Handbuch des Strafrechts. Bernd Heinrich

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Handbuch des Strafrechts - Bernd  Heinrich

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zunehmend in den Mittelpunkt gesundheitspolitischer Rationierungsdiskussionen gerückte Begriff der Priorisierung, also der ausdrücklichen Feststellung einer Vorrangigkeit bestimmter medizinischer Indikationen, Patientengruppen oder medizinischer Verfahren.[262] Würde allerdings nicht nur eine Rangstufe der Dringlichkeit abzuarbeitender „Fälle“ aufgestellt,[263] so läge bei einem Leistungsausschluss im Ergebnis dann doch Rationierung unter einem „gefälligeren“ Titel vor.[264]

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      Eine Rationierung in der Gesundheitsversorgung erfolgt an verschiedenen, voneinander abhängigen Stellen des Gesundheitssystems, so dass verschiedene Stufen der Makro-, Mezzo[265]– und Mikro-Allokation unterschieden werden.[266] Vorliegend sollen die Eckpunkte beleuchtet werden: Auf der obersten Stufe der Makro-Allokation werden die öffentlichen Ausgaben auf die einzelnen Haushaltsgebiete verteilt; es kommt – vereinfacht betrachtet[267] – somit zur Festlegung des Anteils der Gesundheitsausgaben am Bruttosozialprodukt.[268] Auf der untersten Stufe der Mikro-Allokation werden schließlich die zur Verfügung gestellten Ressourcen auf konkrete Einzelpatienten verteilt (Allokation am Krankenbett): Die konkrete Last der Verteilung nicht ausreichend vorhandener Güter, bedingt durch Vorentscheidungen auf einer höheren Allokationsebene, hat der einzelne Arzt am Krankenbett zu bewältigen.[269]

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      Rationierung bei der Gesundheitsversorgung ist zum einen durch natürliche Knappheit bedingt. Als Beispiel sei die unlösbare Zwangslage infolge der nur begrenzten Anzahl der für Organtransplantationen zur Verfügung stehenden Organe angeführt, die eine Auswahl zwischen mehreren denkbaren Organempfängern erforderlich macht. Die strafrechtliche Lösung derartiger Konstellationen bereitet keine Schwierigkeiten: Ist dem Arzt mangels Spenderorgans eine lebensrettende Operation nicht möglich, entfällt seine Bestrafung aus einem Unterlassungsdelikt in Folge Unmöglichkeit der Erfolgsabwendung. Stehen nun einem Arzt infolge begrenzter Ressourcenzuteilung nur eingeschränkte, den jeweils zu fordernden Standard unterschreitende, Mittel zur Heilbehandlung zur Verfügung (z.B. nur wenige Betten auf der Intensivstation oder eine nicht auf dem neuesten Stand befindliche Diagnosekapazität), so gilt Folgendes: Ist ihm eine (rechtzeitige) Heilbehandlung aus diesem Grunde nicht möglich, so entfällt wegen – infolge von Allokationsentscheidungen auf höherer Ebene – fehlender Behandlungsmöglichkeit seine Strafbarkeit als Unterlassungstäter. Hiervon unberührt bleibt aber im Falle anderweitiger Behandlungsmöglichkeiten eine mögliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit,[270] die an die Behandlungsübernahme unter Außerachtlassung der beschränkten Behandlungskapazitäten anknüpft.

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      Ein Behandlungsfehler durch Vorenthalten medizinisch gebotener Leistungen kann – je nach Erfolgs- und Handlungsunwert – als vorsätzliche oder fahrlässige Tötung bzw. Körperverletzung,[271] verübt jeweils durch Unterlassen, in den Blick des Strafrechts geraten. Allerdings wird eine strafrechtliche Erfolgshaftung in Bezug auf eine nicht verhinderte Krankheitsverschlechterung bzw. eine nicht herbeigeführte Verbesserung des Gesundheitszustandes zumeist daran scheitern, dass ein hinreichender Zurechnungszusammenhang zwischen einer etwaigen ärztlichen Pflichtverletzung durch Nichtgewährung des medizinisch Möglichen und dem hierdurch herbeigeführten Erfolg im Sinne der Tötungs- bzw. Körperverletzungstatbestände jedenfalls dann nicht wird festgestellt werden können, wenn man mit Rechtsprechung und herrschender Lehre einen Kausalitäts- bzw. Zurechnungszusammenhang in der Form verlangt, dass ein pflichtgemäßes Verhalten des Arztes den Verletzungserfolg mit Sicherheit[272] verhindert hätte.[273] Hierzu dann noch unter Rn. 151 ff.

