Handbuch des Verwaltungsrechts. Группа авторов
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Better Regulation
In der Verhältnismäßigkeitsprüfung findet auch die europäische Agenda für eine bessere Rechtsetzung (Better Regulation) ihren Anknüpfungspunkt, die entsprechend strukturiert werden müsste.[38] Ein gesetzgeberischer „Werkzeugkasten“ (Legislative Toolbox) würde einer flexibleren und insoweit die Kompetenzen der Mitgliedstaaten stärker schonenden europäischen Gesetzgebung den Weg bereiten: Die „Werkzeuge“ könnten von der gegenseitigen Anerkennung auf der Grundlage des Herkunftslandprinzips bis hin zu strikter Harmonisierung durch die Setzung von Standards reichen. Zwischen diesen beiden Extremen könnten verschiedene Formen der Rechtsetzung genutzt werden. So könnten europäische Rechtsakte entweder der nationalen Ebene eine Berücksichtigung alternativer, weniger belastender Lösungen erlauben oder sich stärker auf Ergebnisse konzentrieren, anstatt detailliert die Maßnahmen vorgeben. Auch könnten Rechtsakte ein sog. „Anfechtungsrecht“ enthalten, das es nationalen Behörden ermöglicht, bei der Kommission eine Ausnahme von einer existierenden Regel oder Bestimmung zu beantragen. Schließlich könnten europäische Rechtsakte, die komplexe und noch ungewisse Sachverhalte betreffen, mit sog. Sunset Clauses versehen werden, die insoweit eine Ähnlichkeit zu experimentellen Gesetzen aufweisen, als sie es dem Gesetzgeber ermöglichen, einen neuen regulatorischen Ansatz „auszuprobieren“. In diesem Zusammenhang könnten auch Werkzeuge wie „Benchmarking“ und „Best Practice“ zur Anwendung kommen, im Zuge derer eine vergleichende Bewertung und darauf basierend die Identifizierung des besten mitgliedstaatlichen Regulierungsansatzes ermöglicht wird, der dann zum europäischen Maßstab werden kann.[39]
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Ermessensspielraum
Mit Blick auf die vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung führt der EuGH in seinen einschlägigen Urteilen[40] aus, dass, wenn mehrere gleich geeignete Maßnahmen zur Verfügung stehen, die am wenigsten belastende zu wählen sei. Zudem müssten die verursachten Nachteile einer unionalen Maßnahme in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.[41] Insoweit gesteht der EuGH dem EU-Gesetzgeber jedoch einen weiten Ermessensspielraum zu, wenngleich er betont, dass der Gesetzgeber verpflichtet sei, seine Entscheidung auf objektive Kriterien zu stützen und eine Folgenabschätzung vorzunehmen. Die Ausübung der gesetzgeberischen Befugnis könne daher gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob ein offensichtlicher Irrtum oder ein Ermessensmissbrauch vorliegt oder ob das Organ die Grenzen seines Ermessens offenkundig überschritten hat.[42] Im Ergebnis überprüft der EuGH somit nicht, ob die streitige Maßnahme die einzig mögliche oder die bestmögliche war, sondern nur, ob sie offensichtlich unverhältnismäßig war.[43]
I. Grundlagen
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Grenzen für das europäische Verwaltungsrecht
Vor dem Hintergrund der vorstehend definierten allgemeinen Kriterien einer jeden Kompetenzausübung durch die EU soll im Folgenden nunmehr untersucht werden, welche Grenzen sich aus dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für rechtsetzende und vollziehende Aktivitäten der EU auf dem Gebiet des besonderen und allgemeinen Verwaltungsrechts ergeben. Je nach Verwaltungstyp und Vollzugsform gelten insoweit für die Kompetenzausübung unterschiedliche Vorgaben.
