektiven Unrechtsgehalt“ folgende Maß der „subjektiven erheblichen persönlichen Vorwerfbarkeit“; vgl. auch BGH StV 2009, 90 zu „Verführungssituationen bei Vergewaltigung“; BGH NStZ-RR 2014, 119; BGH Urteil v. 19.2.2014 – 2 StR 413/13). Maßgebend sind in erster Linie der Entwicklungsstand, die charakterliche Haltung und das gesamte Persönlichkeitsbild sowie die Tatmotivation des jungen Menschen, so dass der Erziehungsgedanke gegenüber der Schwere der Schuld vorrangig ist, ohne allerdings das allein ausschlaggebende Kriterium zu bilden (BGH NStZ-RR 1998, 285 und BGH JR 1982, 432 m. Anm. Brunner; OLG Brandenburg StV 2001, 176; OLG Hamm StV 2001, 175: Eine große Menge Haschisch und eine Vielzahl von Taten können allein keine Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld begründen; OLG Hamm ZJJ 2005, 449: auch nicht der Verbrechenscharakter der Tat; BGH Urt. v. 16.3.2006 – 594/05; NStZ 2010, 281). Neben dem Erziehungsaspekt sind bei Kapitalverbrechen auch der Sühnegedanke und das Erfordernis gerechten Schuldausgleichs zu beachten, freilich nicht in erster Linie; BGH StV 1994, 598 = GA 1994, 484; BGH StV 1996, 269; BGH StV 1998, 336 mit berechtigter Kritik von Streng an den „Öffnungstendenzen“ hin zu einer zu langen Erziehungsstrafe; Kritik an der Harmonisierung der beiden Formen der Jugendstrafe bei Streng Rn 436 und StV 1998, 336: Anders als die Erziehungsstrafe dient die sog. Schuldstrafe „in erster Linie dem Bedürfnis der Allgemeinheit nach Realisierung von Gerechtigkeit, also nach Schuldausgleich bzw. Vergeltung“. So ist auch der Beschluss des BGH v. 6.5.2013, NStZ 2013, 658 zu verstehen, wenn es nicht entscheidungsrelevant (in einem obiter dictum) heißt: Der Anordnungsgrund der „Schwere der Schuld“ in § 17 Abs. 2 kommt nicht lediglich bei „Kapitalstrafsachen“ in Betracht, sondern auch außerhalb dessen bei besonders schweren Straftaten, zu denen gravierende Sexualdelikte gehören können. Weder der Wortlaut von § 17 Abs. 2 noch dessen Entstehungsgeschichte deuten auf ein kumulatives Erfordernis des Merkmals der „Schwere der Schuld“ und eines Erziehungsbedürfnisses als Anordnungsvoraussetzung der Jugendstrafe hin. Da das Tatgericht bei dem Angekl. ein Erziehungsbedürfnis festgestellt hatte, bedurfte die Frage, ob faktische Erziehungsfähigkeit und rechtliche Erziehungsberechtigung bei Heranwachsenden notwendige Voraussetzungen der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld sind, zwar keiner Entscheidung, doch neige der Senat dazu, bereits „das Vorliegen eines gewissen Schuldausmaßes allein als Anordnungsgrund“ genügen zu lassen, die erfordelriche erzieherische Einwirkung gem. § 18 Abs. 2 beträfe unmittelbar nur die Dauer der Jugendstrafe, nicht die vorgelagerte Auswahl

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