Verteidigung in Vollstreckung und Vollzug. Bernd Volckart
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Das Gewirr der verschiedenen vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe ist nicht ganz so willkürlich wie es auf den ersten Blick scheint. Wenn man sich den systematischen Aufbau des Vollstreckungsrechts vergegenwärtigt, dann zeigt sich, dass einige der Rechtswegbesonderheiten der jeweils zu lösenden Aufgabe entsprechen. Zunächst gilt es wahrzunehmen, dass das staatliche Handeln, das die Vollstreckung gestaltet, nicht allein Sache der Vollstreckungsbehörde ist, wie § 451 StPO glauben machen könnte, sondern dass die Aufgaben verteilt sind: Eine Anzahl von Vollstreckungsmaßnahmen obliegt kraft gesetzlicher Zuweisung allein dem Gericht (z.B. die Aussetzung und die Unterbleibensanordnungen). Wo keine gesetzliche Aufgabenzuweisung besteht, ist immer die Vollstreckungsbehörde zuständig.
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Alles staatliche Handeln ist Verfahren. Indem die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sind, unterliegen sie einem Verfahrensrecht. Hier geht es nicht darum, welche Entscheidungen unter welchen Voraussetzungen getroffen werden sollen oder können, sondern darum, wie zu verfahren ist, damit überhaupt entschieden werden kann, und welche Struktur diese Maßnahmen haben.
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Handelt die Vollstreckungsbehörde (oder der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter in einer Angelegenheit, die der Vollstreckungsbehörde obliegt), so ist das eine Verwaltungstätigkeit. Sie unterliegt einem Justizverwaltungsverfahrensrecht. Dieses ist allerdings nicht kodifiziert; die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder nehmen es ausdrücklich von ihrer Regelung aus, vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG-Bund. Das kann nun freilich nicht bedeuten, dass es hier gar kein Verwaltungsverfahrensrecht gäbe. Der Rechtszustand ist vergleichbar dem, was in der allgemeinen Verwaltung bis 1977 galt. Es gilt, was Verwaltungsrechtswissenschaft und Rechtsprechung bis dahin ganz allgemein entwickelt hatten, selbst wenn es die Justizverwaltung nicht wahrhaben will.[3]
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Das hat Konsequenzen. Hat z.B. die Vollstreckungsbehörde dem Verurteilten aus persönlichen oder sozialen Gründen nach § 456 StPO einen Strafaufschub gewährt – eine Maßnahme, die sie nach ihrem Ermessen treffen kann – so darf sie das nicht etwa nach ihrem Ermessen oder gar willkürlich einfach wieder rückgängig machen, sondern sie ist dafür entsprechend §§ 48, 49 VwVfG-Bund an die für eine Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts und für einen Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakts geltenden Grundsätze gebunden. Oder zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten: Sind mehrere Freiheitsstrafen zu vollstrecken, dann ist jede Entschließung über die Reihenfolge der Vollstreckung und jede Strafunterbrechung ein Justizverwaltungsakt. Dieser ist selbstverständlich dem davon betroffenen Verurteilten und seiner Verteidigung bekannt zu machen, vgl. §§ 37, 39 VwVfG-Bund (§ 35 Abs. 2 S. 2 StPO). Wenn das nicht geschieht, ist dies ein vorrechtsstaatlicher, völlig unhaltbarer Zustand.
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Auch das Verfahrensrecht des Vollstreckungsgerichts weist nur Rudimente ausdrücklicher Regelungen auf. Sie betreffen im Wesentlichen die Zuständigkeit und Besetzung des Gerichts.[4] Das eigentliche Verfahrensrecht ist fast völlig ungeregelt, wenn man von dem Satz „entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss“ in §§ 454 Abs. 1 S. 1, 462 Abs. 1 S. 1 StPO und einigen Anhörungs- und Mitteilungsregeln absieht.
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Im Vollstreckungsrecht muss man unterteilen in die Tätigkeitsbereiche der StA als Vollstreckungsbehörde und des Gerichts. Diese Aufteilung wird nicht dadurch infrage gestellt, dass die StA auf die Entscheidungen des Gerichts durch Stellungnahmen und Anträge einwirkt. Sie tut das nicht in ihrer Eigenschaft als Vollstreckungsbehörde, sondern als Verfahrensbeteiligte. Manche erklären, sie werde hier als Strafverfolgungsbehörde tätig.[5] In der Strafvollstreckung gibt es aber nichts mehr zu verfolgen. Unmissverständlich ist die StA Verfahrensbeteiligte.[6]
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Die Vollstreckungsbehörde kann aber auch auf derselben systematischen Ebene die Hilfe des Gerichts in Anspruch nehmen: Beispiele hierfür sind die Vorlage an das Gericht wegen Zweifeln über die Auslegung des Urteils oder über die Strafzeitberechnung nach § 458 Abs. 1 Alt. 1 StPO oder bei der Geldstrafenvollstreckung der Beschluss über die Durchsuchung einer Wohnung nach pfändbaren Sachen, der dem Gericht obliegt.[7] Hierbei geht es also nicht um eine durch einen Rechtsbehelf veranlasste Kontrolle.
Anmerkungen
BVerfGE 19, 342, 352 und 29, 312, 316; BVerfG NStZ 1988, 474; vgl. Volckart 2000.
Vgl. auch Pollähne StraFo 2007, 404 ff., 486 ff.
Grundlegend AK-StPO-Volckart vor § 449 Rn. 15–33.
§§ 462a StPO, 78a, 78b GVG.
KK-Fischer § 453 Rn. 5.
Meyer-Goßner § 451 Rn. 20.
BVerfGE 51, 97 = NJW 1979, 1539.
Teil 1 Vollstreckung I Verteidigung und Rechtsbehelfe › II. Rechtsbehelfe
II. Rechtsbehelfe
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Die nachfolgende Übersicht über Verteidigungsmöglichkeiten in der Vollstreckung muss notgedrungen in einigen Bereichen verkürzt bleiben. Das Buch wäre sonst weit über den geplanten Umfang