Die Vampirschwestern – Ein zahnharter Auftrag. Franziska Gehm
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Geräuschlos erhob er sich, strich seinen Anzug glatt und rückte das Monokel zurecht. Er gab den anderen das Zeichen. Sie erhoben sich. Nicht geräuschlos, sondern mit Geschrei und Grollen. Er schielte zur Kellerdecke. Jetzt war es auch schon egal. In weniger als einer Minute würde es keine Fragen mehr geben. Er ging voran zur Tür.
Sie kamen aus dem Keller ans Licht. Schritt für Schritt. Flügelschlag für Flügelschlag. Sie hatten sich ausgeruht. In der Dunkelheit Kräfte gesammelt. Doch sie hatten seit Stunden nichts gegessen. Jetzt waren sie hungrig. Sie rochen Blut. Menschenblut. Frisch, warm, pulsierend. Nur ein paar Flügelschläge entfernt. Zum Beißen nahe. Er wusste, dass hier nicht der richtige Ort für eine Jagd war. Sie durften kein Risiko eingehen. Sie mussten die Zähne zusammenbeißen. Doch wie sollten sie sich beherrschen? Ihm würde es vielleicht gelingen. Aber den anderen? Es war unmöglich. Der Geruch war zu betörend. Sie waren im Blutrausch, er konnte es sehen. Ihre Augen brannten vor Begierde. Ihre Münder waren wässrig. Die Hände zitterten. Er wusste, dass ihnen heiße Schauer über den Rücken liefen. In ihnen Köpfen brodelte es. Sie konnten keinen klaren Gedanken mehr fassen. Der Instinkt gewann die Überhand. Und der Instinkt war bestialisch.
Im Hexenkessel
Das Wohnzimmer der Tepes war ein Hexenkessel. Dabei waren gar keine Hexen dort. Nur Vampire. Waschecht und lichtbeständig. Es herrschte Chaos, Geschrei und … Todesangst.
Helene stand starr wie ein Rettich im Raum. Ihr Gesicht war weiß, als hätte jemand eine Flasche Tipp-Ex darüber geschüttet. Sie schrie ununterbrochen, während sie einen kleinen, pausbäckigen, etwa zehnjährigen Vampir mit den Augen verfolgte. Er flog um sie herum und versuchte, sie in die Arme zu beißen.
„Bemaltes Menschenfleisch. Ultimo lecker!“, rief er. Einer der oberen Schneidezähne fehlte. Dafür hatte er zwei Eckzähne. Zwei sehr spitze Eckzähne. Sein pummeliger Körper steckte in einem Superman-Kostüm, auf dessen Brust statt eines „S“ ein „W“ stand.
Am Kragen des Kostüms hing ein roter Umhang. An seinen Zipfeln hingen Silvania und Frau Tepes.
„NEIN!“, schrie Frau Tepes.
„Hau ab, du kleiner Popelrotzi!“, rief Silvania.
Helene schrie. Der kleine Vampirsuperman lachte.
In der anderen Zimmerhälfte langweilte sich auch niemand. Ludo rannte von panischer Angst getrieben um den Wohnzimmertisch herum. Er keuchte, japste und wagte es kaum, sich umzudrehen. Ludo floh vor einer großen, wohlgenährten Vampirdame. Sie lief ihm juchzend und mit offenem Mund nach. Ihre Eckzähne blitzten. Sie sabberte ein wenig.
„HILFE!“, schrie Ludo. Er hatte die ockerfarbenen Augen weit aufgerissen. Wären seine Haare nicht zu lang, hätten sie zu Berge gestanden.
Daka und Herr Tepes liefen der Vampirdame hinterher. Sie streckten die Arme nach ihr aus.
„FUMPFS!“, rief Daka, als sie sich am Tischbein den Fuß stieß.
„AUFHÖREN, RAPEDADI!“, rief Mihai Tepes. Er flopste sich direkt vor die Vampirdame. Ein geschicktes Manöver. Wären die Gesetze der Physik nicht. Masse mal Beschleunigung gleich Kraft. Die füllige Vampirdame rannte ihn einfach um. Mihai Tepes stöhnte vor Schmerz, als sie ihm auf den Fuß trat. Er torkelte eine Sekunde auf einem Bein, dann fiel er zu Boden. „Boi noap“, hauchte er.
„DAS IST DAS ENDE!“, rief Elvira Tepes. Sie hatte den roten Umhang des kleinen Kugelvampirs losgelassen und hielt sich die Hände vors Gesicht.