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Vollzug des Unionsrechts
Generell ist zunächst zu konstatieren, dass sich die Einwirkungen des Unionsrechts auf das mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht noch immer als fragmentarisch, sektoral und punktualistisch erweisen, wenn sie auch an Zahl und Tiefe zunehmen.[44] Aufgrund des in Art. 5 Abs. 2 EUV verankerten Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung und der daran anknüpfenden Zuständigkeitsvermutung des Art. 4 Abs. 1 EUV liegt der Vollzug des Unionsrechts grundsätzlich in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Dementsprechend ist die EU beim Vollzug auf die loyale Zusammenarbeit (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV) mit den Mitgliedstaaten angewiesen.[45] Im Zuge dessen basiert der effektive Vollzug des Unionsrechts auf funktionierenden Verwaltungsstrukturen und einem integrationsoffenen Verwaltungsrecht in den Mitgliedstaaten. Mit Blick auf vielfältige Vollzugsdefizite und zum Teil immer komplexer werdende Verwaltungsaufgaben (z. B. in den Feldern Migration oder Cybersicherheit) ist eine Tendenz zur Ausweitung und Ausdifferenzierung der EU-Eigenverwaltung zu beobachten,[46] die eng mit dem Prozess der sog. Agencification verbunden ist.
1. Verwaltungstypen, Vollzugsformen und anwendbares Verwaltungsrecht
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Differenzierungen
Im europäischen Verwaltungsverbund ist organisatorisch zwischen der EU-Eigenverwaltung und der mitgliedstaatlichen Verwaltung zu unterscheiden.[47] Auf Ebene des anwendbaren Verwaltungsrechts ist, soweit der Vollzug europäischen Verwaltungsrechts in Rede steht, überdies zwischen dem direkten Vollzug, dem indirekten Vollzug sowie verschiedenen Kooperations- und Verbundstrukturen zu differenzieren.
a) Direkter Vollzug
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Eigenverwaltungsrecht der EU
Beim direkten Vollzug sind die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der EU selbst für die Anwendung des europäischen Verwaltungsrechts verantwortlich. Verwaltungskompetenzen der EU-Eigenverwaltung können direkt im Primärrecht vorgesehen sein oder der EU durch Sekundärrechtsakte übertragen werden. Primärrechtlich vorgegeben ist eine EU-Eigenverwaltung im EU-Wettbewerbsrecht[48], bei der Verwaltung der Strukturfonds[49] sowie im Rahmen der Unionsbedienstetenverwaltung. Angeführt wird die EU-Eigenverwaltung von der Europäischen Kommission (vgl. Art. 17 Abs. 1 S. 5 EUV), hinzu treten jedoch vermehrt sekundärrechtlich errichtete sog. Regulierungs- und Exekutivagenturen (Stichwort: Pluralisierung der EU-Eigenverwaltung).[50] Während erstere selbständig mit der permanenten Wahrnehmung bestimmter Sachaufgaben betraut sind, führen letztere v. a. punktuelle Unterstützungs- und Managementaufgaben durch[51] und sind direkt der Kommission zugeordnet. Das auf die EU-Verwaltung anwendbare und von dieser angewandte Verwaltungsrecht wird auch als Eigenverwaltungsrecht der EU bezeichnet.[52] Begrifflich und inhaltlich lässt sich zwischen dem unionsinternen und dem unionsexternen Eigenverwaltungsrecht unterscheiden.
aa) Unionsinternes Eigenverwaltungsrecht
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Verfahrens- und Organisationsrecht
Der Begriff des unionsinternen Eigenverwaltungsrechts beschreibt die Gesamtheit des internen Verfahrens- und Organisationsrechts der EU-Eigenverwaltung. Es setzt sich zusammen aus den geschriebenen und ungeschriebenen Regelungen des Primär- und Sekundärrechts. Seit dem Vertrag von Lissabon ist in Art. 298 Abs. 2 AEUV eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung an die EU zur Schaffung der entsprechenden Vorschriften niedergelegt.
bb)