Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich
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Es sind demnach gewisse Behandlungsunterschiede auch vom (Straf-)Recht zu tolerieren, solange ein zwar nicht optimaler, aber eben noch ausreichender[303] medizinischer Standard erreicht wird. Bei der Feststellung sorgfaltsgemäßen Verhaltens besteht auch insoweit ein „Behandlungskorridor“, innerhalb dessen der Arzt sich straffrei bewegen kann. Die Frage nach diesem noch ausreichenden medizinischen Standard im ökonomisch-juristischen Spannungsfeld dürfte die Rechtsprechung zukünftig verstärkt beschäftigen. Die gegenwärtige Rechtslage bietet dem Arzt jedenfalls relativ wenig Handlungssicherheit.
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Auch bei einer durch Allokationsentscheidungen auf höherer Ebene bewirkten Herabsetzung des ärztlichen Standards sind zum Schutze des Patienten unverzichtbare Standarduntergrenzen einzuhalten, deren Bestimmung allerdings schwierig genug sein dürfte.[304] Auch im Bereich der zivilrechtlichen Produkthaftung – um diese Konstellation als Vergleich heranzuziehen – wird ja i.Ü. zurecht eine gewisse Basissicherheit eingefordert.[305] Da im Bereich der Heilbehandlung Standardunterschreitungen für den Patienten regelmäßig weder erkennbar noch kompensierbar sind, kann man hierauf auch im Bereich der strafrechtlichen Arzthaftung nicht verzichten.
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Anders sollte hingegen die Frage beurteilt werden, welche entfernten Restrisiken ein Arzt bei seiner Behandlung zulässiger Weise in Kauf nehmen darf: Bei einer Entscheidung bspw. über die Durchführung weiterer diagnostischer Maßnahmen zur Abklärung eines entfernten Risikos kann der wirtschaftliche Aufwand, z.B. für Anomaliefeststellungen, mitberücksichtigt werden.[306] Dass die Zuschreibung einer Sorgfaltspflichtverletzung auch die Kosten gefahrabwendender Sorgfaltsmaßnahmen gegengewichtend einbezieht, ist jedenfalls dem zivilrechtlichen Deliktsrecht bei seiner Bestimmung des Umfangs der Verkehrspflichten nicht fremd.[307] Dies sollte auch für die zukünftige arztstrafrechtliche Betrachtung maßgebend sein.
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Insoweit sei abschließend bemerkt, dass eine Begrenzung finanzieller Ressourcen auf Dauer auch den sog. Facharztstandard (Rn. 12 ff.) beeinflussen dürfte, da für seine Herausbildung ja nicht nur der medizinischen Wissenschaft, sondern auch der Anerkennung einer bestimmten Verfahrensweise in der Praxis maßstabsbildende Kraft zukommt.[308]
f) Gleichklang von Sozialversicherungsrecht und Strafrecht
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Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass jedenfalls gegenwärtig kein Spannungsverhältnis zwischen den gesetzlichen Vorgaben des Sozialrechts (SGB V), dem medizinischen (Mindest-)Standard sowie dem an diesen Mindeststandard anknüpfenden (strafrechtlichen) Haftungsrecht besteht, da sich der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ungeachtet der erforderlichen Kostendämpfungsmaßnahmen dem medizinisch Notwendigen und Ausreichenden nach wie vor verpflichtet sieht,[309] vgl. § 12 SGB V: Nach dem dort statuierten Wirtschaftlichkeitsgebot müssen ärztliche Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Für die Krankenbehandlung bestimmt § 27 SGB V, dass Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
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Durch die sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben für eine wirtschaftliche Krankenbehandlung werden strafrechtsrelevante ärztliche Sorgfaltspflichten nicht verschoben.[310] Da der Kassenarzt gemäß § 76 Abs. 4 SGB V bei seiner Krankenbehandlung zur Einhaltung der Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts verpflichtet ist, zusätzlich auch gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V die Qualität kassenärztlicher Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen hat, und nicht zuletzt gemäß § 70 Abs. 1 S. 1 SGB V die Leistungserbringer (Ärzte) eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten haben, besteht gar kein – ggf. zu Lasten des Arztes zu lösendes – Spannungsverhältnis zwischen dem Sozial- und dem Haftungsrecht:[311] Der aus dem medizinischen Standard abgeleitete Sorgfaltsmaßstab der Fahrlässigkeit bildet die Grenze des Wirtschaftlichkeitsgebotes, nicht umgekehrt.[312] Da der an die medizinische Wissenschaft und Praxis anknüpfende, aber eben juristisch zu fixierende Sorgfaltsmaßstab dem Rechtsgüterschutz des Patienten verpflichtet ist, verbietet sich ein Unterschreiten des jeweils anzuwendenden („Behandlungskorridor“) medizinischen Behandlungsstandards aus Kostengründen.[313] Ob der Rechtsanwender zukünftig dem ärztlichen Standard die Gefolgschaft zu versagen hätte, sofern Behandlungseinschränkungen aus Kostengründen in die ärztliche Selbstdefinition dieses Standards Eingang fänden (etwa in Form sog. kostensensibler Leitlinien[314]), erscheint nur für den Fall vorgezeichnet,[315] dass bestimmte Behandlungen ausschließlich aus wirtschaftlichen