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      Anders stellt sich für den nicht gemäß ärztlichem Standard behandelnden Arzt allerdings seine zivilrechtliche Verantwortlichkeit dar, sofern diese (Nicht-)Behandlung als sog. grober Behandlungsfehler[274] einzustufen ist: Dann trifft – so der Bundesgerichtshof in Zivilsachen in Fortsetzung der Rechtsprechung des Reichsgerichtes – den Arzt die Beweislast für die Nichtursächlichkeit eines von ihm schuldhaft begangenen Fehlers, sofern dieser grobe Behandlungsfehler geeignet ist, einen Schaden der eingetretenen Art herbeizuführen.[275] Derartige – auch in der zivilrechtlichen Literatur nicht unumstrittene[276] – Beweislast-Sonderregelungen verbieten sich für den Bereich des Strafrechts von Vornherein.

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      Ergänzend sei angemerkt, dass der Arzt – sollte der Kausal- und Zurechnungszusammenhang mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden können – sich nicht darauf berufen kann, dass ein infolge seiner Pflichtwidrigkeit nicht eingeschalteter Dritter (also etwa ein medizinischer Spezialist) sich ebenfalls und gleichermaßen pflichtwidrig aus Kostengründen nicht an der gebotenen Behandlung beteiligt hätte. Selbst wenn hierin ein zutreffender Hinweis auf eine entsprechende ärztliche Praxis läge, so kann sich der Arzt, um dessen strafrechtlich relevantes Unterlassen es geht, nicht dadurch entlasten, dass er sich auf eine mögliche zusätzliche Pflichtwidrigkeit eines Dritten beruft: Auch sonst wird bei Feststellung der Kausalität des Unterlassens davon ausgegangen, dass der pflichtwidrig nicht eingeschaltete Dritte seine Pflicht – so er denn eingeschaltet worden wäre – erfüllt hätte.[277] Der Unterlassungstäter hat aber durch seine eigene Pflichtwidrigkeit dem Dritten gerade keine Gelegenheit zur Pflichterfüllung gegeben. Insoweit ist mit Puppe[278] auch auf die Lederspray-Entscheidung des Bundesgerichtshofs hinzuweisen, in der der Senat im Ergebnis zutreffend auf Grund normativer Wertung zu dem Ergebnis gelangte, dass im Falle der Mehrfachkausalität die Täter sich nicht gegenseitig dadurch entlasten konnten, dass sie sich jeweils auf die Pflichtwidrigkeit des anderen Gremienmitgliedes beriefen.[279]

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      Eine Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen § 323c StGB soll hier nicht weiter behandelt werden, wird es doch insoweit häufig – jedenfalls auf Basis der Rechtsprechung[280] – selbst bei einer schweren Erkrankung an einem „Unglücksfall“ fehlen, sofern es sich nicht um eine plötzliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Patienten, sondern „nur“ um dessen vom – wie auch immer zu bestimmenden – gesundheitlichen Normalzustand abweichenden, konstanten Krankheitsstatus handelt.[281] Anders wäre hingegen dann zu entscheiden, wenn es sich um eine Krisensituation handelt, bei der infolge eines sich plötzlich verschlimmernden Krankheitsverlaufs oder bei unerträglich werdenden Schmerzen ein sofortiges Eingreifen erforderlich ist.[282] Im Übrigen bleibt zu beachten, dass in diesen Fällen (ärztliche) Hilfe[283] auch dann geleistet werden muss (Schmerzbekämpfung),[284] wenn sie letztlich vergeblich bleibt und sich die zu befürchtende Verschlechterung des Gesundheitszustands des Patienten aus der Rückschau als von Anfang an unabwendbar erweist;[285] der Umstand, dass der Tod des Patienten von vornherein nicht abgewendet werden kann, schließt die Erforderlichkeit ärztlicher Hilfeleistung (Maßnahmen zur Schmerzlinderung) nicht aus.[286] Die Hilfspflicht entfällt allerdings, sobald der Tod des Verunglückten eingetreten ist.[287] Die „bei“ einem Unglücksfall erforderliche Hilfeleistungspflicht kann auch für einen ortsabwesenden,[288] um telemedizinische Hilfe gebetenen Arzt bestehen.[289]

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      Der vom (Straf-)Recht rezipierte medizinische Standard[290] verschließt sich vom Ansatz her keineswegs differenzierenden Überlegungen, bestimmt er sich doch unterschiedlich je danach,

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