Die füllige Vampirdame war stehen geblieben und steckte sich mit gespreizten Fingern eine Obstfliege in den Mund, die sich unvorsichtigerweise auf den Wohnzimmertisch gesetzt hatte. Dann entwich ihr ein leiser Rülpser. „Ups“, sagte sie und legte die Hand, an der drei Ringe steckten, vor den Mund.
Silvania hatte es geschafft, den kleinen Kugelvampir mit beiden Armen zu umklammern. Er wehrte sich mit aller Kraft und versuchte, mit dem Mund nach Helenes Arm zu schnappen.
Helene erwachte aus ihrem Schockzustand. Genau eine Sekunde, bevor sich die Eckzähne des Vampirjungen in ihren Arm bohrten. Sie hörte auf zu schreien. Sie drehte sich mit einem Ruck nach rechts. Sie schnappte sich die Toilettenkaffeetasse von Frau Tepes. Sie drehte sich nach links.
WUMMS!, knallte die Toilettenkaffeetasse auf den Kopf des Kugelvampirs. Das wäre schön gewesen.
Im letzten Moment zog der kleine Vampir den Kopf zurück.
KLIRR! Die Toilettenkaffeetasse fiel zu Boden. Sie zerbrach in drei Teile.
„Jetzt reicht’s!“, rief Herr Tepes. Er warf die rabenschwarze Mähne nach hinten. Seine dunklen Augen funkelten zornig. Sein dichter schwarzer Schnauzbart, der zwei Lakritzschnecken ähnelte, zitterte. „Ich zähle bis drei. Dann stehen alle Vampire hier bei mir hinter der Couch. ONU … ZOI … TROSCH!“ Beim letzten Wort zog Herr Tepes eine Ampulle voller Blut aus der Hemdtasche. Er schwenkte sie wie eine Wurst für einen Hund.
Es funktionierte. Die Vampirdame und der Vampirjunge fletschten die Zähne, wackelten mit den Nasenflügeln, bekamen glasige Augen. Dann waren sie weg. Flops! Von einer Sekunde auf die andere standen sie bei Herrn Tepes.
Helene und Ludo konnten kaum so schnell gucken. Helene kniff sich in den Arm. Ludo zog sich am Ohrläppchen. Alles ging wie im Fluge. Wie sollte er da in Ruhe etwas voraussehen?
Aus der dunklen Ecke hinter der Wohnzimmertür löste sich eine große, hagere Gestalt. Sie räusperte sich.
Mihai Tepes fuhr herum. Beinahe hätte er die Blutampulle fallen lassen. „Vlad! Da bist du!“
Vlad nickte. Da war er. Er deutete auf die Blutampulle.
Mihai Tepes verstand. Immerhin kannte er seinen Bruder seit 2676 Jahren. Da kam man auch ohne Worte aus. Schnell füllte Herr Tepes drei kleine Gläser mit Karpovka und eins mit Wasser. In jedes Glas gab er einen Schuss Blut. Dann verteilte er die Gläser. Ein Karpovka-Blut-Cocktail für die Vampirdame. Ein Karpovka-Blut-Cocktail für Vlad. Ein Wasser-Blut-Cocktail für den kleinen Kugelvampir. Und ein Karpovka-Blut-Cocktail für Mihai Tepes selbst. Den brauchte er jetzt. Dringend.
„Schnappobyx!“, sagte Herr Tepes und erhob das Glas.
„Schnappobyx!“, riefen die anderen Vampire. Sie tranken auf Ex.
Gulp, gulp, gulp. Röööps.
Die Vampirdame fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe.
Die kleine Vampirpausbacke leckte das Glas aus.
Der hagere Vlad schmatzte.
Herr Tepes sah traurig in sein leeres Glas.
Daka und Silvania standen unentschlossen in der Mitte des Zimmers. Gehörten sie als Halbvampire vor die Couch? Hinter die Couch? Oder auf die Couch?
Helene und Ludo waren im Hintergrund, so weit wie möglich von den Vampiren entfernt, stehen geblieben. Sie sahen die bissige Cocktailgesellschaft hinter der Couch argwöhnisch an.
Die Eckzähne, fand Helene, waren nicht das Schlimmste. Eigentlich, mit etwas Abstand betrachtet, waren die gar nicht schlimm (wenn sie nicht gerade